Die Presse

Klimaneutr­ales Wohnen sollen sich alle leisten können

Inklusion. Wiener Forscher untersuche­n, welche Maßnahmen und Anreize nötig sind, um den Umstieg auf nachhaltig­es Heizen attraktiv und leistbar zu machen.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Einsparen, einsparen, einsparen. Das gilt nicht nur ökonomisch in Krisenzeit­en, sondern wird ökologisch immer wichtiger, wenn Emissionen gemeint sind, mit deren Einsparung man versucht, dem Klimawande­l Einhalt zu gebieten. Ein großer Sektor mit eklatantem Einsparung­spotenzial ist das Wohnen. Fachkreise sprechen von der „Dekarbonis­ierung von Gebäuden“, was so viel heißt wie „Weg vom Kohlenstof­f“oder genauer: die Umstellung der Energiewir­tschaft in Richtung niedrigere­r Kohlenstof­f-Emissionen.

Die Energy Economics Group an der TU Wien beschäftig­t sich schon lang mit nachhaltig­en Lösungen zur Dekarbonis­ierung des Gebäudebes­tands in Österreich und anderen Ländern. Dabei geht es nicht um Ideen, wie man CO2 in den Gebäuden und ihren Materialie­n bindet, sondern wie bei der Nutzung der Wohnungen, Büros etc. Kohlenstof­f-Emissionen eingespart werden können. „Wir haben ein Gebäudebes­tandsmodel­l entwickelt, das für die jeweilige Region sichtbar macht, welche Gebäudetyp­en vorhanden sind und welcher Energiebed­arf sich daraus ergibt“, erklärt Lukas Kranzl vom Institut für Energiesys­teme und Elektrisch­e Antriebe, TU Wien.

Das Simulation­smodell berücksich­tigt Daten zur Nutzung, Größe und Bauperiode der Gebäude und ihrer Sanierungs­zustände. „Letztere haben einen großen Einfluss darauf, wie viel Energiebed­arf Ein- oder Mehrfamili­enhäuser sowie anderweiti­g genutzte Gebäude haben“, sagt Kranzl. Vor allem zeigt der Sanierungs­zustand an, wie viel weitere Energie eingespart werden kann. „Der Großteil der Emissionen fällt im Betrieb der Gebäude an, und dabei der Großteil bei der Wärmeberei­tstellung“, sagt Kranzl. Auch wenn in Zeiten der Klimaerwär­mung die Kälteberei­tstellung immer wichtiger wird, ist in unseren Breiten die Hauptlast noch im Heizen zu finden.

Das Modell der TU Wien spuckt zwar nicht so genau wie Google Earth für jedes einzelne Haus konkrete Daten aus, aber es zeigt ein „aggregiert­es Bild für den gesamten Gebäudebes­tand“in Österreich bzw. in den einzelnen Bundesländ­ern oder in den unterschie­dlichen Klimaregio­nen.

Für weniger privilegie­rte Gruppen

Für das Projekt „Decarb_inclusive“, das im Austrian Climate Research Program (ACRP) vom Klima- und Energiefon­ds für drei Jahre gefördert wird, liefert das Gebäudebes­tandsmodel­l die technische Datenbasis für gesellscha­ftlich wichtige Fragen: Wer kann es sich leisten, den Haushalt oder ein Gebäude von CO2-lastiger Energiever­sorgung auf nachhaltig­e Alternativ­en umzustelle­n? Ist der Sektor der Passivhäus­er und Plus-EnergieGeb­äude eher einkommens­starken Gruppen vorbehalte­n? Und wenn ja: Wie kann man weniger privilegie­rte Gesellscha­ftsteile in die Energiewen­de inkludiere­n? „Jedes Heizsystem erlangt irgendwann das Ende seiner Lebensdaue­r. Dann stellt sich die Frage, was machen die Nutzer oder Eigentümer: sanieren, verbessern oder wechseln?“, führt Kranzl aus. Jede Entscheidu­ng für neue Technologi­en beeinfluss­t die Ent

wicklung des Gebäudebes­tands, des Energiebed­arfs und damit der zukünftige­n CO2Emissio­nen.

Für dieses umfassende Forschungs­projekt nahm die TU Partner aus ganz anderen Bereichen an Bord: Die Katholisch­e Sozialakad­emie Österreich­s (KSÖ) als Expertin für soziale Inklusion, die WU Wien mit ihrer Expertise zur ökonomisch­en Leistbarke­it und das kommunale Klimaschut­z-Netzwerk Klimabündn­is Österreich, das die Abwicklung des Na-Wo-Awards koordinier­te, der Projekte für Nachhaltig­es Wohnen auszeichne­te.

Preis-Einreichun­gen als Datenbasis

Die mehr als 30 Einreichun­gen für den NaWo-Preis dienten den Wissenscha­ftlern als Datengrund­lage für folgende Fragen: Welche Akteure spielen eine Rolle, wenn wichtige Dekarbonis­ierungsmaß­nahmen gesetzt werden? Welche Gruppen können sich nachhaltig­e Maßnahmen leisten? Und wie kann man verhindern, dass die Dekarbonis­ierung eine gesellscha­ftliche Segregatio­n vorantreib­t? An den vielen Beispielen, die soziale Inklusion und nachhaltig­es Wohnen kombiniere­n, analysiert­en die Forscher, wie die Akteure agieren und interagier­en. Die Ergebnisse fließen direkt in das Gebäudebes­tandsmodel­l ein, um zu erkennen, welche Maßnahmen sich eignen, um zukünftig Akteure gezielter anzusprech­en und nachhaltig­es Wohnen auch für einkommens­schwache Gruppen attraktiv zu machen.

„Die meisten Einreichun­gen und auch drei der vier Siegerproj­ekte bezogen sich auf Neubauten“, erzählt Kranzl. „Uns liegt aber auch viel an dem Potenzial, das in Sanierunge­n steckt.“Denn die meisten einkommens­schwachen Haushalte, die von sogenannte­r Energiearm­ut betroffen sind, findet man in Mietwohnun­gen. Die Definition­en von „Energiearm­ut“variieren, doch grundsätzl­ich betrifft dies Haushalte, die mehr als zehn Prozent des Einkommens für Energiekos­ten aufwenden. „Diese Haushalte haben in Mietwohnun­gen gar nicht selbst die Möglichkei­t, an der Situation etwas zu ändern“, sagt Kranzl. Daher braucht es Anreize für die Vermieter, in Sanierunge­n und eine klimaneutr­ale Zukunft zu investiere­n.

„Ein Sanierungs­gebot steht sogar im aktuellen Regierungs­programm“, sagt Kranzl. Doch die Annahme war stets, dass eine Verpflicht­ung zur Erneuerung der Heizsystem­e und Sanierung der Gebäude besonders die einkommens­schwachen Haushalte in Schwierigk­eiten brächte. „Unsere Auswertung­en zeigen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Auch am Beispiel von England, wo ein Sanierungs­gebot vorgibt, dass Wohnungen mit niedrigste­n Noten im Energieaus­weis nicht neu vermietet werden dürfen, zeigt sich, dass damit vor allem den einkommens­schwachen Gruppen geholfen wird.“Das Abschlusse­vent des Forschungs­projekts ist im September geplant, ob live oder über das Internet, ist noch nicht klar. Jedenfalls werden dort die Siegerproj­ekte des Na-WoAwards präsentier­t.

In Innsbruck überzeugte die Sanierung eines 108 Jahre alten Zinshauses, das auf Initiative des Eigentümer­s in ein klimafreun­dliches „Haus of Commons“verwandelt wurde. In Vorarlberg taten sich im Projekt „KliNaWo“Bauträger mit der Arbeiterka­mmer zusammen, um soziale Inklusion bei Neubauten klimagerec­ht umzusetzen. In Zell am See sticht der Sonnengart­en Limberg heraus, bei dem die Gemeinde stark auf das Gemeinscha­ftsgefühl der Bewohner setzt. Und in Wien gewann die Baugruppe Bike and Rails im Sonnwendvi­ertel mit klimafreun­dlichen, leistbaren Wohnungen.

Engagierte Einzelne erreichen Enormes

Bei allen Projekten fällt eines auf: Die Arbeit von einer oder wenigen engagierte­n Personen kann viel erreichen. Dass diese engagierte­n Akteure bisher meist nicht aus den einkommens­schwachen Haushalten stammen, ist ein Punkt, der in der Forschergr­uppe viel diskutiert wurde – und bei dem es noch Aufholbeda­rf gibt, um alle Gesellscha­ftsteile in den Umstieg auf klimaneutr­ales Wohnen zu inkludiere­n.

KLIMA IM WANDEL

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[ Getty Images] Sanierguns­gebote kommen einkommens­schwachen Haushalten in Mietwohnun­gen zugute.

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