Klimaneutrales Wohnen sollen sich alle leisten können
Inklusion. Wiener Forscher untersuchen, welche Maßnahmen und Anreize nötig sind, um den Umstieg auf nachhaltiges Heizen attraktiv und leistbar zu machen.
Einsparen, einsparen, einsparen. Das gilt nicht nur ökonomisch in Krisenzeiten, sondern wird ökologisch immer wichtiger, wenn Emissionen gemeint sind, mit deren Einsparung man versucht, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Ein großer Sektor mit eklatantem Einsparungspotenzial ist das Wohnen. Fachkreise sprechen von der „Dekarbonisierung von Gebäuden“, was so viel heißt wie „Weg vom Kohlenstoff“oder genauer: die Umstellung der Energiewirtschaft in Richtung niedrigerer Kohlenstoff-Emissionen.
Die Energy Economics Group an der TU Wien beschäftigt sich schon lang mit nachhaltigen Lösungen zur Dekarbonisierung des Gebäudebestands in Österreich und anderen Ländern. Dabei geht es nicht um Ideen, wie man CO2 in den Gebäuden und ihren Materialien bindet, sondern wie bei der Nutzung der Wohnungen, Büros etc. Kohlenstoff-Emissionen eingespart werden können. „Wir haben ein Gebäudebestandsmodell entwickelt, das für die jeweilige Region sichtbar macht, welche Gebäudetypen vorhanden sind und welcher Energiebedarf sich daraus ergibt“, erklärt Lukas Kranzl vom Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe, TU Wien.
Das Simulationsmodell berücksichtigt Daten zur Nutzung, Größe und Bauperiode der Gebäude und ihrer Sanierungszustände. „Letztere haben einen großen Einfluss darauf, wie viel Energiebedarf Ein- oder Mehrfamilienhäuser sowie anderweitig genutzte Gebäude haben“, sagt Kranzl. Vor allem zeigt der Sanierungszustand an, wie viel weitere Energie eingespart werden kann. „Der Großteil der Emissionen fällt im Betrieb der Gebäude an, und dabei der Großteil bei der Wärmebereitstellung“, sagt Kranzl. Auch wenn in Zeiten der Klimaerwärmung die Kältebereitstellung immer wichtiger wird, ist in unseren Breiten die Hauptlast noch im Heizen zu finden.
Das Modell der TU Wien spuckt zwar nicht so genau wie Google Earth für jedes einzelne Haus konkrete Daten aus, aber es zeigt ein „aggregiertes Bild für den gesamten Gebäudebestand“in Österreich bzw. in den einzelnen Bundesländern oder in den unterschiedlichen Klimaregionen.
Für weniger privilegierte Gruppen
Für das Projekt „Decarb_inclusive“, das im Austrian Climate Research Program (ACRP) vom Klima- und Energiefonds für drei Jahre gefördert wird, liefert das Gebäudebestandsmodell die technische Datenbasis für gesellschaftlich wichtige Fragen: Wer kann es sich leisten, den Haushalt oder ein Gebäude von CO2-lastiger Energieversorgung auf nachhaltige Alternativen umzustellen? Ist der Sektor der Passivhäuser und Plus-EnergieGebäude eher einkommensstarken Gruppen vorbehalten? Und wenn ja: Wie kann man weniger privilegierte Gesellschaftsteile in die Energiewende inkludieren? „Jedes Heizsystem erlangt irgendwann das Ende seiner Lebensdauer. Dann stellt sich die Frage, was machen die Nutzer oder Eigentümer: sanieren, verbessern oder wechseln?“, führt Kranzl aus. Jede Entscheidung für neue Technologien beeinflusst die Ent
wicklung des Gebäudebestands, des Energiebedarfs und damit der zukünftigen CO2Emissionen.
Für dieses umfassende Forschungsprojekt nahm die TU Partner aus ganz anderen Bereichen an Bord: Die Katholische Sozialakademie Österreichs (KSÖ) als Expertin für soziale Inklusion, die WU Wien mit ihrer Expertise zur ökonomischen Leistbarkeit und das kommunale Klimaschutz-Netzwerk Klimabündnis Österreich, das die Abwicklung des Na-Wo-Awards koordinierte, der Projekte für Nachhaltiges Wohnen auszeichnete.
Preis-Einreichungen als Datenbasis
Die mehr als 30 Einreichungen für den NaWo-Preis dienten den Wissenschaftlern als Datengrundlage für folgende Fragen: Welche Akteure spielen eine Rolle, wenn wichtige Dekarbonisierungsmaßnahmen gesetzt werden? Welche Gruppen können sich nachhaltige Maßnahmen leisten? Und wie kann man verhindern, dass die Dekarbonisierung eine gesellschaftliche Segregation vorantreibt? An den vielen Beispielen, die soziale Inklusion und nachhaltiges Wohnen kombinieren, analysierten die Forscher, wie die Akteure agieren und interagieren. Die Ergebnisse fließen direkt in das Gebäudebestandsmodell ein, um zu erkennen, welche Maßnahmen sich eignen, um zukünftig Akteure gezielter anzusprechen und nachhaltiges Wohnen auch für einkommensschwache Gruppen attraktiv zu machen.
„Die meisten Einreichungen und auch drei der vier Siegerprojekte bezogen sich auf Neubauten“, erzählt Kranzl. „Uns liegt aber auch viel an dem Potenzial, das in Sanierungen steckt.“Denn die meisten einkommensschwachen Haushalte, die von sogenannter Energiearmut betroffen sind, findet man in Mietwohnungen. Die Definitionen von „Energiearmut“variieren, doch grundsätzlich betrifft dies Haushalte, die mehr als zehn Prozent des Einkommens für Energiekosten aufwenden. „Diese Haushalte haben in Mietwohnungen gar nicht selbst die Möglichkeit, an der Situation etwas zu ändern“, sagt Kranzl. Daher braucht es Anreize für die Vermieter, in Sanierungen und eine klimaneutrale Zukunft zu investieren.
„Ein Sanierungsgebot steht sogar im aktuellen Regierungsprogramm“, sagt Kranzl. Doch die Annahme war stets, dass eine Verpflichtung zur Erneuerung der Heizsysteme und Sanierung der Gebäude besonders die einkommensschwachen Haushalte in Schwierigkeiten brächte. „Unsere Auswertungen zeigen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Auch am Beispiel von England, wo ein Sanierungsgebot vorgibt, dass Wohnungen mit niedrigsten Noten im Energieausweis nicht neu vermietet werden dürfen, zeigt sich, dass damit vor allem den einkommensschwachen Gruppen geholfen wird.“Das Abschlussevent des Forschungsprojekts ist im September geplant, ob live oder über das Internet, ist noch nicht klar. Jedenfalls werden dort die Siegerprojekte des Na-WoAwards präsentiert.
In Innsbruck überzeugte die Sanierung eines 108 Jahre alten Zinshauses, das auf Initiative des Eigentümers in ein klimafreundliches „Haus of Commons“verwandelt wurde. In Vorarlberg taten sich im Projekt „KliNaWo“Bauträger mit der Arbeiterkammer zusammen, um soziale Inklusion bei Neubauten klimagerecht umzusetzen. In Zell am See sticht der Sonnengarten Limberg heraus, bei dem die Gemeinde stark auf das Gemeinschaftsgefühl der Bewohner setzt. Und in Wien gewann die Baugruppe Bike and Rails im Sonnwendviertel mit klimafreundlichen, leistbaren Wohnungen.
Engagierte Einzelne erreichen Enormes
Bei allen Projekten fällt eines auf: Die Arbeit von einer oder wenigen engagierten Personen kann viel erreichen. Dass diese engagierten Akteure bisher meist nicht aus den einkommensschwachen Haushalten stammen, ist ein Punkt, der in der Forschergruppe viel diskutiert wurde – und bei dem es noch Aufholbedarf gibt, um alle Gesellschaftsteile in den Umstieg auf klimaneutrales Wohnen zu inkludieren.
KLIMA IM WANDEL