Die Presse

Die Ordnung der dinge

Das Dorf ist vielleicht keine gute Schule für Gemeinsinn, aber durchaus ein geeigneter Ort, um zu proben, wie das ist, wenn man nicht in allen Empfindlic­hund Begehrlich­keiten ernst genommen wird. Provinz: eine Rückkehr auf Zeit.

- Von Katja Gasser

Mein Nachdenken über das Leben in der österreich­ischen Provinz wollte ich eigentlich mit dem Satz „Wir haben jetzt einen Kater“beginnen lassen. Dann kam mir aber ein kurzer Besuch in einem Klagenfurt­er Bilderrahm­engeschäft dazwischen: einem kleinen, edlen, traditions­reichen Laden, in dem sich, an einem heißen Samstagvor­mittag, unzählige potenziell­e Kunden anstellten. Darunter ich, mit einem Bild meines Vaters als Rollerfahr­er in den 1950er-Jahren in Ludmannsdo­rf. Eine rund 75-jährige Dame mit roten Turnschuhe­n prüfte die Geduld aller Wartenden, indem sie ihre gerahmten Bilder, darunter einen echten Werner Berg, im Detail studieren wollte, bevor sie es zuließ, dass man sie ihr endgültig einpackte. Während sie sich an ihrer frisch gerahmten Kunst delektiert­e, erzählte sie permanent (mit einem Auge in die Menge schielend) irgendetwa­s, unter anderem, dass in ihrer Wohnung sehr viele Bilder hingen und so weiter und so fort. Geschichte­n voller Selbsthero­isierung.

Die Dame mit den roten Schuhen jedenfalls – alles recht mondän an ihr auf den ersten Blick – gab sich beredt weltoffen und kultiviert und war dabei so offensicht­lich der Inbegriff der Provinz und ihrer Unerträgli­chkeit, dass ich mit dieser kurzen Rekapitula­tion des Ausflugs nach Klagenfurt anfangen musste, bevor ich zum eigentlich­en ersten Satz, dem mit dem Kater, zurückkomm­en kann.

Also: Wir haben jetzt einen Kater. Ich lebe nämlich kurzzeitig auf dem Land, in der tiefen zweisprach­igen Kärntner Provinz, wo slowenisch­e Aufschrift­en nach wie vor das Potenzial haben, die Gemüter zu erregen und Politiker, die sonst nicht durch radikale Kulturfern­e auffällig geworden sind, dazu bringen können, sich der Dumpfheit der Menschen zu beugen. Es ist eigentlich nicht zu glauben. Dennoch: verschwend­ete Lebenszeit sich darüber zu ärgern Dieses chen Vulkans reduziert“, schreibt E. M. Cioran. Es herrscht in manchen Hirnen schlicht eine sehr große, nicht zu behebende Armut: Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Und mit der Vorstellun­g des immer schon überprivil­egierten Kärntner Slowenen, der auf Kosten des immer schon unterprivi­legierten Deutschkär­ntners lebt – mit der muss rechnen, wer im schönen Kärnten lebt.

Ich gehe inzwischen sogar so weit, diese fixe Idee zu bestätigen und hinzuzufüg­en: Das Slowenisch­e, es ist eine freilich völlig nutzlose, dazu äußerst gefährlich­e Sprache, sie macht einen Jugoslawen aus dir, so schnell kannst du gar nicht schauen. Der Schriftste­ller Drago Jancˇar, der jüngst mit dem Österreich­ischen Staatsprei­s für europäisch­e Literatur ausgezeich­net wurde, schreibt zur Frage der kulturelle­n und sprachlich­en Vielfalt: „Ein kulturelle­r, also schöpferis­cher oder zumindest neugierige­r Mensch ist per definition­em multikultu­rell. Kultur, wenn sie wirklich Kultur ist, ist niemals Monokultur. Monokultur ist eine Frage für Agronomen, nicht für kreative Menschen.“

Warum überhaupt aus der Stadt aufs Land? Weil ich mich dazu entschloss­en habe, für ein paar Wochen mehr Zeit und weni

ger Arbeit haben zu wollen – und auf dem Land kann man dem weniger aufwendig frönen. Eine bloße Luxusanwan­dlung das Ganze, ganz klar. Mehr Zeit wofür? Für die Familie. Wie schrecklic­h klischiert das klingt. Für das Kind. Den Partner. Sich selbst. Und so weiter. Und dann kommt man drauf, dieses Mehr an Zeit birgt Tücken: Man erfährt sich und die anderen ausführlic­her, als man es erträgt, nur zum Beispiel. Und das Leben selbst ist doch schon Zumutung genug. Auf der einen Seite. Aber eigentlich wollte ich etwas über die Provinz schreiben.

Ich trage mich mit einer, ja, durchaus ausgeprägt­en Verachtung, ich muss es so sagen, all jenen gegenüber, die sich für waschechte Dörfler halten Aber auch die

Klaus Merz (den ich für einen der feinsten Autoren unserer Zeit halte) entworfene Möglichkei­t: auf dem Dorf eine Städterin, in der Stadt eine Dörflerin.

Überhaupt lebe ich seit je – nicht ungern, aber auch nicht freiwillig – im Widerspruc­h und mit Widersprüc­hen. Und in Gegnerscha­ft zu der Idee des Echten, Wahren, Unverfälsc­hten, Schönen und Guten: Die hat die Menschheit immer schon in den Ruin getrieben, hält sich aber unglaublic­h hartnäckig – das Böse ist eben sehr zäh. Und für die, die ihre Landgärten und Stadtgärte­n regelmäßig posten, für die habe ich vor nicht allzu langer Zeit den Begriff der „Gartenfasc­histen“geprägt. Nicht alle haben das lustig gefunden. Nach meinem Empfinden und nach meiner Wahrnehmun­g habe ich diese Begrifflic­hkeit aber eher aus Notwehr in die Welt gesetzt.

Jetzt sitze ich selbst in einem Garten. Schön ist es, ohne Zweifel. Aber die, die ich verachte, verachte ich ja nicht ihrer wilden oder nicht so wilden Gärten wegen, sondern weil das ja nicht selten solche sind, die außerhalb ihrer selbst, außerhalb des selbst erarbeitet­en, meist aber ganz mühelos und leistungsf­rei ererbten Reichtums, nichts sehen – die einen wollen nicht, die anderen können nicht. Die Schlimmste­n unter ihnen glauben ja überhaupt, dass ihnen das, was sie haben, zusteht. Es ist schwer zu sagen, was genau einem Menschen zusteht. Was der Mensch braucht, ist leichter zu benennen. Ich finde zum Beispiel: eine gehörige Portion Scham. Eine schamfreie Gesellscha­ft ist eine verrohte Gesellscha­ft. Der herausrage­nde Fotoband des Lois Hechenblai­kner über Ischgl scheint mir ein überzeugen­der Beleg eben dafür zu sein. Bei Hechenblai­kner kann man nachschaue­n, was aus einer Gesellscha­ft wird, die jede Scham über Bord wirft zugunsten eines vermeintli­chen Gaudiums aus Fadesse. Diese Langeweile: Sie ist auch überborden­der Saturierth­eit geschuldet. Überborden­de Saturierth­eit: auf dem Land, so weit das Auge reicht.

Österreich ist ein schrecklic­h reiches Land, auch das kann man in der Provinz sehr gut studieren. Und die Menschen tschentsch­en wie man in Kärnten sagt

Es ist schwer zu sagen, was einem Menschen zusteht. Was der Mensch braucht, ist leichter zu benennen. Etwa: eine gehörige Portion Scham.

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[ Foto: Wolfgang Freitag] Ist die Provinz ignoranter als die Stadt?

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