Nennen Sie das Literatur?
„Falls ihr euch für Wahnsinn interessiert, euren oder meinen, dann kann ich euch ein bisschen was von meinem erzählen.“Zum 100. Geburtstag von Henry Charles Bukowski – über den dirty old man und seine unsystematischen Erforschungen des anderen Geschlechts
Zum 100. Geburtstag von Henry Charles Bukowski – über den dirty old man und seine unsystematischen Erforschungen des anderen Geschlechts. Von Almut Tina Schmidt.
Keine gute Zeit für „dirty old men“: Anzügliche Provokationen haben ausgedient, die Dominanz männlicher Stimmen ist in die Kritik geraten – und wenn es sich um einen Autor handelt, der ein ausgeprägtes Macho-Image gepflegt hat, scheint sich jede Diskussion über seine weitere Relevanz zu erübrigen.
Charles Bukowski wäre am 16. August hundert Jahre alt geworden, er ist kein Geheimtipp mehr wie in den 1960er-Jahren, auch kein Kultautor wie in den 1970er- und 1980er-Jahren, doch seine Bücher erreichen immer noch ein breites Publikum, ein bemerkenswert breites: Im deutschsprachigen Raum finden sich – neben den Veröffentlichungen im Maro Verlag und bei Kiepenheuer & Witsch – Texte von Bukowski in „Klassik“-Ausgaben des S. Fischer Verlags, aber auch als Teil einer „Skandal Edition“der „Bild-Zeitung“. Auf der „Men’s Health“Empfehlungsliste „Romane für Männer – Die wichtigsten Männerbücher“darf Bukowski ebenfalls nicht fehlen.
Richtete sich zu seinen Lebzeiten die Bewunderung vorrangig auf die Authentizität der raubeinigen Milieuschilderungen eines alkoholkranken, wettsüchtigen Außenseiters, zeugt Bukowskis anhaltende Beliebtheit von Qualitäten jenseits der Selbststilisierung; street credibility allein ist ein doch eher vergänglicher Wert. So sind die – vor allem von seinem wichtigsten Übersetzer und Literaturvermittler im deutschsprachen Raum, Carl Weissner, aber auch von Bukowski selbst beförderten – Mythen vom besinnungslos saufenden Originalgenie, das erst „mit 35 Jahren“angefangen habe zu schreiben, längst widerlegt: Bukowski war seit seiner Jugend ein hochproduktiver, literarisch nicht ungebildeter Autor, der ab Mitte 20 – abgesehen von einer Phase geringerer Schreibintensität, in der er sich fast zu Tode getrunken hätte – kontinuierlich veröffentlichte, was über viele Klein- und Kleinstzeitschriften, aber auch Pornomagazine letztlich zum Erfolg geführt hat.
Wie mühsam sich die Produktion verkäuflicher Texte gestalten kann, davon kündet die Groteske „Zwölf fliegende Affen, die nicht richtig kopulieren wollen“, die mit metafiktionaler Abgebrühtheit statt Sozialrealismus überrascht: „Um eine Geschichte loszuwerden, muss man was vom Ficken bringen, wenn möglich viel davon.“Genau damit tut der Erzähler dieser fantastischen Short Story sich allerdings schwer.
In den deutschsprachigen Ausgaben wird Bukowskis selbstreferenzielle Raffinesse zum Teil unterschlagen; so lautet die Vorbemerkung zu „Post Office“(„Der Mann mit der Ledertasche“) im Original: „This is presented as a work of fiction and dedicated to nobody.“Auf Deutsch dagegen, in der Übersetzung von Hans Hermann, allzu schlicht: „Dies ist ein Roman. Er ist niemandem gewidmet.“
Mit diesem Buch gelang Bukowski der Durchbruch. Doch auch mit seiner Lyrik hatte er bemerkenswerten Erfolg – obwohl oder weil ihn lyrische Formen wenig interessiert haben, wie er offensiv betont: „Ich denke an die Form des Gedichts / aber mir tun die Füße weh und die / Fensterscheiben sind dreckig.“Wie Bukowski hier plump kontrastierend die Nöte des Alltags gegen traditionelle Kunstansprüche in Stellung bringt, ist keineswegs untypisch: Große Teile seiner Lyrik wirken nicht nur formal unterkomplex.
Der legendäre Verleger und Autor der Beatgeneration, Lawrence Ferlinghetti, soll sinngemäß geurteilt haben, Bukowski produziere ausschließlich Prosa, sei manchmal nur zu verkatert, um die Zeilen vollzuschreiben.
Beim Thema Literaturbetrieb zeigt sich der Dichter bezeichnenderweise am dünnhäutigsten. Seine Satiren über dieses Milieu verraten ein übergroßes Abgrenzungsbedürfnis – sein Unbehagen in der Kulturszene hat Bukowski nicht allzu subtil sublimiert.
Überzeugender klingen seine Ausführungen zu den Mühen, ein Underdog-Image trotz Welterfolg jahrzehntelang glaubhaft aufrechtzuerhalten: „Der Ruhm ist meine letzte Hure, alle anderen haben / mich verlassen.“Aber: „Alle Leser, denen jetzt / das Herz blutet, / die befürchten, ich sei ein glücklicher / Mensch / können ganz beruhigt sein: / Verzweiflung ändert zwar
Bukowskis mit viel rhythmischem Gespür aus der Umgangssprache entwickelter literarischer Sound lädt in der Prosa noch unmittelbarer zum Lesen ein: „Falls ihr euch für Wahnsinn interessiert, euren oder meinen, dann kann ich euch ein bisschen was von meinem erzählen.“
Lakonische Komik prägt sein gesamtes – überwiegend autofiktionales – Werk, mit Übergängen ins Groteske wie in dem beklemmenden Roman „Das Schlimmste kommt noch: Fast eine Jugend“: Das zu Hause geprügelte, in der Schule gemobbte Kind, später ein von massiver Akne entstellter orientierungsloser Teenager, berichtet von irritierenden Nachbarn und irren Verwandten – allen voran die Großmutter mit ihrem leitmotivischen Fluch: „Ich werde euch alle überleben!“, die sich an ihrem Enkel auch als Exorzistin versucht.
„Der Mann mit der Ledertasche“spitzt das Leiden eines Postboten als fortgesetzten Kampf mit wechselnden Vorgesetzten und den Unwägbarkeiten der täglichen Verteilungswege nahezu szenisch zu: Literatur der Arbeitswelt in unterhaltsamster Form. Eine Alternative zu den zermürbenden Jobbedingungen bieten nur die täglichen Alkoholexzesse des Erzählers und die kaum weniger destruktiven Beziehungen zu ausnahmslos instabilen, unberechenbaren Frauen. Der Sexismus versteckt sich nicht.
„,Warum schreibst du immer so über Frauen?‘ – ,Wie denn?‘ – ,Du weißt schon.‘ – ,Nein, sag doch.‘ – ,Na, ich finde es einfach verdammt schade, dass ein Mann, der so gut schreibt wie du, von Frauen überhaupt keine Ahnung hat.‘
Darauf sagte ich nichts.“
Auf diesen Dialog folgen – im Roman „Women“(„Das Liebesleben der Hyäne“) – extrem unsystematische Erforschungen des anderen Geschlechts. Der Ich-Erzähler, einmal mehr Bukowskis Alter Ego, Henry Chinaski, nutzt hemmungslos die Chancen aus, die sich aufgrund seiner wachsenden Prominenz als Autor bieten, um am Ende, als er eine Gelegenheit auslässt, stolz auf seinen bescheidenen Reifungsprozess zu sein.
Dennoch findet hier mehr als nur der Versuch einer Auseinandersetzung statt. So rücksichtslos der Protagonist auch agiert – viel vom Humor des Romans geht auf seine Kosten. Einmal wird Chinaski nach einer Lesung auf einem Universitätscampus einquartiert. „Die Flasche war noch halb voll. Ich goss mir etwas ein und dachte: Hey, du bist Chinaski. Der legendäre Chinaski. Denk an dein Image. Du bist hier in einem Studentinnen-Wohnheim. Hunderte von Frauen um dich herum. Hunderte!“
Mitten in der Nacht beginnt er, nur mit Unterhose und Socken bekleidet durch die
Geschrei Zutritt: eine Szene nicht ohne bedrohliche Brisanz. Doch die Türen bleiben fest verschlossen. „Ich hörte die Girls kichern.“Alles, was passiert: Ein randalierender Mann wird sich seiner trostlosen Lächerlichkeit bewusst.
Bukowskis Stil erschöpft sich gerade nicht in coolen Sprüchen, im Zelebrieren einer Attitüde. Es sind die Ironisierungen, die Brüche, die Verschiebungen, die ihn heute noch interessant wirken lassen. Einmal mehr findet sich ein biografisches Problem, das sich künstlerisch funktionalisieren lässt: „Ich wollte nicht das sein, was andere von mir / erwarteten.“
Die Auseinandersetzung mit Erwartungen, Projektionen, Provokationen strukturiert Bukowskis Werk auf beeindruckend vielfältige Art und Weise. Konsequent werden Leseerwartungen enttäuscht. Der Erzählstil ist gekennzeichnet durch eine eigenwillige Unausgeglichenheit zwischen radikaler Beiläufigkeit angesichts einschneidender Entwicklungen und dann wiederum kalkuliert redundanten Dialogen von herzzerreißender Banalität Gerade dieses Ver
Alltags. „Kein Ersatz für Bernadette“aus dem Band „Hot Water Music“ist eine diszipliniert konstruierte, zugleich unglaublich verquatschte Kurzgeschichte, die das Spiel mit irreführender Erwartung, mit erotischen Spannungen und systematisch unterlaufener Erzählspannung auf die Spitze treibt: Es geht um eine junge Schönheit mit unübersichtlichem Lebenslauf und sehr vielen, sehr akuten Problemen, eine drastische Penisverletzung und einen schwer zu beeindruckenden, gegen Ende aber doch überraschten Arzt – verlässliche Anhaltspunkte zur Entwicklung der Handlung liefern einzig Andeutungen auf motivischer Ebene.
Keine Spur von „Authentizität“in „Pulp“(„Ausgeträumt“). Bukowskis letzter Roman ist eine rasante Krimiparodie, die sich immer wieder im Absurden verliert. Der Protagonist demontiert sich als Held wie als Erzähler ständig selbst. Hier findet die Auseinandersetzung mit Klischees ihren aberwitzigen Höhepunkt: Die gebrochene Männlichkeit ist vom ersten Satz an als geborgte Attitüde kenntlich.
Gegen seine eigenen Erwartungen hat Henry Charles Bukowski, der im Suff gelegentlich randalierende und früher oder später mit vielen Freunden zerstrittene Kultautor, dessen Beziehung zu seiner langjährigen letzten Liebe Linda Lee allerdings so unglücklich nicht gewesen sein soll, Bukowski, der im Gegensatz zu den jazzaffinen Beatniks begeistert klassische Musik – Mozart, Beethoven, Mahler, Strawinsky – hörte, sogar ein Gedicht über Krankheit und Ende von Hugo Wolf geschrieben. Dieser Bukowski, der bereits mit 35 Jahren beinahe an einer Magenblutung gestorben wäre, hatte seine Sucht so weit bändigen können, dass er letztlich die eigene Großmutter überlebt hat. Als Siebzigjähriger formuliert er: „Herzlichen Glückwunsch, lieber Tod / zu deiner Geduld. / Ich habe dir geholfen, so gut ich / konnte.“
Den Stumpfsinn von Selbstzerstörungsroutinen in prekären Verhältnissen zu beschreiben, ohne allzu grob zu verklären und ohne zu langweilen – das darf als Kunst bezeichnet werden. Bukowskis Werk ist so schlecht nicht gealtert. Das liegt vor allem am gedrosselten Pathos. Statt Larmoyanz und wehleidiger Aggressivität findet sich in seinen Texten bemerkenswert viel Raum für Ambivalenzen; seine Erzählerfiguren verbergen die eigene Verletzlichkeit nicht, suhlen sich aber auch nicht darin, sondern heischen lieber nach der nächsten Pointe. Die kurzen, reduzierten Sätze verlieren so das Kraftmeierische, eine entwaffnende Offenheit blitzt auf. „Obwohl ich mich da irren kann. Und das tue ich meistens, wie man sagt.“
Und wenn sich nach einer Überdosis stereotyper Frauenbilder und allzu nonchalantem Verhältnis zu sexueller Gewalt doch Unbehagen an „Männerbüchern“einstellt, dann gibt es schließlich auch versoffene USAutorinnen mit grimmig groteskem Humor
Bukowski produziere ausschließlich Prosa, sei manchmal nur zu verkatert, um die Zeilen vollzuschreiben, so sein amerikanischer Verleger.