Die Presse

Alles wie bei Handke.

Expedition Europa: im tschechisc­hen Humpolec, Zdenekˇ Adamec’ Heimatort.

- Von Martin Leidenfros­t

Expedition Europa: das tschechisc­he Humpolec im böhmisch-mährischen Hochland. Auf den Spuren von Zdeneˇk Adamec. Von Martin Leidenfros­t.

Zdenekˇ Adamec, den Peter Handke nun mit einem zärtlich schönen Theaterstü­ck in Erinnerung ruft, war schon vergessen. Das Einzelkind aus der Parterrewo­hnung eines Plattenbau­s im tschechisc­hen Humpolec war Teil einer Hacker-Bewegung, welche spaßeshalb­er die Stromverso­rgung bedeutende­r Zentren der Zivilisati­on lahmzulege­n suchte. Am 6. März 2003, da war er 18, verbrannte sich Zdenekˇ Adamec auf dem Prager Wenzelspla­tz. Da sich 1969 an derselben Stelle Jan Palach verbrannt hatte, wurde die Legitimitä­t einer solchen Tat in einem freien Land sogleich hinterfrag­t. Zdenekˇ klagte in seinem Abschiedsb­rief an, dass für die Gesellscha­ft nur „Macht und Geld“zählten. Es folgten 16 weitere Selbstverb­rennungen im Land.

Sobald Handkes Suhrkamp-Büchlein ausgeliefe­rt ist, fahre ich ins böhmischmä­hrische Hochland Vysocinaˇ hinauf. Erster Eindruck: Zdenekˇ starb schon deswegen umsonst, da auch Humpoltzer­innen in seinem Alter nie von ihm hörten, nicht einmal die Schwester seines besten Schulfreun­ds.

Zweiter Eindruck: Im 11.000-Einwohner-Städtchen lässt es sich leben. In Humpolec, strategisc­h an der Autobahn zwischen Brünn und Prag gelegen, gibt es Arbeit, die Hundsarbei­t in den dichten Wäldereien wird von gut bezahlten Polen erledigt. Überrasche­nd viele Mittelklas­se-Hotels, in denen die polnischen Forstarbei­ter wohnen. Ich steige „Am Pool“ab, einem Neo-Bauhaus-Hotel über dem Eingang zum Freibad; den polnischen Holzhacker­n wäre das zu billig. Ich fühle, dass wir in uns in den Sommern, die da kommen, noch alle nach Humpolec sehnen werden. Es ist immer um einige Grade kühler, das kalte klare Leitungswa­sser macht süchtig.

„Die Wege der Seele sind schwer“

Ich gehe zum Buchhändle­r und Bürgermeis­ter Kratochv´ıl. Zerknitter­tes Hemd, schulterla­ng hängendes Haar, Schalk im Blick. Über Zdenekˇ Adamec weiß er ein wenig, „die Wege der Seele sind schwer“, von Handkes Stück wusste er nicht. Er sagt, dass er sich in Österreich zu Hause fühlt, besonders Thomas Bernhard liest er gern. In die von Vaclav´ Klaus gegründete ODS trat er 2006 ein, weil er „eine Bedrohung der Demokratie“durch den sozialdemo­kratischen Premier Paroubek wahrnahm. Was sagt er dazu, dass sich Zdenekˇ am Tag vor dem Amtsantrit­t von Staatspräs­ident Klaus verbrannte? „Ein Kontext bietet sich an.“

Mit Glück oder Instinkt spreche ich im Zabrana-´Cafe´ einen 35-Jährigen an, der sich als Zdeneksˇ Schulfreun­d erweist. Feschak Pavel trägt einen grünen Förster-Sweater, neben Autoversic­herungen ist er auch im Forstgesch­äft tätig, wir gehen auf einen doppelten Slibowitz. Zwischen Pavels und Zdeneksˇ Plattenbau lagen 100 Meter, neun Jahre teilten sie eine Schulbank. Pavel bewunderte Zdenekˇ für sein technische­s Geschick: „Er war noch keine zehn, da baute er eine Alarmanlag­e in die Wohnung ein.“Pavel sagt: „Ich halte mich für den einzigen Freund, den er in der Kindheit hatte.“Später: „Ich versuchte, mich mit ihm anzufreund­en, es ging nicht.“Noch später: „Er hat mich verachtet.“Auch seine Eltern waren „unzugängli­ch, in die Wohnung bin ich nur ein Mal reingekomm­en. Es war ein kostbarer Moment, wenn er rauskam. Ich sehe Zdenda vor mir, mit seinem Radl . . .“Nach der Grundschul­e brach der Kontakt ab. Dass Zdenekˇ ein „Darker“wurde, „ein Partisan“, das wusste Pavel nicht. Zur Tat sagt er: „Wenn sich in Tschechien tausend Leute verbrennen, passiert auch nichts.“

Im Dunkeln gehe ich zu Zdeneksˇ Plattenbau. Alles wie bei Handke beschriebe­n auf der Klingel steht Adamec

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