Salzburger Wohl und Weh.
Salzburger Festspielgeschichte, biografisch: Michaela Schlögls „Die Festspielmacher“.
In ihrem Buch „Die Festspielmacher“bereitet Michaela Schlögl die Salzburger Festspielgeschichte biografisch auf. Gelesen von Wolfgang Freitag.
Hundert Jahre sind keine Kleinigkeit. Zumal wenn es hundert Jahre einer Institution sind, die sich im Lauf dieser hundert Jahre aus einer zunächst fast ins Fantastische überzogenen und keineswegs durchgängig von Zustimmung begleiteten Idee zu einer bestimmenden Konstante des internationalen Kulturlebens entwickelt hat, einer Konstante, die nicht einmal angesichts des Furors einer Pandemie Zweifel an dieser Bestimmung zulässt. Dass sich ausgerechnet in einem Land, das so oft in Sachen Innovation um die Pole „Wos brauch ma des“und „Des ham ma ja no nie ghabt“zu kreisen scheint, aus einer Privatinitiative etwas wie die Salzburger Festspiele entwickeln konnte, ist ein Wunder sui generis. Und wie große Mengen Erzählstoff die ersten hundert Jahre dieses Wunders geliefert haben, war dieser Jubiläumstage hinlänglich zu erfahren.
Könnte man jedenfalls glauben, bevor man Michaela Schlögls Band „Die Festspielmacher“gelesen hat. Danach freilich, zugegeben, ist man noch einmal ein gutes Stück klüger. Die Wiener Kulturpublizistin erzählt die Festspielgeschichte den Biografien ihrer „Querdenker, Vordenker, Nachdenker“entlang und räumt dabei nicht nur jenen, die seit je im Blickpunkt einschlägiger Reminiszenzen stehen, angemessen Raum ein, sondern auch Persönlichkeiten, deren Bedeutung für Salzburg traditionell unterbelichtet ist. Etwa die des Musikwissenschaftlers und Dirigenten Bernhard Paumgartner: als Leiter des Mozarteums Mitbegründer der Salzburger Festspiele, Festspielpräsident der 1960er und so ganz nebenbei mit seiner Wiederentdeckung des Cavalieri-Oratoriums „Rappresentatione di Anima, et di Corpo“für die Felsenreitschule 1968 gleichsam einer der Ahnherren dessen, was heute als Originalklangbewegung längst omnipräsent ist.
Reinhardts „Fledermaus“-Plan
Wo sich Schlögl doch den Salzburger Big
Names nicht versagt, versäumt sie es nicht, eher Entlegenes ans Licht zu bringen. Etwa Max Reinhardts Plan, für die Festspiele 1937 die „Fledermaus“zu „entstauben“, mit Hermann Thimig als Eisenstein und mit einem nicht einmal 30-jährigen Salzburger am Dirigentenpult: Herbert von Karajan. Auch Politisches kommt nicht zu kurz: etwa die „Bitte“des deutschen Reichspropagandaministeriums, gerichtet an Richard Strauss und Wilhelm Furtwängler, von einer Mitwirkung an den Festspielen 1934 „im politischen Interesse“Abstand zu nehmen. Und dass zwar Furtwängler, jedoch nicht Strauss dieser „Bitte“nachkam.
Was sich an solchem ablesen lässt: dass den Festspielen schon in den 1930ern, kaum mehr als zehn Jahre nach Gründung, eine auffallend große politische Bedeutung beigemessen wurde. Woran sich später, nach Diktatur, Vertreibung, Krieg, nichts ändern sollte. Das Salzburger Wohl und Weh blieb – und ist bis zum heutigen Tag – Causa prima in einem Land, das Kultur zumindest in offiziellen Adressen zum Allerheiligsten seines Selbstverständnisses zählt, einem Allerheiligsten, über das jede und jeder eine Meinung hat. Da kann es dann passieren, dass sich ein Finanzminister (Franz Vranitzky) bemüßigt fühlt, ein heute längst zum zentralen Bestand der Gegenwartsdramatik zählendes Stück, Thomas Bernhards „Theatermacher“, ohne langes Zaudern „unappetitlich“zu nennen.
„Die Festspielmacher“: lesenswert für alle, die eh schon immer alles gewusst haben – und für alle anderen sowieso.