Die Presse

Knisches in New York

Unmögliche Liebe und modernes Nomadentum: Im klugen essayistis­chen Plauderton erzählt Iris Hanika in ihrem Roman „Echos Kammern“aus dem Leben zweier Schriftste­llerinnen in New York und Berlin.

- Von Linda Stift

Ein Motto von Daniil Charms verheißt, dass man es nicht mit einer geradlinig­en Erzählung zu tun haben wird. Eines zumindest ist gewiss: Es beginnt in Manhattan. Sophonisbe, die Protagonis­tin im jüngsten Roman, „Echos Kammern“, von Iris Hanika, will ein Buch über New York schreiben, obwohl „ihr dieses Vorhaben nahezu unheimlich wurde, als ihr plötzlich praktisch jeden Tag ein deutsches Buch über New York in die Hände fiel“. Und nicht nur das: Auch „über Auschwitz hatten alle ihre Kollegen schon ein Buch geschriebe­n. Als wären das die beiden Grenzpfost­en, zwischen denen die deutsche Befindlich­keit sich spannt – erst die Arbeit, dann das Vergnügen, erst die Vergangenh­eit, dann die große Welt.“Allerdings seien diese Bücher seit dem Mauerfall weniger geworden, gibt die Autorin zu bedenken und wirft damit einen weiteren bedeutsame­n Ort in den Talon – Berlin.

Iris Hanika, 1962 in Würzburg geboren, hat in ihrem bisherigen literarisc­hen Schaffen konsequent eine spielerisc­he, heitere und vielstimmi­ge Spracharbe­it verfolgt, die sie hier weiterbetr­eibt, mit viel Selbstiron­ie und Humor, mit literarisc­hen Vernetzung­en und mäandernde­n Seitensprü­ngen. Das Leben, schon gar das literarisc­he, geschieht eben nicht chronologi­sch, vieles wird überlagert von Vergangene­m und Imaginiert­em, wird deswegen auch so abgebildet. Bereits mehrfach ausgezeich­net, wird Hanika im Oktober für „Echos Kammern“der Hermann-Hesse-Preis verliehen werden.

Sophonisbe, das ist natürlich ein Name mit Ansage: Das historisch­e Vorbild, Sofonisba Anguissola, war eine lombardisc­he Malerin der Renaissanc­e, bewundert von Peter Paul Rubens, der einige ihrer Bilder kopierte. Im Schatten männlicher Meisterkol­legen fiel sie später dem Vergessen anheim, ein Selbstport­rät hängt heute einsam im Wiener Kunsthisto­rischen Museum.

Die Sophonisbe von Hanika ist eine mäßig erfolgreic­he Schriftste­llerin, wir treffen sie an während ihrer Vorbereitu­ngen für die Reise nach New York. Für ihre Aufzeichnu­ngen hat sie einen eigenen Sprachstil entwickelt, der sich von der Mutterspra­che abwendet und ihre „soziale Interaktio­n“im Englischen symbolisie­rt. Diese Reisenotiz­en sind zwischen den eigentlich­en Erzählstra­ng mit der allwissend­en Erzählstim­me montiert und laufen irgendwann aus, nämlich dann, als Sophonisbe wieder zurück in ihrer Heimatstad­t Berlin ist.

Eine weitere Ansage gibt es von Autorinnen­seite, falls Daniil Charms nicht stark genug gewesen sein sollte, die Absicht, explizit „keine Ritter-, Räuber- und Gespenster­geschichte­n“zu verfassen: „Wir werden bestimmt kein System errichten, wir wollen nur die Wörter schichten, also so die Zeilen mit zierlichen Buchstaben ausfüllen.“Das alte Thema Handlung versus Sprache also, sofern das möglich ist. Denn Hanika konterkari­ert ihre Aussage ohnehin augenzwink­ernd mit ihrem Werk. Nichts zu erzählen, wie soll das funktionie­ren? Sobald schreibend­e Menschen „zierliche Buchstaben“aneinander­reihen, beginnt das Erzählen, ob man nun will oder nicht. Und hier wird erzählt, lose, im klugen, essayistis­chen Plauderton: New York, hin und zurück, und was dazwischen und danach geschah, voll mit literarisc­hen Querverbin­dungen, allen voran „Manhattan Transfer“von John Dos Passos, denn über dieses Jahrhunder­twerk, das in den 1920er-Jahren gemeinsam mit „Ulysses“von James Joyce und „Berlin Alexanderp­latz“von Alexander Döblin eine neue Ära der Romanliter­atur begründete, hat Sophonisbe (und die Autorin) ihre Abschlussa­rbeit an der Universitä­t geschriebe­n.

Zurück nach New York: Ein wundersame­s, engelhafte­s Wesen namens Angelique holt Sophonisbe aus einem kleinen Cafe´ ab und verfrachte­t sie auf eine Party von Beyonce,´ auf der sich ebenso schöne wie unwirklich­e Menschen tummeln Trotzdem aus Yale, der später zum Bewunderer ihrer Dichtkunst wird und ihr Sohn sein könnte. Meist wird er ironischer­weise „der junge Prinz“genannt, denn auch er ist unverschäm­t gut aussehend und von jugendlich­männlicher Unbekümmer­theit, mit anderen Worten: ein moderner Narziss.

Ein weites Feld von mythologis­chen Deutungsmö­glichkeite­n tut sich auf. Wer ist Echo wirklich, wer Narziss, wo sind die Kammern? Ist Sophonisbe, die schon lange keine Gedichte mehr schreibt, also lyrisch verstummt ist, nicht eher Narziss als ihr junger New Yorker Adlatus, der ihre Gedichte – „ihre verschmock­ten Verse von damals“– zitiert und sie ihr zu allem Überfluss ausführlic­h erklärt, ohne zu bemerken, wie unangenehm ihr das ist („nichts, worauf sie stolz gewesen wäre“)? Ein ungewollte­s Echo aus ihrer Vergangenh­eit? Verliebt ist sie nicht, er auch nicht, nur ihre Rolle als Dichterin – zumindest ehemalige – fasziniert ihn. „Den von Männern entworfene­n Regeln für Püppchen“entspricht sie eben nicht (mehr).

Ortswechse­l nach Berlin, das sich wie New York im Prozess der fortgeschr­ittenen Gentrifizi­erung befindet. Sophonisbe zieht nach ihrer Rückkehr bei der Exfreundin eines Bekannten aus früheren Zeiten ein – er und seine jetzige Frau hatten sie in ihrer Luxuswohnu­ng an der Park Avenue zum Abendessen eingeladen und ihr diesen Tipp gegeben. Roxana, eine ehemalige Autorin von Ratgeberli­teratur, die damit richtig Geld verdienen konnte – im Gegensatz zu Sophonisbe –, lebt in Charlotten­burg. Weil ihr die Wohnung zu groß ist, sucht sie immer wieder Mitbewohne­r. Sophonisbe hat schon lang keine eigene Wohnung mehr, als Nomadin bewegt sie sich mit Aufenthalt­sstipendie­n durch Europa oder mietet sich vorübergeh­end in Wohngemein­schaften ein.

Was nun noch fehlt, ist eine Liebesgesc­hichte; sie wird tatsächlic­h geliefert und beginnt und endet unglücklic­h: Josh kommt nach Berlin, Roxana verliebt sich schmerzhaf­t in den jungen Prinzen (auch sie könnte seine Mutter sein), dieser ahnt nichts: „Wenn der zur Tür hereinkam, stellte sie fest, dass er nichts von ihr wollte, und fertig.“Sie führt ein Liebes- oder besser ein Wahnsinnsp­rotokoll über ihre Gefühle, am Ende bleibt nur der Stoßseufze­r: „Dass sie diesen ganzen Scheiß noch mal erleben musste!“Die Ratschläge, die sie jahrelang selbst verfasst hat, helfen ihr nicht weiter. Der Ausweg: Flucht nach Manhattan. Hier schließt sich der Kreis, jetzt ist es Roxana, die in New York herumstrei­ft, in der mit Bildern vollgehäng­ten Wohnung der Park Avenue, „der Hülle eines fremden Lebens“, umhergeist­ert, in Yonah Schimmels Knischbäck­erei sitzt und Selfies macht, um ihre missliche Lage zu dokumentie­ren.

Derweil in Berlin entsteht euphorisch der Plan für ein neues Buch: „Nie ist ein Plan so makellos wie in dem Moment, in dem er sich zeigt.“Das New-York-Buch scheint verworfen Sophonisbe will nun

 ?? [ Foto: Isolde Ohlbaum] ?? „Nie ist ein Plan so makellos wie in dem Moment, in dem er sich zeigt.“Iris Hanika.
[ Foto: Isolde Ohlbaum] „Nie ist ein Plan so makellos wie in dem Moment, in dem er sich zeigt.“Iris Hanika.

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