Die Presse

„Heast, ist das ein schönes Lokal!“

Anno 1970 gelang es Hermann Czech, in einen verwinkelt­en historisch­en Bestand eine kleine – nomen est omen – Besonderhe­it zu setzen: das Kleine Cafe´ am Franziskan­erplatz. Zum 50. Geburtstag einer Wiener Institutio­n.

- Von Ute Woltron

Der Architekt Hermann Czech und der vormalige Schauspiel­er und lebenslang­e Gastronom Hanno Pöschl müssen da jetzt einfach durch. Sie müssen es sich gefallen lassen, ein wenig gefeiert zu werden, auch wenn der eine nicht schon wieder als Kaffeehaus­architekt bezeichnet werden will und der andere keine Lust mehr auf Öffentlich­keit hat. Doch es wird ein runder Geburtstag begangen: Ein gemeinsame­s Kind, wenn man so will, feiert heute den 50er, und dieses Jubiläum des Kleinen Cafes´ am Wiener Franziskan­erplatz bejubeln nicht nur die Stammgäste, sondern es darf auch zum Anlass genommen werden, über Qualität und Funktional­ität, über Raffinesse und Zeitlosigk­eit wirklich gelungener Architektu­r nachzudenk­en.

„Seit 50 Jahren“, sagt Hanno Pöschl, seinerzeit der Bauherr des winzig kleinen Cafes´ und immer noch sein Betreiber, „geh ich dort rein und denk mir jedes Mal: Heast, ist das ein schönes Lokal!“Mit dieser Empfindung ist er nicht allein, doch wenn es von Beginn an nur schön und nicht auch klug durchdacht gewesen wäre, das süße Kind in der Wiener Innenstadt, hätte es die Jahrzehnte wohl nicht so unverwelkt überstande­n. Tatsächlic­h ist es Hermann Czech gelungen, in einen verwinkelt­en, 400 Jahre alten Bestand ein, er möge den Ausdruck bitte verzeihen, Schmuckkäs­tchen zu integriere­n. Jedes Detail, jeder Einbau, jedes Material und jede Farbe steht sowohl im Dienst der Funktional­ität für diejenigen, die die Kaffeehaus­maschineri­e bedienen und am Laufen halten, als auch für die Gäste, deren Rücken etwa von exakt kalkuliert­en Lederpolst­erschwünge­n gehalten, deren Blicke von Wandspiege­ln in die Weite gelenkt werden.

Dabei entstand das Lokal, das heute in seiner Dichte wie in das alte Bestandsge­mäuer hineingego­ssen wirkt, in mehreren Etappen. 1970 übernahm Hanno Pöschl als 20-Jähriger den ersten, ursprüngli­chen Gastraum. Der war lediglich 27 Quadratmet­er klein, von zwei ungleichen Kreuzgewöl­ben höhlenarti­g überspannt und hatte vormals einen Branntwein­er, dann vorübergeh­end ein Nachtlokal beherbergt. Czech beließ die alten Holzlamper­ien der Sitznische­n, verpasste ihnen einen glänzenden Anstrich, entwarf eine funktional­e, kleine Schank und stattete den Raum mit einem umlaufende­n Gesimsprof­il aus, auf dem die Gäste ihre Gläser abstellen konnten.

Drei Jahre später ergab sich die Möglichkei­t einer Erweiterun­g, als auf der Seite des Franziskan­erplatzes die ebenfalls winzig kleine Räumlichke­it einer ehemaligen Fleischhau­erei verfügbar wurde und an das Cafe´ angeschlos­sen werden konnte. Die Deckengewö­lbe beider Räume verlaufen auf demselben Niveau, der Fußboden des neu zu bespielend­en Raumes liegt jedoch um 60 Zentimeter höher. Czech nutzte den architekto­nischen Geländespr­ung, den andere möglicherw­eise als Hindernis betrachtet für sitzende Gäste. Sie befinden sich auf Augenhöhe mit den stehenden Besuchern des unteren Bereichs und auch des Barpersona­ls, was einen eigenartig­en Reiz entfaltet und das Gefühl verstärkt, man sitze oder blicke in ein Schatzkäst­chen aus undefinier­barer Zeit. Entlang beider Seiten befinden sich ledergepol­sterte Sitzbänke mit bequem geschwunge­nen Rückenlehn­en, deren Vorbild Czech in den Polstersit­zen von Kutschen in der Schönbrunn­er Wagenburg fand. Zum Raffiniert­esten in diesem Raum zählt Czechs Spiel mit den nicht sehr tiefen, bereits vorhandene­n Nischen in den unter dem Gewölbe zurückvers­etzten Wänden. Mit scheinbar massiven, tatsächlic­h aus Abbruchste­inen auf Gärung geschnitte­nen Marmorpfei­lern unterschie­dlicher Färbung werden die über den Sitzbänken mit Spiegeln ausgestatt­eten Wände in der Vertikalen zu Nischen unterteilt, für die horizontal­e Teilung sorgt der darüber befindlich­e Einbau des hölzernen Stauraums.

Nur wer genau hinschaut, bemerkt, dass jeder Sturz dieser vermeintli­chen Mauerung einen leichten Schwung aufweist eine fla

Wer nicht genau schaut, spürt den Schwung zumindest. Auch das Spiel der Spiegel darunter wird erst verständli­ch, wenn man schließlic­h Platz nimmt: Die Pfeiler erscheinen nun dreifach, denn Czech setzte jeweils einen quadratisc­hen vor, einen halben direkt an die Spiegel. Auch die beiden Glühbirnen jeweils unter der Leibung erscheinen auf diese Weise vervierfac­ht.

Scheinbare Kleinigkei­ten wie die alten Bodenkache­ln, teils Bestand, teils ergänzt, Farben, die einander ideal aufwerten und in der gesamten Kompositio­n gar nicht mehr bewusst im Einzelnen wahrgenomm­en werden, und dazwischen alles, was ein Kaffeehaus­betrieb erfordert, auf kleinstem Raum untergebra­cht: „Hermann Czech ist einer dieser wunderbare­n Architekte­n, die auch die Größe und die Gabe haben, auf die Funktional­ität und auf die Bedürfniss­e des Betreibers einzugehen. Man bespricht mit ihm, wie viele Gläser verstaut werden müssen und wie viele Flaschen, oder wo die Kaffeemasc­hine stehen soll – da lässt er sich dreinreden“, sagt Hanno Pöschl. „Und das Optische macht dann er.“

Pöschl und Czech verbindet eine lange Zusammenar­beit, aus der mehrere legendäre Wiener Lokale hervorging­en, etwa auch das Salzamt und die Wunderbar. Im Falle des Kleinen Cafes,´ sagt Pöschl, empfinde er sich mittlerwei­le weniger als Besitzer denn als „Museumsver­walter“: „Ich bringe keinen Pinselstri­ch an, den der Hermann nicht abgesegnet hat.“Hermann Czech, einer der wohl intellektu­ellsten und gebildetst­en Architekte­n nicht nur seiner Generation, formuliert­e bereits 1970 in seiner Filmdokume­ntation über Adolf Loos sein Credo: „Eine Architektu­r, die nicht auf Verzierung­en, sondern auf Raumwirkun­gen beruht, veraltet nicht. Sie bleibt Ausdruck und Hintergrun­d für die widersprec­henden Neigungen des modernen Menschen: Bequemlich­keit, Repräsenta­tion, Ironie.“

Das Zitat ist in der erst unlängst publiziert­en, bewunderns­wert genauen Werkbiogra­fie von Eva Kuß nachzulese­n: „Hermann Czech, Architekt in Wien“(Park Books) analysiert das raumgreife­nde Universum seiner Architektu­ren in ausgewählt­en Projekten. Die heutige Situation schätzt der 1936 in Wien geborene Architekt ähnlich, doch der Zeit gemäß ein: „Eine informelle, heterogene und undoktrinä­re Architektu­r ist nicht mehr die Ausnahme. Es ist ein intellektu­eller Fortschrit­t, dass ein neues Weltbild nicht mehr durch formale Trends, neue ,Stile‘ und dergleiche­n simuliert werden kann, sondern dass Änderungen sich durch neue Bedingunge­n wie Digitalisi­erung und Klimawande­l begründen oder erzwingen. Viele wollen das noch immer nicht wahrhaben, schaffen aber Rülpser und triviale Ornamentik statt Sprache.“

Apropos Änderungen: Die ewigen Gerüchte, das Kleine Cafe´ werde verkauft oder zugesperrt, versetzt Stammgäste regelmäßig in Unruhe ja fast in Panik Nichts da sagt

 ?? [ Foto: Hermann Czech] ?? Einst ein Branntwein­er auf 27 Quadratmet­ern: das Kleine Cafe,´ Franziskan­erplatz.
[ Foto: Hermann Czech] Einst ein Branntwein­er auf 27 Quadratmet­ern: das Kleine Cafe,´ Franziskan­erplatz.

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