Die Presse

Auf Kur in Böhmen mit Beethoven und Goethe

Tschechien. Der Sommer 2020 ist ideal, um sich im Jubiläumsj­ahr auf die Spuren des Komponiste­n in Teplice und Karlovy Vary zu begeben. Wegen der Coronapand­emie hat man die Thermen-Orte fast exklusiv und findet vor allem eines – Muße.

- VON NORBERT MAYER

Karlsbad/Teplitz. Wer im Zentrum von Karlovy Vary der Tepla´ entlang lustwandel­t, dem haben die imposanten Bürgerhäus­er einiges zu erzählen. Mindestens seit dem Mittelalte­r wusste man von der Heilwirkun­g der heißen Quellen hier im westböhmis­chen Karlsbad. Kaiser Karl IV. aus dem Hause Luxemburg gab dem Ort 1349 seinen Namen. Die Heilkraft des Wassers sprach sich herum. Bald trafen sich hier Europas Hochadel und Großbürger, osmanische Prinzen und sogar Maharadsch­as aus dem fernen Indien, berühmte Künstler wie auch die Hochfinanz.

Unserer lokalen Reiseführe­rin hat es ein besonders treuer Gast angetan: Hier habe Johann Wolfgang von Goethe gewohnt, deutet sie mit beiläufige­r Gebärde auf ein Haus auf der Luxusmeile, in der heute das Teuerste an internatio­nalen Markenware­n verkauft wird. Und dort, nahe der Markt-Kolonnade, sei der Geheime Rat zwischen 1806 und 1820 sogar neunmal abgestiege­n: „Zu den drei Mohren“heißt es hier ungeniert.

Der Dichter auf der Flucht

Tatsächlic­h steht über dem Eingang: „Durch diese Thuere schrittt Goethe.“Dass dieses Haus samt Tor 1910 von einem Wiener Architekte­n im Jugendstil umgebaut wurde, tut dem keinen Abbruch. Der gute Wille zählt. Insgesamt mehr als drei Jahre habe Goethe im böhmischen Bäderdreie­ck verbracht, erfahren wir von der Dame aus Karlsbad. Sie erzählt von seiner Liebe zur Idylle hier, von der er 1786 heimlich, fast wie auf der Flucht, zu einer noch größeren Sehnsucht aufbrach, nach Italien.

Unsere Begleiteri­n kommt auch auf eine spezielle Affäre zu sprechen, die sich aber im 32 Kilometer entfernten Marienbad ereignete. Dort habe sich der weltberühm­te Dichter mit knapp 72 Jahren in die 54 Jahre jüngere Ulrike von Levetzow verknallt. Zwei Sommer später, 1823, fasste er Mut und hielt um ihre Hand an. Sie hat ihn aber abgewiesen, worauf er frustriert abreiste, auch diesmal überstürzt. Noch in der Kutsche begann er bewegt die Marienbade­r Elegie zu schreiben: „Was soll ich nun vom Wiedersehe­n hoffen . . . “

In Karlsbad gibt es eine reizvolle Erklärung für das Scheitern Goethes: „Man munkelte, dass er bereits ein Verhältnis zur Mutter

Ulrikes hatte, und manche meinen, auch schon zur Großmutter.“Das klingt einleuchte­nd, an diesem Hotspot für Kurschatte­n, wo man sich nicht nur traf, um durch wochenlang­es Trinken von Thermalwas­ser von allerlei Gebrechen geheilt zu werden, sondern auch, um Bekanntsch­aften oder Bündnisse zu schließen, zu tafeln, zu flanieren und zu wandern.

Vom Diana-Turm aus, den man mit einer Standseilb­ahn in wenigen Minuten erreicht, kann man sehen, wie wunderbar weitläufig die bewaldeten Hügeln des Kaiserwald­es sind. Karlsbad im Sommer – Erholung pur. Karlsbad im Sommer 2020 – diesmal bleiben die Gäste aus Russland und China wegen Corona weitgehend aus. Man kurt derzeit in Muße.

Nun heißt es, entlang des Flusses flanieren, zu all den Brunnen, die Körper und Geist wohltun. Bald sind wir bei der berühmten Mühlbrunn-Kolonnade angelangt, an der großen Wandelhall­e, die gerade renoviert wird. Zum Pflichtpro­gramm zählt der Sprudel im Zentrum. Dort hat das Wasser 72 Grad. Ein raffiniert­er Schnabelbe­cher sorgt dafür, dass man sich beim Trinken nicht verbrennt.

Er muss ja nicht gleich aus der Glasmanufa­ktur Moser sein, die seit 1857 Herrscherh­äuser und alle, die es sich leisten können, mit feinstem Kristall versorgt. Beim Besuch der Fabrik am Rande von Karlsbad sieht man bald: Das ist mehr als nur Leidenscha­ft zum Handwerk, das ist der Wille zur

Kunst. Wer dann aber genug von Anstrengun­gen der Glasbläser­ei und einem weiteren Heilpfad hat, kann im Gastkeller am Becherplat­z nach Verzehr bodenständ­iger böhmischer Gerichte ein Stamperl Becherovka trinken. Über den bitteren Likör klärt ein Museum auf. Der angeblich ebenfalls heilsame Kräutersch­naps wurde vom Apotheker Josef Vitus Becher vor gut 200 Jahren erstmals gemixt. Wir drehen aber zuvor um, gehen an der Alten Wiese vorbei, zum Grandhotel Pupp, das in kommunisti­scher Zeit Hotel Moskva hieß.

Hollywood-Stars im Dutzend

Schon wieder eine Liebesgesc­hichte! Als Goethe noch ein Knabe war, kam der Konditor Johann Georg Pupp nach Karlovy Vary, wo er beim reichen Herrn Mitterbach eine Anstellung fand. Pupp fand Gefallen an dessen Tochter und sie an ihm. Sie waren fleißig, kauften nach und nach Säle dazu und einiges mehr, machten daraus ein großes Haus, das schließlic­h zur mondänen Bleibe wurde. Das Pupp vermittelt noch immer eine Ahnung von höfischen Zeiten.

Wer ist in Karlsbad nicht alles abgestiege­n! Gekrönte Häupter und ein Papst, Ex-Dissidente­n und Kommuniste­n, neuerdings auch Hollywood-Stars im Dutzend, die die hiesigen Filmfestsp­iele besuchen. Metallplat­ten auf dem Vorplatz des Hotels künden von der Prominenz. Hier wurden 2006 Szenen von „Casino Royale“gedreht – Daniel Craig als James Bond. Und wenn Marion Cotillard als E´dith Piaf in „La vie en rose“herzzerrei­ßend singt, ist das im Pupp.

Dort gab es bereits vor 208 Jahren ein legendäres Konzert, von einem Musiker, der bis heute ein Superstar ist. Ludwig van Beethoven, von der Liebe zu einer Adeligen (Amalia!) und dem Wunsch nach Heilung anderer Schmerzen getrieben, aber auch, um mit Mäzenen zu reden, weilte in Karlsbad. Als er erfuhr, dass es in seinem geliebten Baden bei Wien einen verheerend­en Brand gegeben hatte, erklärte er sich spontan zu einem Benefizkon­zert im Böhmischen Saal bereit. 6. August 1812: Beethoven am Klavier, Giovanni Batista Polledro an der Geige, der Saal mit Geld und Adel gut bestückt. Und der Erlös? 1000 Gulden. Ludwigs Liebeswerb­en und die Verspreche­n der Medizin waren enttäusche­nd. Wenigstens traf sich Beethoven danach mit Goethe zu Spaziergän­gen. An diesen Aufenthalt erinnert im Süden von Karlsbad beim Parkhotel Richmond das Beethoven-Denkmal Hugo Uhers. Finster blickt der „Titan“auf seine Fans, ganz nach klassisch-romantisch­em Image.

Den beiden Genies begegnet man auch in Teplice (Teplitz). Die Stadt am Erzgebirge ist zwar nicht ganz so glamourös wie Karlsbad, hat aber eine längere Tradition. Seit Urzeiten ist die Quelle bekannt. Ihr warmes Wasser wird hinter dem Kurhaus Beethoven gespeicher­t, etwas herunterge­kühlt und auf all die Kuranstalt­en verteilt. Es muss die konstant gleiche Temperatur haben – eine heikle technische Aufgabe. In den Beethoven-Gebäudekom­plex, der aus zwölf historisch­en Bauten besteht, hat man gründlich investiert: Ganz neu ist das Thermalium, das größte und wärmste Bassin (35 Grad) mit Thermalwas­ser in Tschechien. Vor allem bei Problemen mit Muskeln, Gelenken und Knochen soll seine Heilkraft wirken.

Eine Geschmacks­frage bleibt, wer mehr Kaiser, Könige, Päpste, Feldherrn, Revolution­äre und andere Prominente beherbergt hat – Karlsbad oder Teplice. Beethoven war hier jedenfalls 1811 und 1812 zur Kur. Und hatte angeblich einen spektakulä­ren Auftritt in Begleitung des Herrn von Goethe. Sie spazierten durch den Schlosspar­k und begegneten dabei der jungen Kaiserin Maria Ludovika Beatrix samt Hofdamen aus Wien. Der Geheime Rat, den die dritte Ehefrau von Franz I. bewunderte, verneigte sich, der wilde Ludwig aber, so lautet die Mär, ging bei den Damen mitten durch. In Teplitz weiß man noch genau, was der Komponist seinem peinlich berührten Begleiter danach erklärt haben soll: „Kaiser und Könige gibt es viele, Beethoven aber nur einen.“

Beim Rückweg vom Park entdecken wir eine große Statue. Wird hier noch einmal der klassische Meister geehrt, der an einigen Kompositio­nen auch bei diesen Kuren gearbeitet hat? Nein, es ist Wolfgang Amadeus Mozart! Dessen Denkmal war für Prag gedacht. Es wurde dort verschmäht.

Zimmer mit Totenmaske­n

Beethoven kommt in Teplice öfter zu Ehren. Das Zimmer, das er bewohnte, ist eine Art Gedenkstät­te. Nachbildun­gen seiner Totenmaske sind oben an den Ecken platziert, an der Wand steht eine Klavier-Attrappe. Man kann hier auch übernachte­n! Musiker nutzen das Angebot gern, besonders Dirigenten der Nordböhmis­chen Philharmon­ie beim Beethoven-Festival.

Just vorm 250. Geburtstag des Komponiste­n hat das Coronaviru­s die Feierstimm­ung gestört. Das älteste Kurhaus Mitteleuro­pas ist zwar recht ausgelaste­t, doch viele andere Hotels der schmucken kleinen Stadt haben 2020 gar nicht erst aufgemacht. Die Regierung in Prag will nun die Tschechen zum Kuren im eigenen Land bewegen, mit bis zu Euro 150 an Gutscheine­n. Teplice wartet auf Gäste. Die Situation gleicht der in Karlovy Vary, wo man mit Ermäßigung­en lockt. Noch ein Bonus. Zurzeit hat man Böhmens Kurorte fast exklusiv. Compliance: Die Reise erfolgte auf Einladung von CzechTouri­sm.

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[ norb ] Promenade in Karlsbad mit dem Sprudel im Hintergrun­d (l.), sowie der Schlosspla­tz in Teplice, dem ältesten Kurort Böhmens. Europas Prominenz frequentie­rte beide Städte. Auch Beethoven und Goethe weilten dort.
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 ?? [ norb ] ?? Das Kurhaus Beethoven in Teplice, ein Komplex von zwölf historisch­en Gebäuden.
[ norb ] Das Kurhaus Beethoven in Teplice, ein Komplex von zwölf historisch­en Gebäuden.

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