Memphis & Tupelo: Pilgerorte für Königstreue
USA. Der King of Rock’n’Roll lockt noch immer jede Menge Fans. Jünger werden die aber nicht.
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Jahre wäre der King of Rock’n’Roll heuer geworden, am Sonntag jährt sich sein Todestag zum 43. Mal. Und immer noch pilgert ein – inzwischen zunehmend älteres Publikum – Jahr für Jahr an seine Wirkungsstätten. An denen der heurige halbrunde Geburtstag wieder einmal dafür genutzt wurde, ordentlich die Werbetrommeln zu rühren – und das auch mit Erfolg, zumindest bis Corona dazwischen kam. „Allein an seinem Geburtstag im Jänner waren über 400 Besucher hier“, berichtet Christine Lamb, die an der Gedenkstätte in Tupelo im Gift-Shop arbeitet. Der ist hier ein zentrales Element der ineinander übergehenden Innenräume zur Elvis-Huldigung.
Selfie mit Papp-Elvissen
Anders als am direkt anschließenden Selfie-Point, an dem man sich mit zwischen zwei lebensgroßen Papp-Elvissen fotografieren (lassen) kann, herrscht im Gift-Shop allerdings striktes Fotografier-Verbot. Was wirklich schade ist: Denn neben den üblichen Postkarten, Kühlschrank-Magneten und Baseball-Caps finden sich Elvis-Fotos, seine Gitarre oder das Rezept seines „weltberühmten“Erdnussbutter-Bananen-Sandwichs auch auf Sparschweinen, Weihnachtsdekorationen und Teddybären. Hier gibt es eine 30 Zentimeter hohe Statue des 13-jährigen Elvis um wohlfeile 295 Dollar (rund 260 Euro), die 45-Zentimeter-Variante kommt auf 495 Dollar. Etwas günstiger lässt sich das blecherne Straßenschild um 11,95 erwerben, und wirklich sinnvolle Souvenirs wie die Gitarrenplättchen mit dem Aufdruck „Elvis Birthplace“gibt es schon um einen Dollar.
Grundsätzlich versteht sich das kleine Städtchen darauf, aus seinem berühmtesten Sohn – die Liste der Berühmtheiten der Stadt umfasst gerade einmal zwölf Namen, einer davon ist übrigens Diplo – Kapital zu schlagen. Anders als viele andere Orte im ländlichen Mississippi, glänzt die 35.000 Einwohner-Stadt mit blumengeschmückten Gehsteigen, gut instand gehaltenen Straßen und einer Reihe netter Hotels und Restaurants, die man im ländlichen tiefen Süden oft vergeblich sucht.
Geburtshaus und Kirche
Zu verdanken haben die Einwohner diesen Wohlstand der Tatsache, dass Elvis Aaron Presley hier am 8. Januar 1935 das Licht der Welt erblickte – in einem sogenannten „Shotgun“-Haus, das sorgfältigst konserviert nun der Mittelpunkt der „Birthplace“-Pilgerstätte ist. Shotgun-Häuser haben ihren Namen daher, dass man durch sie mir einer Flinte von vorne nach hinten hindurchschießen kann: So klein und einfach sind diese schlichten Holzhäuser, in denen ein Wohn- und ein Schlafraum hintereinanderliegen.
Das Haus der Presleys hatte Vater Vernon ein Jahr vor der Geburt der künftigen Superstars um 180 vom Arbeitgeber geborgte Dollar erstanden und verlor es wenige Jahre später wieder, weil er den Ratenzahlungen nicht nachkommen konnte. Heute steht das Haus noch immer an seinem Platz, allerdings sieht die Umgebung um ein Vielfaches idyllischer aus, als sie seinerzeit gewesen sein dürfte. Auf der Rückseite des kleinen Museums – die Vorderseite ist für PKW- und reichlich Busparkplätze reserviert – stehen in einem liebevoll angelegten Park eine Handvoll Gebäude, die für das frühe Leben des späteren King prägend waren. Zu allererst einmal das Haus, dessen Anblick von außen samt kurzem Probesitzen auf der VerandaSchaukel gratis ist; wer hinein möchte, muss acht Dollar zahlen oder ein Kombiticket um 15 Dollar kaufen, das dann auch Zugang in das Innere der auf dem Gelände stehenden Assembly of God-Kirche umfasst.
Häusl mit Plexiglas
Hier lauschte Jung-Elvis ersten Gospel-Klängen, was seine Karriere nach der Birthplace-Legende maßgeblich beeinflusste. Gratis ist dagegen ein Blick auf das ernsthaft ebenfalls ausgestellt Outhouse – also: Häusl – der Familie Presley. Mit geöffneter Tür, aber hygienisch mittels Plexiglasplatte gesichert, bleiben hier kaum Einblicke in das Leben des jungen Kings verborgen.
Der „Walk of Life“führt die bis zu 100.000 jährlichen Besucher an einer Statue der 13-jährigen Elvis vorbei und über datierte Granitblöcke, mit denen die Pilgerstätte Fans die Möglichkeit geben will „durch jedes Jahr seines Lebens zu gehen und vielleicht stehen zu bleiben, um besondere Ereignisse zu reflektieren“.
Wer danach noch nicht genug von Jung-Elvis hat, kann sich auf den Weg zum „Fountain of Life“Brunnen machen, der mit – man ahnt es schon – 13 Wasserstrahlen den jungen Elvis repräsentiert; oder einen Spaziergang um den etwas weiter entfernten „Reflektion“-Teich unternehmen, über den mittig die „Bridge over Troubled Water“führt. Dies alles kann für den echten Elvis-Aficionado ein sicherlich berührendes Erlebnis sein, für den Durchschnittsbesucher, der die Gedenkstätte als Teil des „Blues-Trails“mitnimmt, ist es aber eher ein netter Zwischenstopp auf dem Weg zum Epizentrum der Elvis-Verehrung – nach Memphis, genauer gesagt nach Graceland.
Disney-Dimensionen
Wer sich dem Gelände nähert, fühlt sich ein wenig an Disney-Dimensionen erinnert. Zunächst einmal geht es auf einen riesigen Parkplatz, von dem aus man nach längerem Fußmarsch zu eigenen Shuttle-Bussen geleitet wird, die die Fangemeinde den 300 Meter langen Weg einmal über die Straße zur Villa kutschieren.
Freilich nachdem das Ticket gekauft wurde, dessen Preisstaffelung wiederum an Disney erinnern. Zwar beginnen die günstigsten bei 41 Dollar (rund 35 Euro), nach einem Blick ins Kleingedruckte wird allerdings klar, dass man um diese Summe zwar Elvis‘ Autos, Flugzeuge und diverse Ausstellungen besuchen darf, einen Fuß in die Villa kann man aber erst ab rund 70 Dollar setzen. Wer sich dazu eine menschliche Führung wünscht, muss rund 180 Dollar investieren, darf dafür aber auch in einem „Skip the line“-Bus am wartenden Fußvolk vorbeifahren. Das sich enttäuschender Weise als wenig bunt herausstellt. Wer hier auf Elvis-Imitatoren oder zumindest Fans mit Tolle oder Sonnenbrille hofft, hofft weitgehend vergebens.
Der Großteil des Publikums befindet sich deutlich in der zweiten Lebenshälfte – oder zumindest jener Teil, den der interessierte Beobachter als die Initiatoren der Besuchergruppen identifiziert. Diese bestehen oft aus einem begeisterten Großelternpaar, etwas erschöpft wirkenden Eltern und (Enkel-)Kindern, die vor allem im Giftshop etwas kaufen wollen oder den Opa in Richtung Eis-Geschäft ziehen. Oder als nörgelnde Teenager zum Ausdruck bringen, dass der Privatjet von Kylie Jenner aber wesentlich cooler sei als das alte Flugzeug vom diesem Elvis. Den älteren Besuchern ist die Ergriffenheit aber durchaus anzumerken – was auch dabei hilft zu verstehen, wie diese gigantische Devotionalien-Maschine bis heute funktioniert.
Memphis: Mehr als Elvis
Auch in der Stadt selbst ist ein wenig Glanz verloren gegangen. Während andere Musik-Pilgerorte wie Nashville oder New Orleans eine lebendige Szene und ein hochpreisiges Merchandising entwickelt haben, erinnert der Gang durch die legendäre Beal-Street eher an einen etwas verlebten spanischen Küstenort. Wo in Nashville auf dem Broadway Cowboystiefel jenseits der 500-DollarGrenze feilgeboten werden und in der – wahrlich auch nicht eleganten – Bourbon-Street in New Orleans zumindest ein paar gute Restaurants zu finden sind, unterbietet man sich in der Beal-Street auf selbstgedruckten Neon-Regenbogen-Plakaten bei den Bierpreisen. Auch hier gilt, dass man als Die hard-Elvisfans auf dem legendären Pflaster oder etwa im Cafe´ Arcade, einem alten Diner, in dem der King einst sein Frühstück einnahm und ihm immer noch eine Booth gewidmet ist, wirklich große Emotionen erleben kan. Diese bleiben dem Durchschnitts-Touristen allerdings eher verborgen.
Allerdings lässt sich Memphis nicht bloß auf Elvis reduzieren. Hier entstand nicht nur der Rock’n’Roll, sondern auch der Blues. Im legendären Sun Studio – das man besichtigen kann – haben Johnny Cash, Roy Orbison und Jerry Lee Lewis aufgenommen sowie Bob Dylan der Legende nach den Boden geküsst, auf dem Elvis gestanden hat. Und schließlich war die Stadt am Mississippi auch Schauplatz der Ermordung Martin Luther Kings; der Ort des Attentats, das Lorraine Motel, beherbergt heute das National Civil Rights Museum.
Legendäre Enten
Ein wenig vom alten Glanz ist noch im Peabody-Hotel zu spüren, das für viele Memphis-Besucher zum Pflichterlebnis gehört, wenn zweimal täglich – um elf und um 17 Uhr – die legendären Enten vom goldglänzenden Fahrstuhl in der Lobby über den roten Teppich zum marmornen Springbrunnen watscheln.
Zurück geht diese Tradition auf eine wahre Schnaps- oder genauer gesagt Whiskey-Idee des einstigen Besitzers in den 1930er Jahren, der nach einem Jagdausflug ein paar „übriggebliebene“Enten in den Springbrunnen setzte. Was sich bald zu einem Publikumsmagneten entwickelte, für den eigens ein Trainer angeheuert wurden. Seit fast 90 Jahren watscheln die Enten – die nach Angaben des Hotels nach drei Monaten Peabody-Dienst auf einer Wildfarm weiterleben dürfen – den Teppich entlang. Im Smartphoneund Selfie-Zeiten nicht selten auf Augenhöhe mit Touristen, die den Moment am Boden kniend festhalten wollen.