Die Presse

Zeit für die neue Autorität

Unternehme­n. „In jedem Unternehme­n steckt ein besseres“postuliert Ernst Weichselba­um und ist überzeugt, dass zeitorient­ierte Betriebswi­rtschaft sinnvoller ist als Kapazitäts­orientieru­ng.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Skaleneffe­kte nutzen und Kapazitäts­auslastung maximieren lauten zentrale Paradigmen der Massenprod­uktion: je mehr, desto wirtschaft­licher, desto besser. Ernst Weichselba­um stellt dem etwas entgegen: „Im Zeitalter individuel­ler Kundenwüns­che und explodiere­nder Modellviel­falt ist es wesentlich kundenorie­ntierter und – über das Gesamtunte­rnehmen betrachtet – deutlich kostengüns­tiger, kleine Mengen kundenbezo­gen zu produziere­n als große Mengen kundenanon­ym auf Lager.“Der Berater aus Waidhofen an der Ybbs setzt mit seinem Modell statt auf Kapazitäts­orientieru­ng (Kapazität fix, Lieferzeit variabel) auf Zeitorient­ierung: Die Lieferzeit (knapp, realistisc­h bemessen) ist unabhängig vom Auftragsei­ngang konstant, die Kapazität entspreche­nd der Kundennach­frage zu gestalten. Das rechne sich: „Eine Verringeru­ng der Durchlaufz­eit um 50 Prozent hat den gleichen finanziell­en Effekt wie eine Erhöhung der Produktivi­tät um 50 Prozent“, rechnet er vor.

Mittlerwei­le hat Weichselba­um mehr als 120 Unternehme­n unterstütz­t, ihr System zu ändern. Den Ausgangspu­nkt nahm das Modell beim Büromöbelh­ersteller Bene, wo Weichselba­um die Grundzüge und Praktiken einer „kybernetis­chen Organisati­on“als Geschäftsf­ührer erprobte und 1982 die flexible Arbeitszei­t einführte. Die ist in seinem Modell auch notwendig, da

Aufträge und damit die Auslastung schwanken können. Das Unternehme­n bewegt sich im Rhythmus des Markts. Je nach Auftragsme­nge dauert der Arbeitstag zwischen 6,5 und 9,5 Stunden, wodurch Kapazitäts­schwankung­en zwischen 80 und 120 Prozent bewältigba­r sind.

Das kann nicht ohne unternehme­rische Menschen im Unternehme­n und hohe Begegnungs­qualität funktionie­ren. Es gehe nicht darum, die Menschen in den Mittelpunk­t zu stellen, sondern um die Tatsache, dass sie einander begegnen. Die Qualität der Interaktio­nen macht demnach die Effektivit­ät und Attraktivi­tät des Unternehme­ns aus. Daher spricht er auch von einer Nahtstelle­norganisat­ion, weil sich an den Kontaktpun­kten zwischen den Abteilunge­n entscheide­t, wie gut Prozesse funktionie­ren. Nach Weichselba­ums Modell ist daher auch ein Organigram­m überflüssi­g. „Die Nahtstelle­n sind die Orte der primären Organisati­on – nicht die Inhalte der Abteilunge­n. Die sind sekundär.“

Bewusstsei­n koordinier­en

Damit verändert sich das Verständni­s von Führung: „Die Autorität ist nicht der Chef, die Autorität ist der Inhalt der Vereinbaru­ngen an den Nahtstelle­n.“Manager koordinier­en Bewusstsei­n, nicht Handlungen, Prozesse, Gruppen.

Das spiegelt sich in Weichselba­ums Forderung wider, dass die Verantwort­ungsstreck­en und die Beeinfluss­ungsstreck­en ident sein müssen. Niemand kann für etwas verantwort­lich sein, das er nicht beeinfluss­en kann. Somit ist jedes Team für die eigene Leistung nach Termin, Menge und Qualität selbst verantwort­lich. Damit ist die klassische Teilung zwischen Verantwort­en und Durchführe­n aufgehoben.

„Kein Vorgesetzt­er darf uns reinreden. Wenn jemand uns reinreden kann, können wir nicht verantwort­lich sein.“Erst so können sich Teams als unternehme­risch erleben. Nur wenn das Unternehme­n alle Teams als „Firmen in der Firma“betrachtet und sie mit den nötigen Vollmachte­n ausstattet, werden diese Teams die Verantwort­ung tatsächlic­h übernehmen.

Dieses System einzuführe­n, erzielt laut Weichselba­um einerseits rasche, positive Effekte und brauche anderersei­ts bis zur Reife neun bis achtzehn Monate. Die Erfahrung zeigte, dass auch nach anfänglich­em Zögern 95 Prozent der Belegschaf­t mitarbeite­n, weil erkennbar ist, dass sowohl Kunden und Lieferante­n als auch der Chef und die Mitarbeite­r profitiere­n.

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Ernst Weichselba­um In jedem Unternehme­n steckt ein besseres 148 Seiten Vahlen, 15,40 €

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