Zeit für die neue Autorität
Unternehmen. „In jedem Unternehmen steckt ein besseres“postuliert Ernst Weichselbaum und ist überzeugt, dass zeitorientierte Betriebswirtschaft sinnvoller ist als Kapazitätsorientierung.
Skaleneffekte nutzen und Kapazitätsauslastung maximieren lauten zentrale Paradigmen der Massenproduktion: je mehr, desto wirtschaftlicher, desto besser. Ernst Weichselbaum stellt dem etwas entgegen: „Im Zeitalter individueller Kundenwünsche und explodierender Modellvielfalt ist es wesentlich kundenorientierter und – über das Gesamtunternehmen betrachtet – deutlich kostengünstiger, kleine Mengen kundenbezogen zu produzieren als große Mengen kundenanonym auf Lager.“Der Berater aus Waidhofen an der Ybbs setzt mit seinem Modell statt auf Kapazitätsorientierung (Kapazität fix, Lieferzeit variabel) auf Zeitorientierung: Die Lieferzeit (knapp, realistisch bemessen) ist unabhängig vom Auftragseingang konstant, die Kapazität entsprechend der Kundennachfrage zu gestalten. Das rechne sich: „Eine Verringerung der Durchlaufzeit um 50 Prozent hat den gleichen finanziellen Effekt wie eine Erhöhung der Produktivität um 50 Prozent“, rechnet er vor.
Mittlerweile hat Weichselbaum mehr als 120 Unternehmen unterstützt, ihr System zu ändern. Den Ausgangspunkt nahm das Modell beim Büromöbelhersteller Bene, wo Weichselbaum die Grundzüge und Praktiken einer „kybernetischen Organisation“als Geschäftsführer erprobte und 1982 die flexible Arbeitszeit einführte. Die ist in seinem Modell auch notwendig, da
Aufträge und damit die Auslastung schwanken können. Das Unternehmen bewegt sich im Rhythmus des Markts. Je nach Auftragsmenge dauert der Arbeitstag zwischen 6,5 und 9,5 Stunden, wodurch Kapazitätsschwankungen zwischen 80 und 120 Prozent bewältigbar sind.
Das kann nicht ohne unternehmerische Menschen im Unternehmen und hohe Begegnungsqualität funktionieren. Es gehe nicht darum, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern um die Tatsache, dass sie einander begegnen. Die Qualität der Interaktionen macht demnach die Effektivität und Attraktivität des Unternehmens aus. Daher spricht er auch von einer Nahtstellenorganisation, weil sich an den Kontaktpunkten zwischen den Abteilungen entscheidet, wie gut Prozesse funktionieren. Nach Weichselbaums Modell ist daher auch ein Organigramm überflüssig. „Die Nahtstellen sind die Orte der primären Organisation – nicht die Inhalte der Abteilungen. Die sind sekundär.“
Bewusstsein koordinieren
Damit verändert sich das Verständnis von Führung: „Die Autorität ist nicht der Chef, die Autorität ist der Inhalt der Vereinbarungen an den Nahtstellen.“Manager koordinieren Bewusstsein, nicht Handlungen, Prozesse, Gruppen.
Das spiegelt sich in Weichselbaums Forderung wider, dass die Verantwortungsstrecken und die Beeinflussungsstrecken ident sein müssen. Niemand kann für etwas verantwortlich sein, das er nicht beeinflussen kann. Somit ist jedes Team für die eigene Leistung nach Termin, Menge und Qualität selbst verantwortlich. Damit ist die klassische Teilung zwischen Verantworten und Durchführen aufgehoben.
„Kein Vorgesetzter darf uns reinreden. Wenn jemand uns reinreden kann, können wir nicht verantwortlich sein.“Erst so können sich Teams als unternehmerisch erleben. Nur wenn das Unternehmen alle Teams als „Firmen in der Firma“betrachtet und sie mit den nötigen Vollmachten ausstattet, werden diese Teams die Verantwortung tatsächlich übernehmen.
Dieses System einzuführen, erzielt laut Weichselbaum einerseits rasche, positive Effekte und brauche andererseits bis zur Reife neun bis achtzehn Monate. Die Erfahrung zeigte, dass auch nach anfänglichem Zögern 95 Prozent der Belegschaft mitarbeiten, weil erkennbar ist, dass sowohl Kunden und Lieferanten als auch der Chef und die Mitarbeiter profitieren.