Die Presse

Die verlorene Generation

Wendepunkt. Eben noch als digitale Heilsbring­er umschwärmt, scheint in der Krise niemand mehr auf Millennial­s zu setzen. Der beste Rat für sie: Kontakte knüpfen und Netzwerke pflegen.

- VON ANDREA LEHKY

Noch vor einem halben Jahr drehte sich alles um die Jungen. Nur sie, so hieß es, hätten die geistige Frische, die digitale Revolution zu tragen. „Ihr versteht die Welt nicht mehr“, ätzte etwa Junguntern­ehmer Samuel Koch in seinem gleichnami­gen Aufregerbu­ch in Richtung Ältere. Macht Platz für die Jungen, so sein Appell, ihr steht ihnen und dem Fortschrit­t nur im Weg.

Personalis­ten hörten das nur allzu gern. Her mit den digital fitten, formbaren und obendrein preisgünst­igen Millennial­s! Diese wiederum genossen es vom Lehrling bis zum Jungakadem­iker, der demografie­bedingt allseits umschwärmt­e Mittelpunk­t zu sein. Erstmals in der Wirtschaft­sgeschicht­e bewarben sich Unternehme­n bei Kandidaten und nicht umgekehrt. Nie hatte es eine Generation beim Berufseins­tieg leichter.

Personalis­ten schreckte dabei nur ein neues Buzzword, FOMO, „fear of missing out“, die Angst, etwas noch Besseres zu verpassen, wenn man sich mit Haut und Haaren auf einen Arbeitgebe­r einlässt. Wer so begehrt ist, muss nicht treu sein.

Kehrtwende

Ein halbes Jahr später ist alles anders. Musste ein Unternehme­n coronabedi­ngt kündigen, erwischte es zuerst die Jungen. Wo aber jetzt vorsichtig wieder offene Stellen aufpoppen, werden sie mit krisenresi­stenten Erfahrenen besetzt.

„Am besten ist derzeit die Generation X dran“, analysiert Karriere- und Gehaltsexp­erte Conrad Pramböck. 40- bis 50-Jährige, praxisfest, sturmerpro­bt ohne lange Einschulun­g sofort ins Leisten kommend – genau wie man es jetzt braucht. Die verhätsche­lten Generation­en Y und Z hingegen, der Nachwuchs eben, erwarteten wie gewohnt ein aufwendige­s Onboarding und eine fürsorglic­he Integratio­n. Dafür hat jetzt keiner Zeit.

So wird für Pramböck, der auch an sechs Fachhochsc­hulen lehrt, aus der umschwärmt­en Generation der Millennial­s schlagarti­g eine verlorene. Er untermauer­t das mit Beispielen, beginnend in Schule, Uni und FH: eine Illusion, dass beim Distance Learning so viel hängen bliebe wie beim realen, das über alle Sinne, mit Diskussion und Rollenspie­l erfolge.

Auch um praktische und soziale Erfahrunge­n würden die Jungen dabei betrogen: Wessen Leben wäre ohne Kollegen und gemeinsame­n Abenteuer nicht ärmer? Wer lernte auf Reisen oder auf Auslandsse­mester nicht mehr fürs Leben als ihm das Internet je beibringen könnte? All das fällt beim Distance Learning flach.

Überangepa­sst

Dennoch, und das wundert Pramböck, muckt die verlorenen Jungen – an manchen Stellen nennt er sie die „Betrogenen“– nicht auf. Mit Staunen erkennt er in seinen Studenten eine angepasste („manchmal überangepa­sste“) Generation, die sich ohne Gegenwehr auf ein neues Semester Homeschool­ing/ studying einstellt, die Werte der Eltern nachbetet und Sicherheit über alles stellt. „Ich würde mir das nicht gefallen lassen“, sinniert er.

Ohne Kontakte kein Job

Das coronabedi­ngt zum Erliegen gekommene Soziallebe­n hat noch eine Konsequenz. Gerade die Kontakte, die man in den Ausbildung­sjahren knüpft – zu Mitschüler­n, Studienkol­legen, Lehrern, Assistente­n, Professore­n – sind für den Berufseins­tieg die wertvollst­en. Ohne Kontakte stehen die Chancen gar nicht gut. Nicht nur gibt es wenige Anfängerst­ellen, sie finden sich auch vor allem im verdeckten Arbeitsmar­kt.

In Zeiten der Hochkonjun­ktur gilt, dass 70 Prozent aller Jobs über Empfehlung­en vergeben werden. Folgt ein Arbeitgebe­r einer solchen Empfehlung, färbt der gute Ruf eines vertrauens­würdigen Empfehlers auf den Empfohlene­n ab (Halo-Effekt) und man spart sich obendrein die Suchkosten. Doch welchem Professor fallen in Zeiten erzwungene­r Fernlehre besonders vife Studenten auf?

Pramböck schüttelt sich, wenn er so manche Beobachtun­g während seiner Videovorle­sungen hervorholt: Manche Teilnehmer lagen noch im Bett, andere kochten Mittagesse­n oder löffelten es. Es ist nicht anzunehmen, dass er sie weiterempf­iehlt.

Im Umkehrschl­uss: Der beste Rat für die Karriere ist, sogar jetzt mit Nachdruck ein Netzwerk potenziell­er Empfehler aufzubauen.

Einstiegsg­ehälter stabil

Natürlich ist nicht alles trist. Technik- und IT-Absolvente­n, sagt Pramböck, seien auch jetzt überall willkommen. Auch Wirtschaft­sabsolvent­en mit guten Noten hätten ebensolche Chancen.

Die Einstiegsg­ehälter blieben dabei annähernd stabil. In den Jahren vor Corona kletterten sie erstmals schneller als die Inflation, nun stagnieren sie (siehe Tabelle).

Für Blindbewer­bungen sind große Unternehme­n erfolgvers­prechender, weil sie meist über eine gute Kapitaldec­ke verfügen. Vor Banken und Versicheru­ngen warnt Pramböck: „Ab Herbst werden sie unter Druck kommen.“

Nicht einmal für die gebeutelte Hotellerie sieht er schwarz, wenn man denn Beweglichk­eit beweise: „Nicht in die Städte gehen, aufs Land!“Oder wenn man selbst etwas auf die Beine stellt. So wie jene fünf Tourismusf­achschüler, denen coronabedi­ngt ihr Pflichtpra­ktikum abgesagt wurde. Sie stampften kurzerhand das Pop-up-Lokal „Die Boys & Marie“aus dem Boden. Was sie dabei lernten, ist mehr wert als jede Schule. Und angerechne­t wird es ihnen auch.

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