So lebt es sich als Greta T.
Doku. Was für eine Chance: Vom Start weg konnte Regisseur Nathan Grossmann die Ikone der Klimaproteste begleiten. „I am Greta“fesselt im Detail, ist aber im Ganzen misslungen.
Regisseur Nathan Grossman konnte die Ikone der Klimaproteste vom Start weg begleiten. Seine Doku fesselt aber nur im Detail.
Auch in der Hofburg war sie zu Gast. Bei einem grünen Präsidenten, immerhin, der sie umgeben von barocken Portieren und rotem Samt empfing. Aber das beeindruckt Greta nicht: In „so vornehmen Palais und Schlössern“fühlt sie sich „sehr unwohl“. Überhaupt kann sie es nicht leiden, wenn all diese Wichtigtuer sich mit ihr schmücken wollen. Sie posieren für Selfies an ihrer Seite, klopfen ihr auf die Schulter, versichern, wie toll und wichtig sie ihr Engagement finden – und tun dann nichts, um den Klimawandel zu stoppen. „Als wären alle in einem Rollenspiel“, als wäre „nichts echt“. Dann erstarren ihre Gesichtszüge, und nur mit Widerwillen hebt sie die Mundwinkel zum gequälten Lächeln.
Dabei kann sie auch schallend lachen. Etwa wenn ihr Vater im Anzug neben dem Papst eine komische Figur macht: „Das solltest du als Profilfoto für Facebook nehmen“, spottet sie. Oder wenn sie Tiraden gegen ihre Person vorliest. Die doofen Kritiker sind wenigstens ehrlich, und sie weiß es ja besser. Aber auf dem Katamaran mitten im Atlantik, unterwegs zur Klimakonferenz in New York, hat sie nur noch Heimweh, spürt das Absurde ihrer Situation: „Ich will das alles nicht tun müssen. Es ist zu viel für mich, rund um die Uhr“, diktiert sie mit tränenerstickter Stimme ihrem Smartphone. Ach ja, und ihr Hund zu Hause hat das Essen vom Tisch gefressen, dabei ist er doch auf Diät: „Aber das wird schon.“Nur das mit dem Klima, das wird wohl wieder nichts.
Nathan Grossman hat Glück gehabt. Ein Freund des jungen schwedischen Filmemachers ist mit der Familie Thunberg befreundet, und er machte ihn im Sommer 2018 auf eine seltsame Aktion aufmerksam, die das Töchterchen des Hauses plante. Als die 15-Jährige dann an einem Freitag mit leidvoller Miene und dem selbst gemalten Kartonschild „Skolstrejk för Klimatet“an der Mauer des Parlaments in Stockholm hockte, war Grossman mit seiner Kamera schon zur Stelle. Er nahm erste Reaktionen irritierter Passanten auf, die das Mädchen mit den Zöpfen rügten, weil es die Schule schwänzte.
Und er wich kaum noch von ihrer Seite, über ein Jahr lang, in dem aus der schüchternen Jugendlichen die Ikone des Klimakampfs und aus dem einsamen Sitzstreik eine globale Protestbewegung der Jugend wurde. Hat Grossman seine Chance genutzt?
In den besten Szenen seines Dokumentarfilms „I am Greta“, der am Freitag in den heimischen Kinos anläuft, fühlt man sich in die porträtierten Menschen wirklich ein.
Neue Perspektiven oder gar kritische Zwischentöne darf man sich freilich nicht erwarten. Aber spannend ist es allemal, eine für unsere Gegenwart so prägende Gestalt in intimer Nähe zu begleiten. Wir erleben einen in sich gekehrten Teenager, der allein vor sich hin tanzt, stundenlang schweigend seine Hunde striegelt oder sein Pferd umarmt.
Belangsendung für Fridays for Future
Wir erfahren, dass es vor ihrer märchenhaften Karriere als Klimaaktivistin schlimm um sie stand, dass sie sich jahrelang völlig verkroch und nur allein essen konnte. Und wir hören, wie selbstbewusst sie heute mit ihrem Asperger umgeht: Das Syndrom ermögliche ihr, sich ganz auf ein Thema zu konzentrieren, sich nicht wie die meisten Gleichaltrigen gleich wieder ablenken zu lassen, von Partys, Buben, Urlaubsreisen. Und beim Thema Klimawandel, meint sie fast neckisch, täte der ganzen Menschheit ein Schuss Asperger nicht schlecht.
So nebenbei räumt die handwerklich saubere Doku auch mit der beliebten Behauptung auf, Greta sei nur eine Marionette ihrer Eltern (oder, in der Version der Verschwörungstheorie, von „linken Netzwerken“). Ihr Vater mit den langen Zotteln fungiert zwar als allgegenwärtiger Coach, der die Reisen organisiert und immer mit dabei ist. Aber seine Tochter ist so stur, dass sie sich von ihm kaum überreden lässt, eine Banane zu essen, geschweige denn, auch nur einen Buchstaben an ihren Reden zu ändern: „Eine Einleitung auf Französisch muss sein!“„Das Wort ,Massenaussterben‘ bleibt, das ist superwichtig. Sei still!“
Zum Schluss zum Schlechten: Eingebettet ist das alles in eine dröge Belangsendung für Fridays for Future. Die immer gleichen rauchenden Schlote, brennenden Wälder und euphorisierten Jugendlichen, untermalt mit dramatischen Bässen und hoffnungsfrohen Fanfaren – das haben wir einfach zu oft gesehen, das reicht auch ästhetisch nicht mehr aus. Und es macht den Film als Ganzes zu einem „Selfie mit Greta“, weil er die Fehler im Umgang mit ihr zugleich aufzeigt und repliziert: Er hebt sie auf ein Podest, stilisiert sie zur Heldin, die eine schwere Bürde trägt, ja zum säkularen Opferlamm, das hinwegnimmt die Sünden unserer Zivilisation.
Dabei ist da nur ein Mädchen, das immer das Gleiche sagt, erst geduldig, dann zornig, das alle Welt nicken sieht und sich trotzdem fragen muss: Hört mir niemand wirklich zu?