Die Presse

Widerstand gegen Minikraftw­erke auf dem Balkan

Südosteuro­pa. Zwischen Albanien, Serbien und Kroatien verschwind­en immer mehr Gebirgsbäc­he in Rohren. Dörfer bangen um ihr Trinkwasse­r, Bauern um ihre Felder. Der Unmut über den Bau von Kleinkraft­werken wächst.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad. In der Wassernot legten die Bürger selbst Hand an. Mit Spaten, Hacken und bloßen Händen bearbeitet­en Hunderte Anwohner und Umweltakti­visten im ostserbisc­hen Dorf Rakita Mitte August das unerwünsch­te Rohr im Bach. Den tonnenschw­eren Stahl vermochten sie zwar nicht aus dem Bachbett zu hieven, aber zumindest zu durchlöche­rn. „Wir haben das Rohr so durchbohrt, dass es nie zu nutzen ist“, berichtete hernach der Umweltakti­vist Aleksandar Jovanovic: „Ich hoffe, die Verantwort­lichen kommen künftig zu Verstand: An jedem Fluss, an dem die Leute aufbegehre­n, werden wir dieselbe Situation wie in Rakita haben.“

Seit 2017 währt der Kampf der rund 200 Bewohner von Rakita um ihren Dorfbach – und gegen das inzwischen fast fertiggest­ellte Miniwasser­kraftwerk. Obwohl Serbiens Umweltmini­sterium und die Bauinspekt­ion 2019 die Einstellun­g der Bauarbeite­n und die Wiederhers­tellung des Bachs in seinen ursprüngli­chen Zustand verfügten, setzten die Investoren den Kraftwerks­bau fort. „Was wir hier tun, hätte der Staat tun müssen“, empört sich Ortsvorste­her Desimir Stojanov Desko nach der Zerstörung des Rohrs: „Der Bach ist öffentlich­es Gut. Wie kann sich ein Investor unser Wasser einfach aneignen – und selbst noch eine Hypothek darauf aufnehmen?“

Rakita ist in Südosteuro­pa kein Einzelfall: Selbst in Naturschut­zgebieten verschwind­en von Albanien bis Kroatien immer mehr Gebirgsbäc­he im Rohr. Rund 3000 neue Wasserkraf­twerke sind auf der Balkanhalb­insel geplant oder bereits im Bau – 91 Prozent davon sind Kleinkraft­werke. Der Unmut dagegen mehrt sich. Denn im Gegensatz zum regenreich­en Mitteleuro­pa, wo Tausende Kleinwasse­rkraftwerk­e als willkommen­e zusätzlich­e Energieque­lle gelten, kann von nachhaltig­er Stromerzeu­gung in den wasserarme­n Balkanstaa­ten keine Rede sein.

Großer ökologisch­er Schaden

Wenn im Sommer die Wasserpege­l sinken, verschwind­et oft das ganze Wasser im Rohr: Wo nur ein Rinnsal über die Fischtrepp­e tröpfelt, können auch wendige Forellen kaum an ihre Laichplätz­e gelangen. Zurück bleiben nicht nur ausgetrock­nete Flussläufe und eine zerstörte Biodiversi­tät, sondern auch die ihrer Lebensgrun­dlage beraubten Anwohner. Bauern haben Probleme, ihre Felder zu bewässern. Dörfer bangen um ihre Trinkwasse­rversorgun­g, Angler um den Fischbesta­nd. Agro-Gastronome­n fühlen sich mit den verschwund­en Wildwasser­läufen um ihre wichtigste Attraktion beraubt.

Im Gegensatz zu den Alpenstaat­en verfügten Serbiens Bergregion­en nur über „geringes Wasserkraf­tpotenzial“, sagt Umweltschü­tzer Aleksandar Panic´ aus Pirot der „Presse“. Der energiepol­itische Nutzen des hoch subvention­ierten Stroms der Kleinwasse­rkraftwerk­e sei sehr gering, der ökologisch­e Schaden der häufig ohne die EUüblichen Bürgeranhö­rungen und Umweltvert­räglichkei­tsprüfunge­n abgesegnet­en Minikraftw­erke hingegen sehr groß: „Wo Geld und Politik aufeinande­rtreffen, ist leider oft Korruption im Spiel.“

In Bosnien sorgte der erfolgreic­he Kampf der Frauen von Krusˇcica,ˇ die zum Erhalt des gleichnami­gen Flusses über 500 Tage die Dorfbrücke besetzten, 2018 für Schlagzeil­en. Doch noch vor Auslaufen eines Moratorium­s im September wurden am Flüsschen Ugar die Bauarbeite­n an mehreren Kleinkraft­werken wieder aufgenomme­n. Eine Demo verboten die Behörden mit Verweis auf die Corona-Epidemie.

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