Widerstand gegen Minikraftwerke auf dem Balkan
Südosteuropa. Zwischen Albanien, Serbien und Kroatien verschwinden immer mehr Gebirgsbäche in Rohren. Dörfer bangen um ihr Trinkwasser, Bauern um ihre Felder. Der Unmut über den Bau von Kleinkraftwerken wächst.
Belgrad. In der Wassernot legten die Bürger selbst Hand an. Mit Spaten, Hacken und bloßen Händen bearbeiteten Hunderte Anwohner und Umweltaktivisten im ostserbischen Dorf Rakita Mitte August das unerwünschte Rohr im Bach. Den tonnenschweren Stahl vermochten sie zwar nicht aus dem Bachbett zu hieven, aber zumindest zu durchlöchern. „Wir haben das Rohr so durchbohrt, dass es nie zu nutzen ist“, berichtete hernach der Umweltaktivist Aleksandar Jovanovic: „Ich hoffe, die Verantwortlichen kommen künftig zu Verstand: An jedem Fluss, an dem die Leute aufbegehren, werden wir dieselbe Situation wie in Rakita haben.“
Seit 2017 währt der Kampf der rund 200 Bewohner von Rakita um ihren Dorfbach – und gegen das inzwischen fast fertiggestellte Miniwasserkraftwerk. Obwohl Serbiens Umweltministerium und die Bauinspektion 2019 die Einstellung der Bauarbeiten und die Wiederherstellung des Bachs in seinen ursprünglichen Zustand verfügten, setzten die Investoren den Kraftwerksbau fort. „Was wir hier tun, hätte der Staat tun müssen“, empört sich Ortsvorsteher Desimir Stojanov Desko nach der Zerstörung des Rohrs: „Der Bach ist öffentliches Gut. Wie kann sich ein Investor unser Wasser einfach aneignen – und selbst noch eine Hypothek darauf aufnehmen?“
Rakita ist in Südosteuropa kein Einzelfall: Selbst in Naturschutzgebieten verschwinden von Albanien bis Kroatien immer mehr Gebirgsbäche im Rohr. Rund 3000 neue Wasserkraftwerke sind auf der Balkanhalbinsel geplant oder bereits im Bau – 91 Prozent davon sind Kleinkraftwerke. Der Unmut dagegen mehrt sich. Denn im Gegensatz zum regenreichen Mitteleuropa, wo Tausende Kleinwasserkraftwerke als willkommene zusätzliche Energiequelle gelten, kann von nachhaltiger Stromerzeugung in den wasserarmen Balkanstaaten keine Rede sein.
Großer ökologischer Schaden
Wenn im Sommer die Wasserpegel sinken, verschwindet oft das ganze Wasser im Rohr: Wo nur ein Rinnsal über die Fischtreppe tröpfelt, können auch wendige Forellen kaum an ihre Laichplätze gelangen. Zurück bleiben nicht nur ausgetrocknete Flussläufe und eine zerstörte Biodiversität, sondern auch die ihrer Lebensgrundlage beraubten Anwohner. Bauern haben Probleme, ihre Felder zu bewässern. Dörfer bangen um ihre Trinkwasserversorgung, Angler um den Fischbestand. Agro-Gastronomen fühlen sich mit den verschwunden Wildwasserläufen um ihre wichtigste Attraktion beraubt.
Im Gegensatz zu den Alpenstaaten verfügten Serbiens Bergregionen nur über „geringes Wasserkraftpotenzial“, sagt Umweltschützer Aleksandar Panic´ aus Pirot der „Presse“. Der energiepolitische Nutzen des hoch subventionierten Stroms der Kleinwasserkraftwerke sei sehr gering, der ökologische Schaden der häufig ohne die EUüblichen Bürgeranhörungen und Umweltverträglichkeitsprüfungen abgesegneten Minikraftwerke hingegen sehr groß: „Wo Geld und Politik aufeinandertreffen, ist leider oft Korruption im Spiel.“
In Bosnien sorgte der erfolgreiche Kampf der Frauen von Krusˇcica,ˇ die zum Erhalt des gleichnamigen Flusses über 500 Tage die Dorfbrücke besetzten, 2018 für Schlagzeilen. Doch noch vor Auslaufen eines Moratoriums im September wurden am Flüsschen Ugar die Bauarbeiten an mehreren Kleinkraftwerken wieder aufgenommen. Eine Demo verboten die Behörden mit Verweis auf die Corona-Epidemie.