Kann Donald Trump noch gewinnen?
US-Wahl. Der Präsident meldet sich im Wahlkampf zurück. Joe Biden liegt in den Umfragen voran, doch Trump ist überzeugt: „Wir siegen viel deutlicher als vor vier Jahren.“
New York. Donald Trump hat etwaige Zweifel an seiner Genesung zumindest vorerst beseitigt. Mit einem energischen Wahlkampfauftritt in Florida wollte der Präsident beweisen, dass er weniger als zwei Wochen nach seiner CoronaInfektion wieder ganz der Alte ist. „Ich fühle mich so kraftvoll“, ließ Trump die Menge wissen. Mehr als 4000 Menschen waren zum Flughafen in Sanford nahe Orlando gekommen, viele von ihnen trugen keinen Mund- und Nasenschutz: „Ich könnte ins Publikum rennen und euch alle küssen“, sagte Trump.
Knapp drei Wochen bleiben dem Präsidenten noch, um den Rückstand auf Joe Biden aufzuholen. In den nationalen Umfragen liegt der Demokrat mittlerweile im Durchschnitt um zehn Prozentpunkte voran, und auch in wichtigen Swing States wie Florida oder Pennsylvania ist sein Vorsprung zuletzt größer geworden. Die Wettbüros sehen Biden als klaren Favoriten. Sie schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass Trumps Präsidentschaft nach einer Amtszeit zu Ende ist, mit zwei Dritteln ein.
Dass sich auch die Demokraten ihrer Sache ziemlich sicher sind, zeigt die Tatsache, dass Biden diese Woche unter anderem in
Ohio auf Wählerfang ging. Lange waren sich Bidens Strategen nicht sicher, ob sie sich auf Bundesstaaten konzentrieren sollten, die Hillary Clinton vor vier Jahren knapp verloren hatte – Michigan und Pennsylvania beispielsweise. Oder ob Biden auch andere Staaten, die traditionell republikanisch sind, ins Visier nehmen sollte. Trump siegte 2016 in Ohio mit einem Vorsprung von acht Prozentpunkten. Dass sich Biden hier nun Chancen ausrechnet, ist ein Indiz dafür, dass die Demokraten nicht nur das Weiße Haus, sondern auch gleich die Mehrheit im Senat erobern wollen. Wenn das gelänge, könnten sie bis zur Zwischenwahl 2022 im Alleingang regieren.
Trump steht mit dem Rücken zur Wand, doch will der Präsident davon nichts wissen. Er beruft sich auf eigene Umfragen und erklärte bei seinem Comeback in Florida: „Wir gewinnen viel deutlicher als vor vier Jahren.“Recht hat Trump jedenfalls in einem Punkt: 2016 lagen die Meinungsforscher kolossal daneben; es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass dies auch heuer der Fall ist. Irreführend sind die nationalen Umfragen allemal. Schließlich muss Trump nicht 50 Prozent der Stimmen gewinnen, sondern lediglich mehr Wahlmänner. So sieht es das US-Mehrheitswahlrecht vor. 2016 siegte Trump mit weniger als 46 Prozent der Stimmen.
Eine Mammutaufgabe
Letztlich hängt alles von einigen wenigen Swing States ab, und in diesen sind die Umfragen in etwa mit 2016 zu vergleichen. In Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, Florida, North Carolina und Arizona liegt Biden im Schnitt um knapp fünf Prozentpunkte voran, ebenso wie Clinton vor vier Jahren. Trotzdem hat Trump eine Mammutaufgabe vor sich. In den restlichen Staaten liegt er so weit zurück, dass er sich kaum Ausrutscher erlauben kann. Trump muss nahezu alle Swing States gewinnen.
Im „War room“seiner Strategen soll eine Landkarte hängen, die nicht nur die Bundesstaaten hervorhebt, auf die er sich nun konzentrieren will, sondern auch einzelne Wahlbezirke und sogar Kleinstädte. In der Nacht auf Mittwoch wollte Trump in Johnstown in Pennsylvania eine weitere Kundgebung abhalten. Der Präsident muss in der ländlichen Gegend im Westen des Staates punkten, um die 20 Wahlmänner zu erobern. Der Fokus liegt auf älteren, weißen Männern und Frauen in den Vorstädten – ohne ihre Stimmen ist die Wahl für ihn verloren.
Der Kampf um die Rentner
Hier liegt jedoch eines seiner größten Probleme. Viele Senioren gaben Trump 2016 ihre Stimme, weil sie Clinton nicht ausstehen konnten. Biden jedoch ist bei den Älteren beliebt. Er liegt in den Umfragen unter den Senioren weit voran. Eine entscheidende Rolle spielt dabei das Coronavirus. 215.000 Amerikaner starben bisher daran. In der älteren Bevölkerung ist die Sorge größer, als es Trump wahrhaben will. Er versucht nun, seine Krankheit zu instrumentalisieren und die Bedrohung als überschaubar darzustellen. „Die Heilung darf nicht schlimmer als die Krankheit sein“, sagt er und fordert eine Öffnung der Wirtschaft.
Es ist seine letzte Chance: Trump baut darauf, mit seinen Auftritten vielen Menschen die Angst zu nehmen, und er hofft auf ein positives drittes Quartal für die Wirtschaft. Die Konjunkturzahlen stehen für Ende Oktober an. „Unsere Wirtschaft boomt bereits wieder. Ich weiß, dass es die Nummern vor der Wahl belegen werden.“Ab kommender Woche will er zwei bis drei Wahlkampfauftritte pro Tag absolvieren.