Die Presse

Vom Frauenlebe­n am Land

Volksmusik. Mit ihrem ersten Soloprojek­t spinnt Geigerin Julia Lacherstor­fer weibliche Geschichte­n weiter.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Das Bild meiner Mama, wie sie am Spinnrad sitzt.“Für Julia Lacherstor­fer ist es eine der schönsten, frühen Kindheitse­rinnerunge­n. Ihr Vater hatte in den Achtzigerj­ahren in Bad Hall einen alten Hof gekauft, zu dem auch Schafe gehörten, die kostbare Wolle wurde verwertet. Eine andere Erinnerung ist jene an den Großvater, der am Abend Volksliede­r am Akkordeon spielt und dazu die Enkelinnen zu sich holt. Wenn sie sich heute als „Spinnerin“bezeichnet, dann ist das Lacherstor­fers Art, mit diesem Erbe umzugehen.

Schon vor ein paar Jahren, berichtet die Gründerin von Alma und Intendanti­n der „Wellenklän­ge“, habe sie sich verstärkt auf die Suche nach traditione­llen Liedern gemacht – inspiriert von ihren Erfahrunge­n in skandinavi­schen Ländern, wo es „gut funktionie­rt, Lieder in der eigenen Sprache zu singen, die dabei aber zeitgemäß und modern klingen“. Daheim stellte sie fest, dass sie sich schwertat, alte Lieder wie jene des Großvaters auszuwähle­n, „weil sie nicht kongruent mit meinem Leben sind. Oft sind es total schöne Melodien, die aber dann davon erzählen, dass der Bua von Linz nach Enns fährt und sein Häusl gegen ein schönes Dirndl eingetausc­ht hat.“

Mehr als nur Wiegenlied­er

Je tiefer sie im eigenen und im Familienfu­ndus grub, desto klarer wurde ihr, „warum das nie passt: weil es zu 99 Prozent eine männliche Geschichte ist.“Von der weiblichen Domäne wiederum erzählen vor allem Schlaf- und Küchenlied­er – sie zu singen zeichne „ein klischeeha­ftes, stereotype­s Frauenbild, was ich auch wieder nicht will“. Lacherstor­fers Conclusio: „Wenn es das in der Form nicht gibt, dann ist es vielleicht gerade meine Aufgabe, die Lieder einfach selber zu machen.“

Das Ergebnis ist nun das Album „Spinnerin“. Jene Figur, die in alpenländi­schen Volksmärch­en oft den Lebensfade­n am Laufen hält, steht für Lacherstor­fer dabei für eine Frau, die Erzählunge­n aufgreift und weiterspin­nt. In die musikalisc­he Arbeit verwoben sind Interviews, die die Geigerin mit Frauen geführt hat: Etwa mit jener „Kablerin“in Oberösterr­eich, die Lieder sammelt, Syrien bereist hat und den Männern am Stammtisch die Meinung sagt, wenn es gegen die Ausländer geht. Deren Ö1 hörende Schwiegert­ochter hatte – auch so ein gesponnene­r Faden – die beiden in Kontakt gebracht. Auch Kompositio­nen, die für das „Musica Femina“-Projekt von Ö1-Redakteuri­n und Musikwisse­nschaftler­in Irene Suchy entstanden, sind eingefloss­en. Und Bücher: Feministis­che Literatur, aber allen voran „Bäuerinnen erzählen“, erschienen im Böhlau-Verlag in der Edition „Damit es nicht verloren geht“.

Selbst am Land und mit den Großeltern unter einem Dach aufgewachs­en, hätten sie diese Schilderun­gen „extrem mitgenomme­n“, erzählt Lacherstor­fer. Bäuerinnen berichtete­n darin von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, oft als Witwen; von den Veränderun­gen in der Landwirtsc­haft. „Ich habe“, sagt Lacherstor­fer, „in allem meine eigene Oma wiedererka­nnt. Mich hat beeindruck­t, dass man das alles aushalten konnte. Allein die vielen Verluste, weil Frauen viel mehr Kinder geboren haben und die Kinderster­blichkeit viel höher war. Dazu oft auch noch körperlich­er oder sexueller Missbrauch, auch wenn man das nicht so genannt hat.“

Die Stärke, aber auch Demut und Dankbarkei­t dieser Frauen haben sie, ohne letztere Tugenden verklären zu wollen, fasziniert: „Weil mein Leben so anders ausschaut – ich weiß aber auch, dass mein Leben jetzt zum Teil deshalb so viel leichter ist, weil meine Großeltern so viel g’hackelt haben.“Viel über ihre verstorben­e Großmutter habe sie erst vor Kurzem erfahren – nachdem sie zu Weihnachte­n ihre Mutter gebeten hat, ihre Erinnerung­en für sie aufzuschre­iben. Immer sei die Großmutter im Hintergrun­d geblieben, „damit sich die anderen entfalten können. Ich würde mir so wünschen, sie könnte ein zweites Leben leben, in dem es um sie geht.“

Mit ihrem ersten Soloalbum zelebriert Lacherstor­fer nun denn auch ihre eigene Stimme. Nach fast zehn Jahren mit ihrer Band Alma sei es auch für sie wichtig gewesen, „zu schauen, was ich sagen will, wenn ich endlich einmal keinen Kompromiss von fünf Leuten finden muss“.

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Ruhe findet.
[ Julia Geiter] Julia Lacherstor­fer auf dem Hof der Familie, auf dem sie bis heute künstleris­che Ruhe findet.

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