„Der Markt erholt sich schnell“
Interview. Der Europa-Chef von Jaguar Land Rover, Dmitry Kolchanov, ist zuversichtlich, dass sich die Autoindustrie bald wieder von der Coronakrise erholen wird. Ein Gespräch über Abgasvorschriften, SUVs und Achtzylindermotoren.
Die Presse: 2020 war für Jaguar Land Rover (JLR) das, was Queen Elizabeth II. einmal als „annus horribilis“bezeichnet hatte: zuerst der Brexit, dann das Coronavirus. Wie schlecht war das Jahr für Ihr Unternehmen?
Dmitry Kolchanov: So ein Jahr hat es in unserer Geschichte noch nie gegeben, überhaupt eine Krise in dieser Dimension. Als der Lockdown begonnen hatte und wir Fabriken schließen mussten, waren wir sehr pessimistisch für 2020. Der bisherige Jahresverlauf sieht deutlich besser aus als erwartet. Wir haben uns recht gut erholt, die aktuellen Zahlen geben Hoffnung.
Das vergangene Quartal zeigt wieder nach oben, JLR konnte in Europa um 20 Prozent zulegen. Sind das nur nachgeholte Verkäufe oder stehen wir am Anfang einer Renaissance des Autos wegen der Gesundheitskrise?
Es gibt natürlich Nachzieheffekte, weil die Kunden in den Monaten davor kaum Autos kaufen konnten. Aber wir profitieren auch davon, dass die Menschen öffentliche Verkehrsmittel meiden – aus Sorge vor einer Ansteckung. Gerade unsere Autos von Land Rover vermitteln ein Gefühl, vor der Umwelt geschützt zu sein. Wir sind auf jeden Fall sehr zufrieden, wie sich das Segment unserer SUVs entwickelt, die Zahlen sind besser als die generellen Marktzahlen.
Wie lang wird es dauern, bis man bei den Verkäufen wieder auf dem Vorkrisenniveau ist?
Wenn man sich den Markt anschaut – der September in Europa war schon besser als der September des Vorjahres. Das hat natürlich mit Nachziehkäufen zu tun und teilweise mit steuerlichen Änderungen, etwa in Österreich. Aber der Markt erholt sich schnell. Wenn es keine zweite Welle mit einem neuerlichen Lockdown gibt, sollten wir 2021 wieder das Vorkrisenniveau erreichen.
Da sind Sie optimistischer als manche Ihrer Mitbewerber. Unser Geschäftsjahr beginnt und endet im März, das verschiebt es schon ein wenig. Aber wir haben auch sehr interessante, neue Modelle im Angebot, etwa einen günstigeren I-Pace (vollelektrisches SUV, Anm.) mit etwas reduzierter Leistung, wir haben den neuen Land Rover Defender, 2021 kommt der vollelektrische Jaguar XJ – wir sind gut aufgestellt.
SUVs werden wegen ihrer Größe und ihres Gewichts immer wieder kritisiert. Fürchten Sie – jetzt, da die Klimakrise den Menschen bewusster ist –, dass künftig weniger SUVs gekauft werden und Land Rover, das ja nur SUVs und Geländewagen anbietet, unter Druck kommt?
Ich glaube, SUVs haben sich auf dem Markt etabliert. Es gibt sie, weil Menschen diese Art von Autos mögen und kaufen. Weil sie eine große Familien haben, schwere Lasten ziehen oder an Orte fahren müssen, an die sie mit einem gewöhnlichen Pkw nicht kommen. Wir haben mittlerweile auch mehrere Plug-in-Hybridfahrzeuge (Autos, die mit einem Verbrennungs- und einem Elektromotor angetrieben werden, Anm.) im Angebot, so kann man bestimmte Strecken elektrisch zurücklegen. Zudem haben diese Modelle steuerliche Vorteile. Dieser Bereich wird auf jeden Fall wachsen, die Modelle sind bei unseren Kunden sehr begehrt.
Wann wird es denn einen vollelektrischen Land Rover geben? Eines Tages sicher. Mehr kann ich dazu derzeit leider nicht sagen.
Europa hat strenge CO2-Vorschriften für heuer und nächstes Jahr, bei Nichterreichen drohen
Millionenstrafen. Wird JLR diese Vorgaben erfüllen können? Heuer wird es auf jeden Fall schwierig, weil die Coronakrise den Markt völlig durcheinandergewirbelt hat. Wir konnten zum Beispiel einige Modelle erst verspätet auf dem Markt bringen. Wir tun unser Bestes und hoffen, dass wir die Vorgaben schaffen, aber es wird eine Herausforderung – für die großen Hersteller noch mehr als für uns. Für die kommenden Jahre bin ich zuversichtlicher, weil wir ein breites Angebot an elektrischen Fahrzeugen im Angebot haben werden.
Würden Sie sich von der EU erwarten, dass man heuer die CO2Vorgaben aussetzt?
Das heurige Jahr war in jeder Beziehung einzigartig und für alle Autohersteller eine große Herausforderung. Viele konnten ihre Autos nicht wie geplant verkaufen oder neue Modelle in den Markt einführen. Das muss man verstehen, die Planungen sind wegen der Coronakrise völlig entgleist. In diesem Jahr hatte die Autoindustrie sehr schwere Bedingungen, jede Art von Entgegenkommen würde von allen in der Industrie geschätzt werden.
Kalifornien will ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zulassen, in Deutschland gibt es eine ähnliche Diskussion. Kann man in 15 Jahren die Umstellung auf eine reine Elektroflotte schaffen? Wir sind bereit. Wir haben derzeit ein, bald zwei Elektroautos im Angebot, wir bieten Hybridmodelle – die Frage ist, ob der Kunde für die Umstellung bereit ist. Elektroautos sind wegen der Batterie teurer als Autos mit Verbrennungsmotor, und sie werden so schnell auch nicht billiger werden. Die Frage wird auch sein, ob die Regierungen bereit sind, mehr Geld in die Hand zu nehmen, um mit Förderungen einen schnelleren Umstieg zu unterstützen.
Sind Autos mit einem reinen Verbrennungsmotor ein Auslaufmodell?
Wir haben uns der elektrischen
Zukunft verschrieben und setzen auf Elektroautos. Mit unserem vollelektrischen I-Pace waren wir ein Vorreiter. Unser Ziel ist es, dass jedes Modell mit einem elektrischen Antrieb angeboten wird. Aber Europa und Kalifornien sind nicht die Welt, es gibt auch Märkte, wie etwa die arabischen Länder, in denen noch immer reine Diesel- oder Benzinautos angeboten werden und auch gefragt sind.
Wie lang wird es noch solche Autos geben wie einen Jaguar F-Type mit Achtzylindermotor? Solche Sportautos wird es immer geben. Die Stückzahlen sind auch nicht so groß, sie fallen bei den Flottenzielen für die Abgase nicht so sehr ins Gewicht. Irgendwann werden Achtzylindermotoren verschwinden und auch Sportautos nur noch elektrisch angetrieben werden. Aber bis dahin wird es noch dauern.
JLR hat ein Werk in der Slowakei, in dem beispielsweise der neue Land Rover Defender gefertigt wird. Wird man diese Fabrik im Zuge des Brexit ausbauen?
Es hängt vom Brexit ab. Wir haben große Hoffnungen auf eine einvernehmliche Lösung zwischen Großbritannien und der EU, dann würde es auch durch den Brexit keine große Disruption geben. Bei einem No-Deal-Szenario sieht es natürlich ganz anders aus, da müssten wir neu denken.
Wie optimistisch sind Sie?
Ich bin ein großer Optimist. Es hängt wirtschaftlich sehr viel an einer guten Lösung, ein No-Deal wäre eine Katastrophe und auch ein Zeichen des politischen Versagens. Ich hoffe, dass es nicht dazu kommt.
Sie waren als Europa-Chef von JLR viel unterwegs. Wie erleben Sie die neue Realität von Videokonferenzen statt Treffen? Sind Sie froh, dass Sie nicht mehr dauernd durch die Sicherheitskontrollen auf dem Flughafen müssen, oder gehen sie Ihnen ab?
Es ist eine enorme Veränderung. Die Videokonferenzen – gut, dass wir überhaupt diese technischen Möglichkeiten haben – sind eine ganz eigene Herausforderung. Am Anfang war die Umstellung fast ein Schock für mich, aber man muss es auch positiv sehen: flexibles Arbeiten, mehr Zeit für die Familie. Aber ich freue mich schon wieder auf persönliche Treffen und nette Unterhaltungen bei einer Tasse Tee.