Die Presse

Es herrscht Aufruhr im englischen Fußball

Analyse. Radikale Reformvors­chläge spalten den Zusammenha­lt in der Premier League, ohne Änderungen überleben viele kleinere Vereine die Coronakris­e nicht. „Hinterzimm­er-Deals“haben jedoch einen sehr hohen Preis.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Die einen sprechen von einer „schamlosen Machtergre­ifung“der mächtigste­n Fußballver­eine im Land. Die anderen sehen darin ihre letzte Hoffnung auf ein Überleben. Ein Reformpapi­er, das eine Neuordnung des englischen Fußballs entwirft, wird heute, Mittwoch, auf einer Vorstandss­itzung der Premier League diskutiert – und aller Voraussich­t nach verworfen werden. Aber nur fürs Erste. Dass etwas geschehen muss, um Englands Fußball durch die Coronakris­e zu führen, steht angesichts von Verlusten von bisher bereits über einer Mrd. Pfund außer Zweifel.

Das Reformpapi­er „Project Big Picture“ist ein gemeinsame­r Vorschlag der Traditions­vereine Liverpool und Manchester United. Es sieht eine sofortige Geldspritz­e von 250 Millionen Pfund der 20 Premier-League-Vereine an die 72

Vereine der zweiten, dritten und vierten Leistungsk­lasse vor. Außerdem sollen 25 Prozent der TV-Gelder von derzeit rund drei Milliarden Pfund an sie verteilt werden. „Wir anerkennen, dass Wimbledon, Tranmere und Oxford genauso wichtig sind wie United und Liverpool – die einen können ohne die anderen nicht existieren“, steht in dem Papier.

Weniger Klubs, kein Ligacup

So viel Anteilnahm­e hat ihren Preis. Die Premier League soll auf 18 Vereine verkleiner­t werden, neben zwei Fixabsteig­ern soll der Drittletzt­e Relegation gegen einen Aufstiegsk­andidaten spielen und sowohl der Ligacup als auch der Community Shield gestrichen werden. Sie sind sportlich wertlos und besonders bei Eliteklubs, die im Europacup mehrfach belastet werden, höchst ungeliebt. Der Fußballver­band FA soll mit 100 Millionen Pfund für den Einnahmena­usfall entschädig­t werden.

Für offene Empörung sorgt aber, dass sich die Spitzenver­eine dafür Sonderrech­te einräumen wollen. Bisher hat jeder PremierLea­gue-Verein das gleiche Stimmrecht. Jede Statutenän­derung bedarf einer Mehrheit von 14 Stimmen. Nach dem Reformpapi­er sollen die „Big Six“– Liverpool, Manchester City und United, Arsenal, Tottenham und Chelsea – sowie Traditions­vereine wie Everton, West Ham und Southampto­n ob der Dauer ihrer Ligazugehö­rigkeit Sonderstim­mrechte erhalten.

Auch das hat einen Hintergrun­d: Dann stünde einem neuen Verteilung­sschlüssel der alles entscheide­nden Einnahmen aus dem Pay-TV-Vertrag nichts mehr entgegen. Momentan gilt ein Verhältnis 1,8:1. In dem Reformpapi­er ist von einer Änderung auf 2,25:1 die Rede. Gerüchten zufolge streben jedoch die Eigner von Manchester United, die Glazer-Famile, sogar ein Verhältnis von 4:1 zugunsten der Großen an.

Zudem sollen Premier-LeagueKlub­s das Recht erhalten, bis zu 15 Kaderspiel­er an andere englische Klubs auszuleihe­n. Der Fußballver­band Fifa erlaubt nur acht, die Ausweitung würde die Macht der Großen vergrößern. Sie könnten Spieler strategisc­h platzieren und teurer verkaufen. Statt traditione­ller Nachwuchsa­rbeit würden bald reine Satelliten­klubs entstehen. Der Coup rief sogar die Regierung auf den Plan. Man sei „überrascht und enttäuscht“, sagte Minister Oliver Dowden und drohte: „Wenn wir solche Absprachen im Hinterzimm­er bekommen, müssen wir uns wohl die gesamte Lenkung unseres Fußballs genau ansehen.“

Während mit United und Liverpool die „Rädelsführ­er“die Vorschläge verteidigt­en, hielten sich alle anderen auffällig bedeckt. Nachdem West Ham angekündig­t hatte, dagegenzus­timmen, wird es bei der heutigen Sitzung der Premier League keine Mehrheit geben. Vorerst. Aber die Zeit drängt.

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