Wir retten die Kultur – aber wie lang noch?
Theater, Oper, Konzerte: In den USA und in Großbritannien findet nichts mehr statt, bei uns schon. Ein Grund zum Stolz oder ein Menetekel?
Bei halb leeren Häusern kommt staatlich finanzierte Kultur länger über die Runden.
Offen“: Das Wort prangt an der Fassade der Wiener Staatsoper. Mit der Lichtinstallation wollte die neue Direktion im Haus am Ring eigentlich Schwellenängste nehmen. Jetzt wirkt sie coronabedingt als Lebenszeichen und flehentliche Bitte: Kommt doch, wir sind halb leer, weil die Kulturtouristen ausfallen. Aber immerhin, da leuchtet etwas. In New York sind die Lichter ausgegangen. Die Metropolitan Opera hat die gesamte Spielzeit abgesagt. Konzerte finden nicht statt. Die Theater am Broadway sind geschlossen, wie auch im Londoner West End. Die Royal Gallery in der britischen Hauptstadt will eine Michelangelo-Skulptur verkaufen, damit sie nicht 150 Mitarbeitern kündigen muss. Im Kunsthistorischen steht aber kein Tizian zur Disposition. Wo liegt der Unterschied?
In Kontinentaleuropa sind Kulturinstitutionen staatlich stark subventioniert. Sie kommen bei reduzierter Platzzahl und fehlenden Besuchern finanziell länger über die Runden. Vor allem in den USA sind die öffentlichen Förderungen viel geringer. Mehr kommt von reichen Mäzenen, aber sie finanzieren lieber imageträchtige Veranstaltungen als Notfallfonds für zwangsweise Untätige. Auch britische Theater sollten kommerziell erfolgreich sein. Wo Geld fehlt, springt der Staat nur ergänzend zu Privaten ein.
Erst nach wochenlangen Protesten rang sich die Johnson-Regierung im Juli zu einem Kulturrettungspaket durch. Zuvor hatte schon Netflix den Theaterleuten geholfen – nicht selbstlos: Nachwuchstalente kommen oft von kleinen Bühnen, und der Streamingdienst fürchtet, dass hier eine ganze Generation ausfällt. Bei jüngst fixierten britischen Arbeitsmarkthilfen gehen Künstler leer aus, weil ihre Jobs „nicht existenzfähig“sind.
Sollen wir nun in selbstgefälliges Triumphgeheul ausbrechen, weil in unserem System die Kultur den Belastungstest bisher besser übersteht? Die neue Macht des Staates vergrößert auch die geistige Abhängigkeit der Kulturschaffenden, die an seinem finanziellen Tropf hängen. Manche Kritiker halten Theaterproduktionen aus New York oder London im Schnitt für besser als das, was es bei uns zu sehen gibt. Innovative Impulse, neue Tendenzen in der Kunst kommen oft aus den USA. Dass man kreativ sein muss, um Finanzierungsquellen aufzutreiben, scheint die Kreativität zuweilen eher zu fördern als zu lähmen.
Es ist also erst einmal wertneutral traurig, wenn angelsächsische Länder nun zur kulturellen Wüste verkommen. Auch, weil es wohl ein Menetekel ist: Vielleicht zeigt sich dort nur schneller und klarer, wie Gesellschaften in einer Atmosphäre allgemeiner, lähmender Angst die lebendige Kultur für verzichtbar erklären – und damit ein wesentliches Element sinnerfüllten Lebens. Wenn es aber so weit kommt, können wir unser Haus namens Zivilisation langsam zusperren.