Azteken: Adler und Opfer, Ästhetik und Alltag
Wiener Weltmuseum. Spektakulär ist die erste Azteken-Ausstellung in Österreich seit 1987. Der Zauber besteht trotz antikolonialistischer Aufklärung.
Die schillernden Vogelfedern auf runden Schildern, das Blasen des steinernen Windgottes aus spitzem Mund, die Dunkelheit des aufgerissenen Mauls einer gefiederten Schlange. Der dumpfe Knall, mit dem der schwere Kautschukball auf die steinernen Hüftgürtel der Spieler schlägt. Und, natürlich, Menschenblut: Schnell läuft der innere Hollywoodfilm ab, hat man sich in der europäisch überlieferten Bildwelt der Azteken (nicht Mexica, wie sie selbst sich nannten) verloren, mitten in dieser sehr dunklen, aber immerhin nicht zugigen Ausstellung im Weltmuseum.
Mit Dunkelheit und Wind haben die Götter die Einwohner dieses von den Spaniern mithilfe anderer indigener Völker ab 1519 in unbarmherziger Kürze vernichteten Imperiums ihre mysteriöse Seite spüren lassen. Das erfährt man im Katalog dieser Ausstellung. Dieser spektakulären Ausstellung. Denn trotz Beteuerung des Stuttgarter Linden-Museums, wo die Wanderschau 2019 begann, hier keine der üblichen ästhetisierenden Azteken-Ausstellungen liefern zu wollen, ist sie natürlich eine geworden. Was immerhin ehrlicher ist, als diesen Relikten auch noch den Zauber zu nehmen, den sie auf uns spätgeborene Kolonialistenkinder trotz eingelernter Selbstreflexion nun einmal ausüben.
Didaktik und Showeffekt ausgewogen
Der Wille zur Aufklärung unseres von der Propaganda der Spanier manipulierten Blicks ist zumindest in den Texten spürbar. An Information zu jedem der rund 200 Exponate, darunter 120 aus mexikanischen Sammlungen, wurde nicht gespart, eine eigene Kinderspur durch die Räume inklusive. Didaktik und Showeffekt halten sich erträglich die Waage. Durch die Zusammenarbeit mit mexikanischen Archäologen können sogar neueste Funde wie der Inhalt einer „Opferkiste“präsentiert werden, was einen gewissen Neuigkeitswert für Fachleute verspricht. Von denen es in Wien, in Österreich bekanntlich wenig gibt.
So fand die letzte Azteken-Ausstellung 1987 im Landesmuseum in Linz statt, dessen Chef damals, kein Zufall, Wilfried Seipel hieß, seines Zeichens späterer KHM-Direktor. Und nein, die Ausstellung hieß nicht
„Das Gold der Azteken“. Sie hätte, wenn schon, „Die Jade der Azteken“oder „Die Federn der Azteken“heißen müssen – als Materialien weit geschätzter.
Der berühmte, im Weltmuseum verwahrte altmexikanische Federschmuck, weder belegt als Krone noch von Montezuma, legt davon Zeugnis ab. Nicht einmal ein Stockwerk, hinunter in die Sonderausstellungsräume im Erdgeschoß, durfte er bewegt werden. Keiner einzigen Erschütterung soll das 800 Gramm leichte Riesengebilde ausgesetzt sein. Unter diesen Vorzeichen ist auch das Ansinnen von Mexikos Präsidenten, Lopez´ Obrador, zu werten, der just am Vorabend der Ausstellungs-Pressekonferenz twitterte: Seine Frau habe Van der Bellen um Leihgabe des Kopfschmucks ersucht. Eine Bitte, so KHM-Generalin Sabine Haag, die vom Kulturministerium geprüft werde. Man sollte sich an 2012 erinnern, als mexikanische Forscher selbst feststellen mussten: Das Objekt ist zum Reisen zu fragil.
Es ist nur ein Wunsch von vielen, den Lo-´ pez Obradors Frau auf ihrer Tour durch Europa anbrachte, wo sie Leihgaben für das mexikanische Jubiläumsjahr 2021 sammeln möchte. Auch das „Buch von Nacht und Wind“erfragte sie vom Papst. Antwort ist keine überliefert. In der Wiener Ausstellung liegt diese bedeutendste erhaltene Bilderhandschrift der Azteken als Faksimile aufgefaltet – inklusive aller Ratschläge, wann welche Götter wem helfen, wann welche Gefahren Krieger, Ehepaar oder Ballspieler drohen. Der Verlust des Lebens etwa, wie jüngste Ausgrabungen in Mexiko Stadt bekräftigen, wo die Azteken-Hauptstadt Tenochtitlan´ mit dem Templo Mayor lag. Ein Modell davon zeigt die „Schädelwand“direkt hinter dem „Ballspielplatz“. 500 der dort aufgefädelten Köpfe rituell Getöteter fand man bereits. Von 130.000, mit denen die Spanier den Teufel an die Wand malten, um eigene Grausamkeit zu rechtfertigen, ist (noch) nicht zu reden.
Die Relativierung und Erklärung der Menschenopfer, die man heute „sozial sanktionierte Tötungen“zu nennen angehalten ist, ist ein Verdienst dieser Ausstellung. Genauso wie das Spürbarmachen des Alltags dieser Zwei-Klassen-Gesellschaft, die den Tod nicht als End-, sondern Ausgangspunkt nahm, in der Mensch, Tier, Pflanzen und Götter eine Einheit waren und selbst eine Keramikvase eine Seele haben durfte.
Den Kopf voll Opferschalen und Adler verlässt man dieses Haus. Nur um diesen wieder zu begegnen, strebt man Richtung Ringstraße – die Steinadler und Opferflammen des „Heldendenkmals“passierend. So fern, so nah, so fremd, so vertraut.
15. Oktober bis 13. April, tägl. außer Mi, 10–18 Uhr.