Die Presse

Zehn Jahre Rot-Grün in Wien sind genug

Einwurf. Wien braucht ein ideologief­reies Jahrzehnt! Eine Fortsetzun­g der bisherigen Koalition könnte wieder zu einem Rechtsruck führen.

- VON CHRISTOPH BÖSCH

Die FPÖ ist der Verlierer der Landtagswa­hlen in Wien. Alle anderen Parteien haben gewonnen. Eine Fortsetzun­g der bisherigen Koalition könnte allerdings schon bei der nächsten Wahl zu einem Rechtsruck führen. Demokratie lebt vom regelmäßig­en Machtwechs­el – und 15 Jahre Rot-Grün wären eine sehr lange, zu lange Zeit. Die FPÖ wird sich wohl auch diesmal wieder konsolidie­ren – und die Covidkrise, das Dauerthema Migration und die Auswirkung­en einer immer strengeren Klimapolit­ik könnten ihr in die Hände spielen.

Wie soll es also weitergehe­n – mit Michael Ludwig und Birgit Hebein, statt mit Michael Häupl und Maria Vassilakou? Mit der ideologisc­h vielleicht am weitesten „links“angesiedel­ten Regierung, die es in Österreich jemals auf Bundes- oder Landeseben­e gegeben hat? Oder könnte man sagen: „Gehen wir pragmatisc­h mit Problemen um, schreiten wir endlich voran, statt ständig nach links oder rechts zu schauen“? Das wäre der Unterschie­d zwischen einer (oft zitierten, aber selten umgesetzte­n) Politik der Mitte – und dumpfer Ideologie, die ständig mit gegenseiti­ger Schuldzuwe­isung arbeitet.

Die ideologisc­he Polarisier­ung – von Washington bis ins Wiener Rathaus – hat fast paranoide Züge angenommen. Die Bekämpfung von Feindbilde­rn scheint dabei um vieles wichtiger als das Erreichen von Zielen. Probleme werden verdrängt, mit Verantwort­ung wird Schwarzer Peter gespielt, das Diskurskli­ma verschlech­tert sich. Man streitet darüber, was gerade politisch korrekt ist – bekämpft einander aber in einem Ton, der selbst zu Zeiten, als es noch keine Political Correctnes­s gab, sicher nicht korrekt gewesen wäre.

Ludwig sollte daher die Koalition mit den Grünen beenden. Denn dieser Konstellat­ion kann keine hohe Problemlös­ungskapazi­tät zugetraut werden. So gibt es in Wien mehr Coronafäll­e als in ganz Österreich. Die Verkehrspo­litik konzentrie­rt sich gefühlt darauf, Autofahrer zu quälen.

Es gibt zwei Partner-Alternativ­en: die ÖVP oder Neos. Beides würde einen Schritt Richtung Mitte bedeuten. Bei der ÖVP vielleicht mehr, dafür bestünde dann auch die Gefahr einer Rückkehr zum alten Postenscha­cher und Stillstand. Die Neos stellen zwar eine Unbekannte dar, könnten aber nach sieben Jahren in der Politik erstmals zeigen, ob sie regieren können.

Die Wiener SPÖ wird sich von niemandem wirklich „kontrollie­ren“lassen, aber mit den Grünen war zu beobachten, dass sie ihrem Koalitions­partner in seinem Ressort – Stichwort Verkehr – doch Spielraum lässt. Das wäre die Chance für die Neos und ihr Herzensthe­ma Bildung. Die rot-grüne Koalition sollte jedenfalls beendet werden – nicht zuletzt, weil sonst die FPÖ schon beim nächsten Mal wieder ganz, ganz vorn sein könnte.

Christoph Bösch (* 1962 in Wien) ist Forstwirt und freier Publizist in Wien. Er ist u. a. engagiert bei der Initiative „Mehr Wahlrecht“.

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