Die Presse

„Gute Nacht“: Unmut über Ausgangssp­erre

Frankreich. Um Corona zu bremsen, muss man in Metropolen ab 21 Uhr daheim bleiben.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

paris. Die französisc­he Regierung hat nach langem Zögern nun doch Ausgangssp­erren verhängt: Ab Samstag sollen 20 Millionen Einwohner von Großstädte­n ab 21 Uhr daheim bleiben: Die Sperren gelten in Paris, Grenoble, Lille, Lyon, Aix-Marseille, Montpellie­r, Rouen, Saint-E´tienne und Toulouse. Staatspräs­ident Emmanuel Macron hat für diese Gegenden den Covid-Notstand ausgerufen.

Das Ausgehverb­ot von 21 Uhr bis sechs Uhr früh gilt für „mindestens vier Wochen“, kann aber vom Parlament verlängert werden. Wer nach der Sperrstund­e „ohne triftigen Grund“bei Polizeikon­trollen auf der Straße angetroffe­n wird, riskiert Geldstrafe­n von 135 bis 1500 Euro. Nicht betroffen vom Verbot sind Personen, die in der Nacht oder bis spätabends arbeiten – sie brauchen aber eine schriftlic­he Bestätigun­g.

Macron sprach von einer „besorgnise­rregenden“Situation: Die Zahl der Neuinfekti­onen ist landesweit auf bis zu 27.000 pro Tag angestiege­n. In Paris, wo fast 2000 Menschen an Covid gestorben sind, werden pro Woche mehr als 400 Infizierte pro 100.000 Einwohner gezählt. Vor allem die Lage auf den Intensivst­ationen macht den Behörden Sorge.

Hohe Verluste befürchtet

Restaurant­s, Cafes´ und Bars, Theatern, Konzertsäl­en und Kinos, die bereits schwer unter der Epidemie gelitten haben, drohen hohe Verluste. Die Möglichkei­t, das Personal in eine von der Arbeitslos­enversiche­rung bezahlte Kurzarbeit zu schicken, dürfte kaum ausreichen, um eine Pleite- und Entlassung­swelle zu vermeiden.

Frankreich rechnete bisher mit einem Einbruch des BIPs um fast zehn Prozent bis Jahresende und einer Million neuer Armen. Mit so schockiere­nden Einschränk­ungen hatten die wenigsten gerechnet.

„Bonne Nuit“(Gute Nacht) wünschte am Donnerstag auf der Titelseite „Liberation“´ etwas zynisch der betroffene­n Bevölkerun­g. „Traurige Tage“prophezeit „Le Figaro“. Eine vergleichb­are Ausgangssp­erre wird üblicherwe­ise im Rahmen des Kriegsrech­ts oder eines Belagerung­szustands angeordnet. In Paris war dies während der NS-Besetzung von 1940 bis 1944 und zum letzten Mal während des Algerien-Kriegs der Fall.

Macron erklärte denn auch, er sei sich bewusst, dass er vor allem von jüngeren Bürgern ein großes Opfer verlange. Doch angesichts der Entwicklun­g gehe die Gesundheit vor, und es sei „nicht der Zeitpunkt, um zu feiern“.

Die neuen Restriktio­nen in den Metropolen schränken hauptsächl­ich die Freizeit ein, aber nicht berufliche Aktivitäte­n. Wichtigste Infektions­herde sind laut Gesundheit­sbehörden tagsüber Universitä­ten und Arbeitsplä­tze. Das verstärkt in der Bevölkerun­g die Zweifel an der Wirksamkei­t des abendliche­n Hausarrest­s.

Regierung unter Druck

Noch mehr unter Druck als bisher dürfte durch die neuen Maßnahmen auch die Regierung geraten: Macrons Covid-Politik unterstütz­en in Umfragen nur 35 Prozent der Befragten. Denn nach Ansicht der meisten Franzosen wurden die bisherigen Regeln von den Behörden kaum erklärt und noch weniger kontrollie­rt.

Und am Donnerstag wurden im Rahmen einer gerichtlic­hen Untersuchu­ng zum Corona-Krisenmana­gement die Büros und Privatwohn­ungen von Gesundheit­sminister Olivier Veran,´ Ex-Premier E´douard Philippe und Ex-Regierungs­sprecherin Sibeth Ndiaye durchsucht. Es geht bei den Klagen gegen sie um den Verdacht von sträfliche­n Unterlassu­ngen sowie Täuschung und Desinforma­tion der Bevölkerun­g.

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