„Es gab Wahlbetrug in der Vergangenheit“
Interview. US-Botschafter Trevor Traina warnt vor Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentenwahl im eigenen Land. Die ausgeweitete Briefwahl öffne das Tor für Wahlbetrug. Es wäre „naiv“zu glauben, dass dies in den USA nicht passieren könne.
Die Presse: Joe Biden liegt in Umfragen weit voran. Kann Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen am 3. November überhaupt noch gewinnen?
Trevor Traina: Alles ist möglich. Ich glaube nicht, dass die Umfragen zuverlässig sind. Schon bei der letzten Wahl lagen die meisten Meinungsforscher daneben. Ich halte mich an das Umfrage-Institut Trafalgar, das auch beim letzten Mal richtig lag. Und dort ist Trump in entscheidenden Bundesstaaten wie Florida, North Carolina, Michigan, Ohio oder Wisconsin entweder vorn oder noch im Rennen.
Im Rostgürtel, in Staaten wie Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, ist Biden mehr als fünf Prozentpunkte vorn.
Wisconsin ist berühmt für schlechte Umfragen. Wie man in Wien gern sagt: Schau ma mal.
Trump hat wiederholt erklärt, dass die US-Demokraten nur gewinnen können, wenn sie die Wahl fälschen. Ein sportlicher Zugang sieht anders aus.
Es gab Wahlbetrug in der Vergangenheit. Und wegen Corona und der ausgeweiteten Briefwahl gibt es heuer noch mehr Möglichkeiten dafür. Dass Wähler einen Antrag stellen, um Wahlzettel zugeschickt zu bekommen, ist normal. Aber manche haben gefordert, dass der Staat jedem registrierten Wahlberechtigten einen leeren Wahlzettel mailt. Das ist sehr gefährlich und öffnet das Tor für Betrug. Denn die Wählerlisten sind sehr ungenau. Darauf finden sich oft noch Personen, die tot oder weggezogen sind. In Kalifornien, wo ich herkomme, finden regelrechte Wahlzettel-Ernten statt: Das letzte Mal wurden mehrere Rennen tagelang nicht für beendet erklärt, weil Leute in letzter Minute ganze Ladungen von Wahlzetteln anschleppten.
Bemerkenswert, was Sie sagen. Experten sehen keine Beweise für Wahlbetrug in großem Stil. Sogar in den vergangenen zwei Wochen wurden Stapel von Wahlzetteln gefunden. In Los Angeles wurden mehrere Tausend Wahlzettel ohne Namen der Präsidentschaftskandidaten verschickt. Es gibt solche Vorfälle. Die Frage ist, ob sie ernst genug sind, um den Wahlausgang zu beeinflussen.
Während einer Pandemie gibt es natürlich ein erhöhtes Briefwahlaufkommen. Halten Sie es für verantwortungsvoll, da Zweifel über das Wahlverfahren zu säen? Wir sehen auf der ganzen Welt Wahlunregelmäßigkeiten. Es wäre naiv zu glauben, dass dies nur in Osteuropa und in Asien passieren könnte, aber nicht in den USA.
Trump weicht der Frage aus, ob er einen geordneten Übergang nach der Wahl garantiert. Könnten die USA in eine Verfassungskrise stürzen, wenn es kein klares Wahlresultat gibt? Wir haben auch Hillary Clinton gehört, die Joe Biden empfohlen hat, unter keinen Umständen eine Wahlniederlage einzugestehen. Das ist alles nur politisches Geplänkel. Ich bin zu 100 Prozent zuversichtlich, dass es einen Wahlsieger und einen problemlosen Übergang geben wird, sobald die Bundesstaaten die Auszählung beendet haben.
Was wird von Trumps vier Jahren im Weißen Haus bleiben?
Die größte Errungenschaft des Präsidenten ist, dass er die Alarmglocke in Bezug auf China geläutet hat. Chinas KP will sich nicht dem westlichen Klub anschließen, sondern ihr System durchsetzen. Trump hat den Diskurs gedreht. Er hat aufgerüttelt und gewarnt, Technologie oder gar Häfen an China zu verkaufen. In Europa, auch in Österreich, werden Chinas Investitionen nun genauer untersucht. In der Dritten Welt sehen wir eine Kolonisierung durch China mittels Knebelkrediten. Und schauen Sie sich das Vorgehen gegen die Uiguren an, die Konzentrationslager, die Repression in Hongkong.
Der Begriff Konzentrationslager ist wohl übertrieben.
Es gab Zwangssterilisierungen. Sie wollen Uigurinnen dazu bringen, Chinesen zu heiraten. Sie wollen eine Volksgruppe auslöschen.
Die Wirtschaftssysteme Chinas und des Westens sind eng miteinander verbunden. Wird es zu einer Entkopplung kommen?
Es wird keine komplette Entkopplung geben, aber einen Wechsel. In den USA und in Europa setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Handel mit China nicht weitergehen kann wie bisher. China ist die zweitgrößte, am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der Welt und stellt sich immer noch als Entwicklungsland hin, um Vorteile einzustreifen. Kein anderes Land war so offen gegenüber China wie die USA – und deshalb auch dermaßen verantwortlich für den Aufstieg Chinas. Aber diese Offenheit hat nicht den erhofften Nutzen gebracht. Deshalb überdenken wir die Beziehung.
Mit Ihrer Kampagne gegen den chinesischen 5G-Netzwerkanbieter Huawei hatten Sie in Österreich wenig Erfolg.
Österreich ist sich der Gefahr bewusst. Es ist unmöglich, Daten auf einem staatlich kontrollierten chinesischen System zu schützen. Die USA empfehlen Erikson, Nokia oder Samsung. Es geht nicht darum, US-Firmen zu fördern.
Es gibt auch kein amerikanisches 5G-Netzwerk. Die USA hinken auf diesem Feld hinterher.
Es gibt viele 5G-Entwicklungen in den USA. Aber der amerikanische Anbietermarkt ist fragmentierter als in Europa. Aber was sind die kurzfristigen Vorteile von 5G?
Das Internet wird schneller.
Viele geben nur an mit 5G. Ich komme aus der Technologiebranche. Es ist unklar, warum Konsumenten im Moment 5G brauchen.
Wäre angesichts des Aufstiegs Chinas ein europäisch-amerikanisches Handelsabkommen wie TTIP nicht wichtiger denn je?
Das ergäbe großen Sinn. Präsident Trump schlug vor, Zölle auf beiden Seiten komplett abzuschaffen.
Österreich hat eine Digitalsteuer eingeführt. Die USA haben ein Verfahren dagegen eingeleitet. Wann werden die USA Vergeltungsmaßnahmen verhängen? Dieser Prozess befindet sich noch in einem sehr frühen Stadium. Eines steht fest: Die Digitalsteuer diskriminiert US-Unternehmen. Es wäre ein Albtraum, wenn jeder Staat seine eigene Digitalsteuer hätte. Deshalb soll es eine international vereinbarte Lösung geben.
Warum stiegen die USA dann im Juni aus OECD-Verhandlungen über die Digitalsteuer aus?
Es gab Differenzen, aber ich bleibe optimistisch. Ich bin erstaunt, wie lange manche Verhandlungen auf Regierungsebene dauern.
Überraschte es Sie, dass Österreich und Deutschland das Gaspipeline-Projekt Nord Stream II auch nach der Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Nawalny nicht infrage stellten? Europa selbst ist uneins über Nord Stream II. Meine Hauptfrustration besteht in der völlig falschen Wahrnehmung, dass Amerika sich nur deshalb um die Energieunabhängigkeit Europas sorge, weil es sein eigenes Flüssiggas verkaufen wolle. Diese Talking Points wurden auf Kyrillisch geschrieben und dann übersetzt. Die USA hatten Bedenken gegen Nord Stream, bevor sie überhaupt in der Lage waren, Flüssiggas zu exportieren.
Aber Sie werden wohl kaum bestreiten, dass die USA Flüssiggas verkaufen wollen?
Der Markt für US-Flüssiggas befindet sich in Asien, nicht in Europa, wo es genug Anbieter aus dem Nahen Osten gibt.
Für Österreich und Deutschland ist es inakzeptabel, dass die USA Unternehmen, die am PipelineBau beteiligt sind, mit extraterritorialen Sanktionen bedrohen. Für Deutschland und Österreich ist es eine geschäftliche Entscheidung. Aber für Osteuropäer, die jahrzehntelang dominiert waren von Russland, ist es eine existenzielle Frage. Erinnern Sie sich: Russland hat das Gas mitten im Winter 2005 abgedreht und Menschen sind deshalb gestorben. Für die USA ist die Situation nicht einfach: Manche unserer Alliierten sind zufrieden mit Nord Stream II, andere komplett dagegen.