Mut zum Hinterfragen!
Laudatio von Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer, an Robert Pfaller.
Ich habe mir mit hohem Vergnügen, die „Erwachsenensprache“durchgelesen und bin begeistert. Die These, wonach ziviler Ungehorsam einer selbsterfüllenden fast Watzlawick’schen Prophezeiung des Mainstreams, der Correctness und des sich in Rahmen Fügens gewichen ist, kann ich bezogen auf unseren Beruf wirklich teilen. Es ist das Ziel des Watzlawick Ehrenrings, Widersprüche oder scheinbare Widersprüche aufzuklären. Und damit auch Autoritäten zu hinterfragen. Auch die Autorität des Arztes. Wenn wir vom Arzt reden und über den Mythos des Arztes als Souveräns über Leben und Tod des Patienten, müssen wir auf der anderen Seite sehen, dass die Ökonomisierung des Gesundheitssystems diesen Anspruch immer stärker in Frage stellt oder negiert.
Im Gesundheitssystem und in der Gesundheitsversorgung haben – trotz Corona-Erfahrungen – die Ökonomen das Ruder übernommen, der freie Beruf des Arztes in seinem Selbstverständnis stört sie. Die Gesundheitsökonomen wollen Dienstleister und funktionierende Reparateure. Diesem Druck stellen wir uns und deshalb bin ich froh, dass es Menschen wie Robert Pfaller gibt, die auf derartige Situationen immer wieder verweisen. Und was die Lusthaftigkeit betrifft...
Auch Ärzte wollen ihr Leben leben und sich dem Druck des permanenten Verfügbarseins entziehen. Wer sich für den Arztberuf entschieden hat, tut das nicht aus Jux und Tollerei, sonst würde er die lange Ausbildungszeit nicht in Kauf nehmen. Er tut es, weil er ein wissenschaftliches Interesse an Menschen und Medizin hat oder weil er ein heilendes Interesse hat, weil er helfen möchte und weil er sich dazu die Instrumentarien aneignen möchte.
Diesem Erwartungsdruck zu entsprechen ist ohnehin schwer genug, noch dazu in einem System, das dazu neigt, nicht vom gesunden Menschen auszugehen, sondern von dem Menschen, der sich durch Krankheit definiert.
Deswegen hieß es ja auch die längste Zeit „Krankenkassen“und die jetzige Behübschung auf „Gesundheitskassen“ist nichts anderes als eine Umfärbung. Ausschließlich im Dialog mit anderen Wissenschaften, mit anderen Denkungsweisen, lässt sich Medizin in der Zukunft auch vom Zwang des rein Reparativen, Interventionistischen und Isolationistischen befreien. Wir sollten nicht vergessen, dass Medizin Humanwissenschaft ist, und dass es um den Menschen geht und nicht um Körperteile oder Organe oder sonstige Gelenke, die ausgetauscht, repariert und wieder funktionstüchtig gemacht werden sollen.
Vom gesunden Menschen auszugehen und Menschen gesund zu erhalten, ist der Beruf des Arztes. Vom denkenden Menschen auszugehen, vom Citoyen, ist Ethos und Beruf der Philosophie. Beide Disziplinen dürfen diese Grundansprüche nie weglegen, sondern in den Analysen immer darauf hinweisen, was auch Mut zur Selbstkritik und In-Frage-Stellung des eigenen Seins bedeutet.