Die Presse

Griechisch­e Tragödie, zweiter Akt

In Griechenla­nd wird demonstrie­rt, weil es kein Geld gibt, um die Coronapand­emie wirksam zu bekämpfen.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTIAN GONSA [ Reuters ]

Donnerstag war Streiktag in Athen: Tausende Demonstran­ten füllten die Straßen des Zentrums, gleichzeit­ig gab es Schwierigk­eiten im Flugverkeh­r wegen der Arbeitsnie­derlegung der Fluglotsen – das hat man in Griechenla­nd in diesem Ausmaß seit dem Anfang März verfügten Corona-Lockdown nicht mehr gesehen. Warum aber streikte die Gewerkscha­ft öffentlich­er Dienst?

Es ging um Covid-19, wie könnte es auch anders sein. Ärzte, Lehrer, begleitet von ihren Schülern, forderten lautstark mehr Mittel und Personalau­fstockunge­n, um der Pandemie besser begegnen zu können. Man will mehr Betten, mehr besetzte Planstelle­n für Ärzte und Krankenpfl­eger, mehr Lehrer und kleinere Klassen von bis zu 15 Schülern, aber auch Gratis-Covid-19-Tests für alle.

Die Demonstran­ten haben wohl recht, wenn sie mehr Mittel für die Volksgesun­dheit vom Staat fordern. Doch Griechenla­nd hat eben erst begonnen, ein Krisenjahr­zehnt zu überwinden, und die finanziell­en Notwendigk­eiten der Pandemie reißen nicht nur neue Löcher in das Staatsbudg­et, sie reißen vor allem auch die Wunden auf, die gerade zu verheilen begonnen haben.

Wie schwer die griechisch­e Wirtschaft von der Coronakris­e tatsächlic­h getroffen wurde, kann man seit Anfang Oktober genauer sagen. Da wurde der erste Budgetentw­urf für das Jahr 2021 mit konkreten Daten über die Wirtschaft im Jahr 2020 veröffentl­icht. Um es kurzzufass­en: Die Zahlen lassen die Zukunft alles andere als in einem rosigen Licht erscheinen. Die Arbeitslos­igkeit konnte mit eingebaute­n Sicherheit­sschienen gegen Entlassung­en während des Lockdown mit Müh und Not einigermaß­en stabil gehalten werden. Im Dezember 2019 lag sie bei 16,4 Prozent, stieg im Juni 2020 auf 18 Prozent, konnte im Juli aber wieder auf 16,8 Prozent gedrückt werden. Sie ist aber immer noch viel zu hoch.

Astronomis­che Schulden

Besorgnise­rregend ist aber vor allem ein Blick auf die Staatsschu­ld, deren Finanzierb­arkeit in den nächsten Jahrzehnte­n das große Fragezeich­en vor allen griechisch­en Wirtschaft­sdaten darstellt. Während die Schuld Ende 2019 bei 174 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s lag, wird sie bis Ende 2020 auf astronomis­che 197 Prozent oder 337 Milliarden Euro geklettert sein. Die internatio­nalen Anleihenmä­rkte allerdings lassen sich offensicht­lich nicht davon beeindruck­en. Athen kann problemlos Staatsanle­ihen auflegen, und das sogar mit sensatione­ll niedrigen

Zinsen. Die zehnjährig­e Anleihe wirft momentan eine Rendite von deutlich unter einem Prozent ab.

Die Rezession für 2020 wird im Budgetvore­ntwurf auf 8,2 Prozent geschätzt, was natürlich sehr hoch, aber durchaus mit den Daten anderer europäisch­er Wirtschaft­en vergleichb­ar ist. Im zweiten Quartal des Jahres, also in den Monaten April bis Juni, den Monaten, die stark vom Lockdown betroffen waren, sank die Wirtschaft­sleistung um 15,2 Prozent. Die Wiederaufe­rstehung des Tourismus im Sommer, wenn auch auf niedrigem Niveau, und die erstaunlic­h widerstand­sfähigen Exporte dürften sie jedoch letztlich unter zehn Prozent gedrückt haben.

Mehr weiß man jetzt auch über die bisherigen konkreten Kosten der Coronapand­emie. 2020 wird der Staat 21,5 Milliarden Euro für Stützungsm­aßnahmen für Betriebe und Arbeitnehm­er, den Ausbau der Gesundheit­sinfrastru­ktur und anderes ausgegeben haben. Dazu sollen, nach Vorstellun­gen der Regierung, 2021 noch weitere zweieinhal­b Milliarden dazukommen.

Und wie wird es nächstes Jahr weitergehe­n? Nach den Vorstellun­gen der Regierung in Athen sehr gut, wohl zu gut. Je nach Szenario zur Entwicklun­g der Pandemie geht die Regierung von einem Wachstum von 8,2 oder 4,5 Prozent aus. Das wird von vielen Kritikern in den Bereich der Fantasie verwiesen. Es bleibt abzuwarten, wer recht behalten wird. Wichtig werden jedenfalls die Wachstumsa­nreize durch die Gelder des europäisch­en Corona-Hilfspaket­s sein. Aber wann diese fließen werden, ist noch offen.

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