Griechische Tragödie, zweiter Akt
In Griechenland wird demonstriert, weil es kein Geld gibt, um die Coronapandemie wirksam zu bekämpfen.
Donnerstag war Streiktag in Athen: Tausende Demonstranten füllten die Straßen des Zentrums, gleichzeitig gab es Schwierigkeiten im Flugverkehr wegen der Arbeitsniederlegung der Fluglotsen – das hat man in Griechenland in diesem Ausmaß seit dem Anfang März verfügten Corona-Lockdown nicht mehr gesehen. Warum aber streikte die Gewerkschaft öffentlicher Dienst?
Es ging um Covid-19, wie könnte es auch anders sein. Ärzte, Lehrer, begleitet von ihren Schülern, forderten lautstark mehr Mittel und Personalaufstockungen, um der Pandemie besser begegnen zu können. Man will mehr Betten, mehr besetzte Planstellen für Ärzte und Krankenpfleger, mehr Lehrer und kleinere Klassen von bis zu 15 Schülern, aber auch Gratis-Covid-19-Tests für alle.
Die Demonstranten haben wohl recht, wenn sie mehr Mittel für die Volksgesundheit vom Staat fordern. Doch Griechenland hat eben erst begonnen, ein Krisenjahrzehnt zu überwinden, und die finanziellen Notwendigkeiten der Pandemie reißen nicht nur neue Löcher in das Staatsbudget, sie reißen vor allem auch die Wunden auf, die gerade zu verheilen begonnen haben.
Wie schwer die griechische Wirtschaft von der Coronakrise tatsächlich getroffen wurde, kann man seit Anfang Oktober genauer sagen. Da wurde der erste Budgetentwurf für das Jahr 2021 mit konkreten Daten über die Wirtschaft im Jahr 2020 veröffentlicht. Um es kurzzufassen: Die Zahlen lassen die Zukunft alles andere als in einem rosigen Licht erscheinen. Die Arbeitslosigkeit konnte mit eingebauten Sicherheitsschienen gegen Entlassungen während des Lockdown mit Müh und Not einigermaßen stabil gehalten werden. Im Dezember 2019 lag sie bei 16,4 Prozent, stieg im Juni 2020 auf 18 Prozent, konnte im Juli aber wieder auf 16,8 Prozent gedrückt werden. Sie ist aber immer noch viel zu hoch.
Astronomische Schulden
Besorgniserregend ist aber vor allem ein Blick auf die Staatsschuld, deren Finanzierbarkeit in den nächsten Jahrzehnten das große Fragezeichen vor allen griechischen Wirtschaftsdaten darstellt. Während die Schuld Ende 2019 bei 174 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag, wird sie bis Ende 2020 auf astronomische 197 Prozent oder 337 Milliarden Euro geklettert sein. Die internationalen Anleihenmärkte allerdings lassen sich offensichtlich nicht davon beeindrucken. Athen kann problemlos Staatsanleihen auflegen, und das sogar mit sensationell niedrigen
Zinsen. Die zehnjährige Anleihe wirft momentan eine Rendite von deutlich unter einem Prozent ab.
Die Rezession für 2020 wird im Budgetvorentwurf auf 8,2 Prozent geschätzt, was natürlich sehr hoch, aber durchaus mit den Daten anderer europäischer Wirtschaften vergleichbar ist. Im zweiten Quartal des Jahres, also in den Monaten April bis Juni, den Monaten, die stark vom Lockdown betroffen waren, sank die Wirtschaftsleistung um 15,2 Prozent. Die Wiederauferstehung des Tourismus im Sommer, wenn auch auf niedrigem Niveau, und die erstaunlich widerstandsfähigen Exporte dürften sie jedoch letztlich unter zehn Prozent gedrückt haben.
Mehr weiß man jetzt auch über die bisherigen konkreten Kosten der Coronapandemie. 2020 wird der Staat 21,5 Milliarden Euro für Stützungsmaßnahmen für Betriebe und Arbeitnehmer, den Ausbau der Gesundheitsinfrastruktur und anderes ausgegeben haben. Dazu sollen, nach Vorstellungen der Regierung, 2021 noch weitere zweieinhalb Milliarden dazukommen.
Und wie wird es nächstes Jahr weitergehen? Nach den Vorstellungen der Regierung in Athen sehr gut, wohl zu gut. Je nach Szenario zur Entwicklung der Pandemie geht die Regierung von einem Wachstum von 8,2 oder 4,5 Prozent aus. Das wird von vielen Kritikern in den Bereich der Fantasie verwiesen. Es bleibt abzuwarten, wer recht behalten wird. Wichtig werden jedenfalls die Wachstumsanreize durch die Gelder des europäischen Corona-Hilfspakets sein. Aber wann diese fließen werden, ist noch offen.