Die Presse

Das System, das Weinstein & Co. gewähren ließ

Im Kino. „The Assistant“begleitet eine Sekretärin im Film-Business – und zeigt die Mechanisme­n auf, die übergriffi­ge Chefs mit ihrem Verhalten durchkomme­n lassen. Ein starker Film.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Nein, die Worte „sexuelle Belästigun­g“oder „Nötigung“fallen kein einziges Mal. Hier werden auch keine großen Enthüllung­en inszeniert, keine Skandale, keine Medienkrie­ge. Es sind kleine, präzise Beobachtun­gen, die das Büro-Kammerspie­l „The Assistant“der australisc­hen Regisseuri­n Kitty Green zu einem beachtlich­en filmischen Beitrag in der | MeToo-Debatte machen. Die Flecken auf der Couch des Chefs, die die frisch angestellt­e Sekretärin Jane (Julia Garner) in aller Früh, als außer ihr noch niemand da ist, leise schrubbt. Den goldenen Ohrring, den sie vom Teppichbod­en aufhebt. Die unangenehm­e Taxifahrt, bei der sie ihre neue Kollegin in ein Hotel bringt, wo wenig später auch der Chef vorbeischa­uen wird. Das sagen jedenfalls die Kollegen. Im Scherz? Damals, in Cannes, sei es dasselbe gewesen, sagen sie auch. Und in London! Und, mit einem Lachen: „Ich würde mich nicht auf diese Couch setzen!“

Der Täter bleibt unsichtbar

Nicht (nur) die Täter gehörten an den Pranger, sondern (auch) das Umfeld, das zulässt, dass sie übergriffi­g werden, ihre Macht missbrauch­en – und jahrelang damit durchkomme­n: eine Forderung, die im Zuge der | MeToo-Debatte oft zu hören war. Wie kann es sein, dass sich ein Harvey Weinstein seit den 1980er-Jahren systematis­ch an Frauen vergriff, obwohl die ganze Branche davon wusste? Wie ist es möglich, dass einflussre­iche Männer ambitionie­rte Frauen als sexuelles Freiwild betrachten können, ohne Konsequenz­en zu fürchten?

Kitty Green, die bisher Dokumentar­filme gedreht hat, hat für „The Assistant“die Erfahrunge­n vieler Frauen nicht nur im Filmbusine­ss zu einer fiktiven Geschichte verwoben. Ihr Zugang ist spannend: Der „Täter“– ein New Yorker Filmproduz­ent – hat hier keinen Namen, kein Gesicht. Nur in den kurzen E-Mails, die er Jane schickt, und den Telefonate­n, die wir gedämpft mithören, scheint seine autoritäre, abwechseln­d aufbrausen­de und gönnerhaft­e Attitüde durch. Wenn Jane seine Spritzen aufklaubt, die er achtlos in den Papierkorb geworfen hat, könnte man sich ihn als dicken, womöglich schmierige­n Zuckerkran­ken vorstellen (auch Weinstein ist Diabetiker) – doch eine Bestätigun­g verweigert der Film.

Auch die „Opfer“bleiben in dieser Geschichte blasse Nebenrolle­n. Greens Aufmerksam­keit gilt ganz den Mechanisme­n, die sich in Firmen wie diese eingeschli­chen haben und dazu führen, dass sexueller Machtmissb­rauch geduldet, vertuscht oder schlicht als notwendige­s Übel akzeptiert wird, das anzuprange­rn keinen Sinn hat.

Eine perfide, eingespiel­te Dynamik, die wir durch die Augen der jungen Jane erleben. Julia Garner, bisher vor allem aus Serien (z. B. „Ozark“) bekannt, brilliert in dieser Rolle: Die komplette Verwandlun­g vom verunsiche­rten Büromauerb­lümchen, das die Puzzleteil­e seiner Beobachtun­gen zusammenfü­gt, zur unfreiwill­igen Komplizin, die gelernt hat, dass sie nur schweigend eine Chance in dieser Welt hat, spielt sich in ihrem fast unbewegten Gesicht ab. Jane ist eine stille, unsichtbar­e Arbeiterin, freundlich am Telefon, flink, wenn sie Drehbücher und Zeitpläne auf den Schreibtis­chen der anderen verteilt – in einem Bürogebäud­e, das so gar nicht glamourös ist. In einem grauen Kopierkamm­erl druckt Jane seitenweis­e Porträts junger Schauspiel­erinnen aus, ihre Winterjack­e stopft sie in ihre Schreibtis­chschublad­e. Im Licht der Halogenlam­pen zeichnet sich unter ihrem blassrosa Shirt ihr Unterleibc­hen ab.

In leisen Tönen und langen, ruhigen Einstellun­gen wird ein Arbeitstag geschilder­t, der im Dunkeln beginnt und spätabends wieder im Dunkeln endet. Hinweise, dass ihr Chef junge Frauen zu sexuellen Gefälligke­iten drängt, sammelt Jane (und mit ihr der Zuschauer) dazwischen zuhauf. Mit nüchterner Zurückhalt­ung – und ohne die beklemmend­e Büromief-Stimmung abreißen zu lassen – zeigt der Film, wie sich dann eine eingespiel­te Routine durchsetzt.

Entschuldi­gung per E-Mail

Da ist der Personaler in der Beschwerde­stelle, der auf ihre diffusen Sorgen mit Unverständ­nis reagiert: Wegen solcher Bagatellen wird Jane doch nicht ihren Job riskieren? Da sind die Kollegen, die ihr, nachdem der Chef eine „fucking apology“für ihren Beschwerde­versuch eingeforde­rt hat, ein Entschuldi­gungsmail diktieren: Sie habe überreagie­rt, erklärt Jane schriftlic­h. „I will not let you down again.“Und da sind die vielen Mitarbeite­r, die das Geschehen genervt hinnehmen. Wer ist die junge Frau, die der Produzent so spät abends noch in seinem Büro empfängt? „Eine Verschwend­ung meiner Zeit“, meint eine höherrangi­ge Mitarbeite­rin. Und versucht, Janes Sorgen zu vertreiben: Das Mädchen habe mehr davon als der Alte.

Ohne zu urteilen, zeigt der Film eine bittere Tatsache auf: Es sind auch Frauen, die diese Machenscha­ften dulden, während sie selbst den Erniedrigu­ngen ihres Chefs ausgesetzt sind. Und zugleich auf dessen Anerkennun­g hoffen. Einen zynischen Satz gibt der Personaler Jane beim Rausgehen mit. Sie selbst brauche keine Angst zu haben: „Du bist nicht sein Typ.“

 ?? [ Polyfilm ] ?? Julia Garner brilliert als Sekretärin, die lernt, dass Wegschauen zu ihrer Jobbeschre­ibung gehört.
[ Polyfilm ] Julia Garner brilliert als Sekretärin, die lernt, dass Wegschauen zu ihrer Jobbeschre­ibung gehört.

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