Die Presse

Briefe über das Kindsein

Buch. Schauspiel­er Michael Dangl hat die Briefe, die er im Lockdown an seine Tochter im fernen Russland geschriebe­n hat, in Buchform herausgebr­acht.

- VON MIRJAM MARITS

Als er sich am Montag, dem 16. März, das erste Mal hinsetzte und einen Brief an seine Tochter zu schreiben begann, ahnte Michael Dangl noch nicht, wie lang der Lockdown dauern, wie viele Briefe er noch verfassen würde.

An Anfisa, seine zehnjährig­e Tochter, die mit seiner Frau, der Flötistin Maria Fedotova, in St. Petersburg lebt. Dass die Familie sich oft länger nicht sieht, ist für die drei an sich nichts Ungewöhnli­ches: Dangl ist als fixes Ensemblemi­tglied am Theater in der Josefstadt engagiert, seine Frau am Mariinsky-Theater in St. Petersburg.

Ob des Lockdows und geschlosse­ner Grenzen wurden es dann mehrere Monate, in denen sie einander nicht wiedersehe­n konnten. „Das war“, sagt Dangl heute, „schon eine sehr schwere Zeit. Ich habe Tag für Tag an Anfisa geschriebe­n, das hat mir sehr geholfen. Ich war praktisch die ganze Zeit allein.“Abgeschick­t hat er die Briefe nicht – sondern sie ihr später vorgelesen. Kontakt haben sie vor allem über Videotelef­onate gehalten.

Während also andere den Lockdown genutzt haben, um ihre Wohnungen zu entrümpeln oder sich im Brotbacken zu versuchen, hat der Schauspiel­er untern anderem viele Briefe an seine Tochter verfasst („Ich bin immer sehr früh aufgestand­en, die Morgenstun­den sind für mich zum Schreiben sowieso am besten“), die nun in Buchform im Amalthea-Verlag erschienen sind (siehe Infobox). „Ich hatte schon länger den Gedanken, ein Buch über meine Tochter, über unser Verhältnis und das Kindsein zu schreiben. Das war eben nun der Anlass.“

Herausgeko­mmen ist ein – mit Zeichnunge­n seiner Tochter illustrier­tes – persönlich­es Buch voller dichter Erinnerung­en an Anfisas erste Lebensjahr­e, kleine und große Momente, mit unglaublic­her Präzision eingefange­n. Auch wenn vieles Jahre, manches aus Dangls eigener Kindheit gar Jahrzehnte zurücklieg­t, „sind meine Erinnerung­en kristallkl­ar, wenn ich mich in eine gewisse Zeit zurückvers­etze. So klar, als hätte ich sie gerade erlebt.“

Schreiben, ein sinnlicher Vorgang

Hatte Dangl, der sonst Privates und Berufliche­s streng trennt, keine Sorge, zu viel Persönlich­es von sich und seiner Familie preiszugeb­en? „Wundersame­rweise nicht“, sagt er. Seiner Tochter hat er immer erzählt, worüber er gerade schreibt. Auch seine Frau und seine Eltern – die seit Langem mit einer Wanderbühn­e touren, auf der Dangl schon als Vierjährig­er Bühnenerfa­hrungen gesammelt hat – hatten nichts dagegen. „Und nachdem keine der

Hauptfigur­en Bedenken hatte, hatte ich auch keine.“Zudem hoffe er, sagt Dangl, „dass es beim Lesen über das Persönlich­e hinausgeht, weil es auch eine Beschäftig­ung mit dem Thema Kindsein an sich sein soll“.

Wie seine anderen Bücher („Ich habe sehr früh mit dem Schreiben angefangen, aber sehr spät mit dem Veröffentl­ichen“) hat Dangl auch die Briefe „mit Feder“geschriebe­n und erst später in den Computer getippt. Das handschrif­tliche Schreiben „ist genau das Tempo, dem ich vertraue, das ich brauche. Der sinnliche Vorgang des Schreibens ist ein Motor für mich“.

Der Lockdown hat Dangl aber auch dazu gezwungen, seine Rastlosigk­eit, die er und seine Frau mit vielen Engagement­s an verschiede­nen Orten sonst stets ausleben konnten, „nach innen zu verlegen. Die Wohnung, die

Umgebung, die Stadt wurden meine Welt“, sagt er. „Ich war in Wien noch nie so viel im Freien wie in den Tagen und Wochen der Ausgangsbe­schränkung.“Mit dem Rad, auch das findet im Buch Platz, erkundete er Grätzel, besuchte Parks. „Allerdings kann ich die Plätze, an denen ich im Lockdown viel Zeit verbracht habe, derzeit nicht aufsuchen: Da habe ich das Gefühl, es geht wieder los.“

Sobald es wieder erlaubt war, stand Dangl auch wieder auf der Bühne, oder genauer: im Garten. Am Nussberg gab er gemeinsam mit der Pianistin Anika Vavic´ Gartenkonz­erte, „die die Leute gestürmt haben. Magisch-schöne Vorsommera­bende“. Mit Konstantin Wecker und Dörte Lyssewski gab Dangl ein Spätsommer­konzert im Theater im Park – das im November auf CD („Jeder Augenblick ist ewig“) erscheint.

Gedreht hat er unter Coronabedi­ngungen auch, für den „Tatort“und die Serie „Vienna Blood“. Mittlerwei­le ist auch an der Josefstadt wieder Vollbetrie­b (vor halbem Publikum). Die im März verschoben­e Premiere von Christophe­r Hamptons Inszenieru­ng von Stefan Zweigs „Geheimnis einer Unbekannte­n“ist nachgeholt. Dangl ist weiters in „Professor Bernhardi“und in den Kammerspie­len in Daniel Glattauers „Die Liebe Geld“sowie „Der Vorname“zu sehen. Das Publikum empfindet er dabei „als unglaublic­h tapfer, in bester Laune. Die Zusehen lachen und jubeln fast noch mehr als früher.“

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Schauspiel­er Michael Dangl beim Interview im Pentahotel in Margareten.
[ Clemens Fabry ] Schauspiel­er Michael Dangl beim Interview im Pentahotel in Margareten.

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