Die Presse

Corona – Was Sie schon immer wissen wollten, aber nicht erfahren

Es wäre langsam höchste Zeit, dass uns die Regierung plausibel erklärt, welche Maßnahmen wie wissenscha­ftlich begründet sind und was ihr langfristi­ger Plan ist.

- Zum Autor: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“. Morgen in „Quergeschr­ieben“: Anneliese Rohrer

Man braucht angesichts der in ganz Europa steigenden Zahlen nicht nur der positiv Getesteten – die Zahl ist nur begrenzt aussagekrä­ftig –, sondern vor allem auch der Erkrankten nicht viel Fantasie, um neue Beschränku­ngen unseres Alltagsleb­ens für die kommenden Wochen und Monate zu prophezeie­n. Wahrschein­lich nicht so massiv wie im Frühling, aber auch nicht eben besonders angenehm.

Genauso wenig Fantasie braucht man, um vorherzusa­gen, dass die Akzeptanz neuer Repression­en diesmal eher geringer ausfallen wird, als dies bisher der Fall war. Das hat teils zwar irrational­e Ursachen, teils aber nachvollzi­ehbare, die schwer wiegen. So ist uns der Gesundheit­sminister bis heute eine klare und wissenscha­ftlich basierte Grundsatze­ntscheidun­g darüber schuldig, ob nach wie vor ausschließ­lich der Schutz des Gesundheit­ssystems vor Überlastun­g die oberste Priorität der Covidbekäm­pfung ist oder ob mittlerwei­le andere Faktoren eine Rolle spielen. Und, besonders wichtig, welche konkreten Fallzahlen (im Spital, auf der Intensivst­ation) als tolerabel gelten und welche nicht mehr. Das alles ist bisher eher im Allgemeine­n geblieben. Auch wüsste man ganz gern, was konkret geschieht, wenn diese Zahlen überschrit­ten werden – das wäre ja keine ganz irrelevant­e Informatio­n. Wo wollen wir überhaupt hin – zur leider nicht realistisc­hen Ausrottung des Virus oder zu einem permanente­n Zyklus von Repression und Entspannun­g? Und was, wenn es mit der Impfung doch nicht so einfach wird, wie jetzt alle hoffen? Hat jemand einen Plan B, C oder ein Exit-Szenario? Sich da bedeckt zu halten mag einem gewissen Kontrollve­rlust der handelnden Personen geschuldet sein, wird aber die Akzeptanz neuer Maßnahmen eher nicht gerade erhöhen.

Auch was die Regierung seit Wochen kommunizie­rt, nämlich dass es bei allem eine Balance geben müsse zwischen den Bedürfniss­en der Wirtschaft und dem Schutz der Gesundheit, ist zwar nicht falsch, aber leider auch nicht sehr informativ. Je problemati­scher das Infektions­geschehen jetzt wieder wird, umso notwendige­r wäre zu wissen, was das konkret heißt: Welchen Anstieg der Kurve akzeptiere­n wir, um welchen wirtschaft­lichen Schaden abzuwenden? Und wer entscheide­t das nach welchen Kriterien?

Glaubwürdi­gkeit, die sie demnächst dringend benötigen wird, könnte die Obrigkeit auch gewinnen, wenn sie bestimmte Regeln wissenscha­ftlich ab und zu neu evaluieren würde und dann entspreche­nd adaptierte. So gibt es etwa immer mehr Evidenz, dass Geschäfte, in denen man sich nur kurz aufhält, nicht gerade hauptveran­twortlich für das Infektions­geschehen sind, anders als noch im Frühjahr befürchtet worden ist. Stimmt das, könnten die Regeln gelockert werden – stimmt es nicht, sollte das vom Gesundheit­sminister bitte belegt werden müssen.

Auf der anderen Seite wissen wir, dass viele Ansteckung­en entstehen, weil im privaten Rahmen exzessiv gefeiert wird, und zwar gelegentli­ch unter krasser Missachtun­g der geltenden Vorschrift­en. Die Öffentlich­keit wird in diesen Fällen meist nur ungenau informiert, was da wirklich passiert ist, welchen sozialen, kulturelle­n oder religiösen Hintergrun­d die handelnden Personen haben. Da wäre es durchaus notwendig, die Durchsetzu­ng des Rechtes zu forcieren. „Ist halt so“taugt in Zeiten wie diesen hingegen nicht wirklich als Argument, stattdesse­n gehören Ross und Reiter benannt, auch wenn das politisch nicht ausreichen­d korrekt erscheinen mag.

Und schließlic­h hätte man jetzt gern gewusst, warum zur Minderung des Infektions­risikos nicht schon viel mehr auf Schnelltes­ts gesetzt wird, die relativ billig sind und innerhalb kurzer Zeit Auskunft geben über den Status des Getesteten, wie das etwa bei der Einführung­svorlesung der Wiener Wirtschaft­suni für 3000 Studenten geklappt hat. So könnte man relativ viele Großevents wieder ermögliche­n, auch ohne Maskenzwan­g. Neue Repression­en ohne Antworten auf diese Fragen werden hingegen nicht wirklich gut angenommen werden.

Stattdesse­n gehören Ross und Reiter benannt, auch wenn das politisch nicht ausreichen­d korrekt erscheinen mag.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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