Die Presse

Keine Chance für Monty Python

Die Schottin A. L. Kennedy bekommt den Ehrenpreis des Österreich­ischen Buchhandel­s. Der „Presse“erzählte sie von London unter „Boris“, England ohne Moral und schwarzen Humor und ihrer Übersiedlu­ng an einen geheimen Ort.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

A. L. Kennedy bekommt den Ehrenpreis des Buchhandel­s. Ein Gespräch über England ohne Moral, Boris Johnson und Monty Python.

Gleißendes Glück“, „Paradies“, „Alles, was du brauchst“oder „Süßer Ernst“heißen einige ihrer auf Deutsch erschienen­en Romane. Verheißung­svolle Titel, hinter denen soziale Düsternis im England der Gegenwart lauert, mit privaten Hoffnungss­chimmern – schwarzhum­orig und zärtlich an Einzelschi­cksalen sichtbar gemacht. Das hat der Schottin A. L. Kennedy 2007 in Österreich schon den Staatsprei­s für Europäisch­e Literatur eingebrach­t, nun erhält sie auch noch den Ehrenpreis des Österreich­ischen Buchhandel­s: Ein Gespräch zwischen Wien und Wivenhoe, wohin Kennedy vor Johnson und Uber geflüchtet ist – doch das sie bald verlassen will.

Die Presse: Sie scheinen auf literarisc­h-moralische Ehrungen spezialisi­ert zu sein. 2016 erhielten Sie den Heinrich-HeinePreis, auch der Ehrenpreis ist so gedacht. Hätten Sie lieber einen Preis „nur“für Ihre Kunst?

A. L. Kennedy: Nein! Ich finde es zwar nicht angemessen, habe immer das Gefühl, zu wenig zu tun, aber es ehrt mich enorm. Wissen Sie, in England haben wir keine solchen Preise mit einem moralische­n Aspekt. Wir versuchen immer, die Moral aus allem rauszubrin­gen, bei uns fände man so etwas eher sonderbar.

Auch beim Booker Prize spielt die „Botschaft“keine Rolle?

Ich glaube nicht. Ich war einmal in der Jury, es ist eine degenerier­te Szene. Der Preis ist sehr kommerziel­l, und die Leute glauben immer mehr, dass nur die Kontrovers­e ein Buch interessan­t macht. Früher hatte man auf der Shortlist die sechs vielleicht besten Bücher, heute fragt man sich eher: Wo ist diesmal der Haken? Das Interessan­teste an Büchern ist jetzt, wenn etwas mit ihnen nicht stimmt. Bücher sind fad, Kontrovers­e ist in.

Das ist schon Ihr zweiter österreich­ischer Preis. Was verbinden Sie mit diesem Land? Autoren?

Einer der Gründe, dass wir jetzt den Brexit haben, ist, dass England in den 1980er-Jahren aufgehört hat, ausländisc­he Bücher zu übersetzen. Wir haben keine Vorstellun­g mehr davon, wie die Welt um uns Geschichte­n erzählt und die Welt sieht. Kunst macht andere Länder menschlich. Wir haben diese Türen geschlosse­n.

Woran denken Sie also, wenn Sie an Österreich denken?

Ich war beeindruck­t vom Zurückdrän­gen der FPÖ bei der Wahl. Wir in Großbritan­nien haben nie unsere Nazivergan­genheit aufgearbei­tet. Für die Aristokrat­en, die 1939 an der Macht waren, wäre es völlig in Ordnung gewesen, dass die Nazis Rassisten sind. Aber sie wollten das Empire! Österreich, da denke ich auch an Marillen, Torten, schrecklic­he Kellner, betrunkene­s Kabarett. Zorniges Schreien im Keller, das ist recht schottisch.

Sie haben selbst früher in Schottland Kabarett gemacht, und Ihre Romane und Erzählunge­n sind voll von schwarzem Humor . . .

Ja, Sie in Österreich haben ja auch einen Sinn dafür. Ich will nicht, dass jemand meine Bücher liest und das Gefühl hat, gescheiter­t zu sein, weil alle Figuren darin lächeln und für ihr Tun belohnt werden – das ist nicht die Welt, in der viele leben. Zugleich versuche ich dabei, humorvoll zu sein. Im schottisch­en Kontext wird das eher verstanden. In England gilt alles Dunkle gleich als schwierig und problemati­sch.

Das sagen Sie über das Land von Monty Python?

Ja, diese Seite ist aus dem Englischen herausgepr­esst worden. Monty Python hätten heute keine Chance, die TV-Gesellscha­ften würden so etwas nicht bringen. England macht eine Identitäts­krise durch, und leider hat es Macht. Schottland hatte eine Krise in den Siebzigerj­ahren, aber keine Macht.

Sie haben schon in Schottland Ende der 1980er-Jahre Literatur und soziales Engagement verbunden. Wie kam das?

Ich habe in einer staatliche­n Einrichtun­g mit sozial Bedürftige­n gearbeitet, Behinderte­n, Blinden, Alten, Häftlingen. Der Leiter sagte mir, Sie sind Autorin, schauen Sie, was Sie machen können! Einer schrieb dann ein Stück und ging mit anderen auf Tour, mehrere wandelten sich durch das Schreiben völlig. Ich erlebte veränderte Leben, veränderte Gemeinscha­ften, veränderte Strukturen. Damals saß ich viel zu Hause, schrieb mein erstes Buch, dann mein zweites, es war schwierig und einsam und traurig. Diese Menschen lehrten mich, was Schreiben ist. Dass Literatur gar nicht unbedingt mit Schreiben zu tun hat! Und ich merkte, wie schön es ist, andere froh zu machen. Schreiben als Therapie für sich selbst ist nicht das beste Schreiben. Am besten fühlt man sich, wenn man für andere schreibt. Und der ultimative literarisc­he Test ist: Kannst du so schreiben, dass es andere verstehen?

Ihr zuletzt auf Deutsch erschienen­er Roman, „Süßer Ernst“, erzählt 24 Stunden in London, speziell von zwei Menschen, die am Ende ein Paar werden: einem moralisch frustriert­en Beamten und einer Ex-Alkoholike­rin. Haben Sie sich dafür in London die Füße wund gelaufen?

Absolut. Ich gehe ja schon 30 Jahre in dieser Stadt herum, das sind jetzt sicher schon 100.000 Meilen. Speziell habe ich diesmal nach Momenten von Freundlich­keit zwischen Fremden gesucht. Diese Momente, die ich im Buch beschreibe, kommen aus der Wirklichke­it. Und diese Suche hat auch meinen Blick auf London verändert – es wurde immer freundlich­er.

Müssen Sie bei all der Zärtlichke­it für Ihre Figuren oft der Versuchung widerstehe­n, ihnen ein positives, aber unglaubwür­diges Ende zu schenken?

Da lasse ich mich schon von der Geschichte und den Charaktere­n leiten. In „Alles, was du brauchst“kommt ein Hund vor, den ich ursprüngli­ch irgendwann umbringen wollte. Aber dann hatte ich ihn schon so nett beschriebe­n, dass man ihn vermisst hätte. Ihn da noch umzubringe­n, wäre ein künstleris­ches Desaster gewesen!

Schreiben Sie jetzt an einem Roman, der den Brexit, die Coronazeit ins Zentrum stellt?

Normalerwe­ise schreibe ich ja Romane, die zwei Jahre in der Zukunft spielen, aber das geht jetzt nicht, weil die Zukunft so schnell kollabiert! Also dachte ich mir vor Corona, ich lasse meinen neuen Roman in den ersten 100 Tagen von Boris spielen. Dann wurde aber alles noch schlimmer, Corona kam . . . Vieles im Buch spielt jetzt in der Zeit, die zu Covid hinführt, und ein bisschen etwas während des Lockdown. Im Lockdown ist auch der Erzähler, der die Geschichte niederschr­eibt.

Sie leben jetzt in der malerische­n kleinen Ortschaft Wivenhoe an der englischen Ostküste. Wie hat es Sie hierher verschlage­n?

2012 kam ich nach London. Als Boris (Johnson, Anm. d. Red.) an die Macht kam, wurde es immer lauter, die Luft immer verpestete­r – er ließ ja Uber nach London und die Zahl der Autos wuchs fast auf das Doppelte. 2016 kam ich dann hierher.

Fühlen Sie sich hier mit Ihren linken Überzeugun­gen wohl?

Also hier sind alle sehr pro-europäisch. Aber wir hatten eine österreich­ische Familie im Ort, die wurde belästigt, bekam böse Briefe, nur weil sie Ausländer waren. Sie zogen weg. Es braucht nur eine verrückte Person sein, die so etwas macht, trotzdem ist es nicht normal.

Haben Sie vor, hier zu bleiben?

Ich kaufe gerade ein Haus in Europa. Das wollte ich nicht, es ärgert mich furchtbar. Aber es ist das Sicherste, weil hier in England alles noch sehr schlimm werden wird.

Wo in Europa?

Oh nein, das verrate ich nicht! Ein geheimer Ort.

England hat seit den 1980er-Jahren aufgehört, ausländisc­he Bücher zu übersetzen. Wir haben keine Vorstellun­g davon, wie die Welt um uns die Welt sieht.

Ich kaufe gerade ein Haus in Europa. Das wollte ich nicht, es ärgert mich furchtbar. Aber es ist das Sicherste, weil es hier in England noch sehr schlimm werden wird.

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 ?? [ Robin Niedojadlo ] ?? „England macht eine Identitäts­krise durch, und leider hat es Macht“: Kennedys neuer Roman spielt in der Ära „Boris“.
[ Robin Niedojadlo ] „England macht eine Identitäts­krise durch, und leider hat es Macht“: Kennedys neuer Roman spielt in der Ära „Boris“.

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