Wölfe, anhänglich wie Hunde
Auch zahme Wölfe jaulen, wenn ihr „Herrl“verschwindet. Das erklärt, wie es zur engen Bindung der Hunde an die Menschen kam.
Kaum lässt das „Herrl“oder das „Frauerl“den Waldi vor einem Laden allein, geht das Theater schon los: Der Hund winselt, jault, hechelt und zerrt an der Leine, ist also sichtlich gestresst. Kommt die Bezugsperson zurück, begrüßt er sie freudig und kann von da wieder entspannt die Umgebung erschnüffeln. Wie aber reagieren erwachsene Wölfe, die von Menschenhand aufgezogenen wurden, in ähnlichen Situationen? Fast genauso, haben nun die ungarische Verhaltensbiologin Rita Lenkei und ihr Team von der ElteUniversität in Budapest durch ein vergleichendes Experiment nachgewiesen (Nature Scientific Reports, 14.10).
Das Ergebnis weist eine Fährte für eine offene Forschungsfrage. Es ist die typisch „hündische“Anhänglichkeit an den Menschen, die den „canis familiaris“so erfolgreich gemacht hat – aber woher kommt diese Eigenschaft? Natürlich hat die Domestizierung ihre genetischen Spuren hinterlassen, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie einen völlig neuen Charakterzug entstehen ließ. Liegt eine ganz enge Bindung des Kindes an die Mutter zugrunde, überträgt sie sich später auf andere Bezugspersonen? Auch das ist nicht plausibel: Hundewelpen geht es darum, dass sie sich sicher fühlen, dafür reicht auch jede andere erwachsene Hündin. Wölfe werden überhaupt oft vom Vater aufgezogen. Aber sie kennen einen starken Zusammenhalt im Rudel. Es ist eine Familie, zu der – wie bei den Menschen – auch die größeren Jungtiere gehören, bis sie fortziehen, eigene Rudel bilden oder sich einem anderen anschließen. Eine ähnlich komplexe Sozialstruktur mit klaren Hierarchien gab es wohl auch beim gemeinsamen Vorfahren von Wolf und Hund. Hier dürfte der evolutionäre Grund legen, warum sich Hunde so gut in soziale Gruppen von Menschen einfügen und sich ganz an ihrem humanen „Leitwolf“orientieren.
Kleine Unterschiede fielen im Experiment übrigens doch auf: Die Wölfe zogen viel stärker an der Leine als die Haushunde, weil sie hartnäckiger sind und ihnen dieses Verhalten nicht abtrainiert wurde. Und sie ignorierten ihnen nicht vertraute Menschen – anders als die Hunde, die ein generelles Interesse an unsereins zeigen.