Kirchenfenster und Patronen
Kunst. Sabine J. Wiedenhofer baut Städte aus Glas, fotografiert aber auch Prominente im Hotel. Über eine Künstlerin, die sich ungern einordnen lässt.
Edita Malovciˇc´ am Dach des Sachers, Hilde Dalik im Imperial, Agnes Husslein im Grand Ferdinand. Menschen, sagt Sabine Wiedenhofer, die aus ihrer Sicht „Fußabdrücke hinterlassen – im karitativen oder kulturellen Sinn“. Fotografiert hat sie sie in Gebäuden, die ihrerseits Geschichte geschrieben haben.
„If walls could talk“heißt die Serie, die ab kommender Woche in der Galerie Kovacek in der Spiegelgasse neben anderen Arbeiten der Künstlerin zu sehen ist, und ausschlaggebend dafür war eigentlich das Hotel Imperial. Für das Haus am Ring stellt Wiedenhofer seit 2014 regelmäßig wechselnde Arbeiten zur Verfügung, daraus resultierte eine Einladung zu einer Residency.
Drei Wochen wohnte Wiedenhofer damals im Hotel, stöberte im Archiv, lauschte den Erzählungen des legendären Concierge, dessen Erfahrungsschatz Wes Andersons Film „Grand Budapest Hotel“nicht unwesentlich inspiriert haben soll. Nachdem hier einst Gustav und Alma Mahler oder Oskar Kokoschka ein- und ausgegangen waren, tauchte in ihr die Frage auf: Wer sind heute die Menschen, über die man in hundert Jahren reden wird?
Einer, der sicher dazu gehören wird, ist für sie Paulus Manker. Eine „geniale Figur auf dem österreichischen Kunstmarkt“, wie sie findet, und weil sie ihn mit Fragen der Freiheit assoziiert, hat sie ihn im Belvedere am Ort der Staatsvertragsunterzeichnung fotografiert. Manker habe viele Feinde – „was mich immer inspiriert, wenn jemand so angegriffen wird.“Ähnliches gelte für Agnes Husslein. „Das sind Menschen, bei denen ich mir denke: Hut ab fürs Immer-wieder-Aufstehen.“
Malen und Aschenbecher putzen
Zähigkeit ist etwas, was Wiedenhofer schätzt. Aufgewachsen im Gemeindebau am Rennbahnweg, habe sie, erzählt sie, immer schon gemalt. „Auf meinen Wänden, Toilettenräumen – immer auf großen Flächen, Papier hat mich nicht interessiert.“Die Möglichkeit, ihr ein Studium zu finanzieren, hatten die Eltern nicht. „Ich habe mit 14 neben dem Gymnasium zu arbeiten begonnen: Aschenbecher putzen.“
Mit 20 hatte sie trotzdem ihre erste Ausstellung, frühe Unterstützer fand sie etwa in (Fußball-)Manager Beppo Mauhart oder Nachtgröße Heinz Werner Schimanko. Zwischendurch arbeitete sie in einer PR-Agentur, „weil ein Bekannter gemeint hat, ich solle doch versuchen, das Pferd von hinten aufzuzäumen und zu schauen, wie man sich vermarktet. Das sei besser, als auf die Akademie zu gehen und Professoren gefallen zu müssen – und das ist die nettere Version seiner Worte.“
Wiedenhofer bat trotzdem noch Adolf Frohner, der damals an der Angewandten unterrichtete, sich ihre Arbeiten anzuschauen. „Er hat damals gemeint: ,Mädl, bleib deiner Neugierde treu.‘ Ich habe immer so viele Materialien verwendet, dass man mich nicht einordnen konnte. Ein paar Jahre später habe ich Markus Lüpertz kennengelernt, der hat etwas Ähnliches gesagt. Es gehe um das Tun, ein echter Künstler kann ohnehin nicht anders.“
Heute weiß sie, was er meinte: „Zwischen 14 und 28 habe ich wirklich alle möglichen Jobs probiert, aber es war egal, wie viel Geld sie gebracht haben. Ich hatte trotzdem immer das Gefühl, jemand hält mir die Kehle zu. Es war ein großes Gefühl des Eingesperrtseins.“Seither sei sie nie wieder auf Nummer sicher gegangen. Anfangs malte sie Akte, dann Frauen. „Wir sind die, die gebären und immer noch die Kinder erziehen: Sprich: Wir haben die Verantwortung für das, was aus unserem Planeten wird.“Es folgten Frauenköpfe, hauptsächlich Selbstporträts mit Hut – und schief gelegtem Kopf, weil: „Wir müssen alles hinterfragen.“
Als sie 2009 begann, ihr Leben neu zu ordnen, entstanden daraus ihre heute bekannten „Cubes“. „Bausteine des Lebens“nennt sie die kleinen Würfel, mit Bleistift und Lineal entworfen und bunt ausgefüllt, „ein Mosaik aus Highlights und Verlust“. Eigentlich eine eindimensionale Arbeit, die dank einer Mischung aus Malerei und Fotografie dreidimensional wirkt.
Eine positive Umgestaltung sind ihre „Bullets“: Buchstaben, X und O für „Hugs and Kisses“, die aus Patronenhülsen bestehen. „Ich bin immer wieder mit Dingen gekommen, bei denen der Galerist sagt: ,Wer soll das kaufen?‘“Tatsächlich hat Wiedenhofer damit Erinnerungen an ihre Kindheit verarbeitet. „Mein Vater wurde niedergeschossen, als ich sechs war. Ich bin in roughen Verhältnissen aufgewachsen. Bei mir war alles ein bisschen QuentinTarantino-mäßig, so habe ich mir das zumindest zurechtgelegt.“Der Schütze war ein Kriminalbeamter, „ein Arbeiter hat sich also mit der Staatspolizei angelegt. Er hat knapp überlebt, aber es war für uns drei ein Desaster, wir haben zehn Jahre Prozess geführt.“
Schießtraining zum Geburtstag
Zu ihrem 40. Geburtstag bekam sie von einem Freund, einem New Yorker Undercover-Agenten, zwecks Aufarbeitung ein Training auf dem Schießplatz geschenkt. „So eine Waffe ist urschwer. Dann habe ich den ersten Schuss abgegeben, ich war schweißgebadet, meine Hände waren waschelnass vor Angst.“
Dass sie heute vor allem auch mit Glas assoziiert wird, hat hingegen mit einem Kirchenfenster zu tun. Mit dem Plan, 4800 Glaskuben einzusetzen, hatte sie die Ausschreibung gewonnen. Allein, sie fand keinen Produzenten, es hieß, ohne Blei zwischen den Elementen gehe das nicht. „Das war aber nicht das, was ich kreieren wollte, weil dann das Sonnenlicht nicht nahtlos schweifen kann.“Letztlich erklärte sich Murano-Visionär Adriano Berengo bereit, es zu probieren. Als er in ihrem Studio die hölzernen Entwürfe für ihren Nachbau des New Yorker Stadtteils Tribeca sah, finanzierte er gleich auch deren erste Produktion.
Bei den Glasskulpturen, sagt Wiedenhofer, gehe es nicht nur darum, New York darzustellen, „sondern auch um die Fragilität, die Gläsernheit und Transparenz der westlichen Welt. Alles ist überwacht. Das ist schon sehr spooky.“