Die Krise bietet auch eine Chance
Einwurf. Es muss auch und gerade jetzt, in der Krise, eine der Primäraufgaben der Politik sein, die Klimaerwärmung einzudämmen.
Die durch Covid-19 ausgelöste Pandemie hat eine weltweite, unvergleichliche Wirtschaftskrise zur Folge. Für die kommenden Monate ist weltweit von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auszugehen, einer daraus folgenden Verschlechterung der Lebensbedingungen für große Bevölkerungsgruppen und entsprechenden sozialen und politischen Auswirkungen. Und wir stehen erst am Beginn einer globalen Krise.
Doch es ist wichtig und möglich, in dieser Krise eine kleine Chance zu sehen. Unabhängig von der aktuellen Pandemie befinden wir uns in einer noch nie da gewesenen ökologischen und klimatischen Situation. Das Artensterben hat in den vergangenen 50 Jahren ein Ausmaß angenommen, das das nahe Erreichen eines Tipping Point bei der Stabilität von Ökosystemen vermuten lässt. Die Bedeutung der Artenvielfalt für die Stabilität von Ökosystemen ist klar belegt. Die unter allen relevanten Klimaforschern unbestrittene Zunahme der Erderwärmung (Stichwort „Klimakatastrophe“) verschärft diese ökologische Gesamtsituation der Erde dramatisch. Wenn es uns nicht global gelingt, die zunehmende Erderwärmung ehestmöglich abzuschwächen, werden die klimatischen Auswirkungen nicht nur viele heute dicht besiedelte Regionen unbewohnbar machen, sondern auch das globale Klima derart verändern, dass konkrete Auswirkungen heute schwer abschätzbar sind. Die Unbewohnbarkeit ganzer Subkontinente wird Migrationsbewegungen auslösen, die alle derzeit zur Migrationssteuerung diskutierten Maßnahmen kleinlich erscheinen lassen, da der Migrationsdruck ein Ausmaß erreichen könnte, das nur mehr durch kriegerische Interventionen zu kontrollieren wäre.
Wenn wir also heute eine Chance in diesem drastischen und dramatischen Befund zur globalen Situation sehen wollen, so liegt diese wohl darin, eine
Vielzahl von Einzelmaßnahmen zu kennen, die auf unterschiedlichsten Ebenen die beiden hier genannten Hauptprobleme Klimakrise und Artensterben beeinflussen können.
In der Frage der Klimakrise ist ein radikales Umdenken in Industrie, Mobilität und bei der Ernährung nötig. Die Umstellung der Industrie auf Nachhaltigkeit und geringen CO -Ausstoß kann als Chance für einen Innovations- und Arbeitsplatzschub gesehen werden. Die Umstellung der motorisierten individuellen Mobilität auf nachhaltigere Mobilitätskonzepte, aber auch die Umstellung der Lebensstile hin zu weniger Mobilität in Summe, kann ebenso als Chance und Innovationsmotor gesehen werden.
Weniger Fleisch konsumieren
Eine längst bekannte und leicht umsetzbare Maßnahme ist die Reduktion des Fleischkonsums, da damit nicht nur die CO -Bilanz positiv beeinflusst werden könnte, sondern auch unsere Gesundheit und Lebensraumgestaltung. Die Rodung großer Regenwaldflächen in Lateinamerika zur Gewinnung von Weideland für preisgünstige Fleischproduktion wäre über die durch eine geringere Marktnachfrage nach Fleisch entstehende wirtschaftliche Unrentabilität zu beenden, ebenso wie der Beitrag der intensiven Rinderzucht zum CO2-Ausstoß durch eine Reduktion des Fleischkonsums sinken würde.
Auch wenn wir noch nicht alle Maßnahmen und entsprechenden Effekte kennen, die zur Wahrung der Ökosysteme und zur Eindämmung der Klimaerwärmung nötig sind, so ist doch eine Vielzahl von konkreten Maßnahmen bekannt und sofort und nachhaltig umsetzbar. Ihre Durchsetzung wird primäre Aufgabe jeder Politik sein, die den Anspruch hat, nachhaltig zum Überleben der Menschheit beizutragen. Diese vielleicht letzte Chance müssen wir nützen.
Dr. Klaus Atzwanger (* 1965) ist Verhaltenswissenschaftler und Unternehmensberater in Wien.