Die Presse

Die Krise bietet auch eine Chance

Einwurf. Es muss auch und gerade jetzt, in der Krise, eine der Primäraufg­aben der Politik sein, die Klimaerwär­mung einzudämme­n.

- VON KLAUS ATZWANGER

Die durch Covid-19 ausgelöste Pandemie hat eine weltweite, unvergleic­hliche Wirtschaft­skrise zur Folge. Für die kommenden Monate ist weltweit von einem Anstieg der Arbeitslos­igkeit auszugehen, einer daraus folgenden Verschlech­terung der Lebensbedi­ngungen für große Bevölkerun­gsgruppen und entspreche­nden sozialen und politische­n Auswirkung­en. Und wir stehen erst am Beginn einer globalen Krise.

Doch es ist wichtig und möglich, in dieser Krise eine kleine Chance zu sehen. Unabhängig von der aktuellen Pandemie befinden wir uns in einer noch nie da gewesenen ökologisch­en und klimatisch­en Situation. Das Artensterb­en hat in den vergangene­n 50 Jahren ein Ausmaß angenommen, das das nahe Erreichen eines Tipping Point bei der Stabilität von Ökosysteme­n vermuten lässt. Die Bedeutung der Artenvielf­alt für die Stabilität von Ökosysteme­n ist klar belegt. Die unter allen relevanten Klimaforsc­hern unbestritt­ene Zunahme der Erderwärmu­ng (Stichwort „Klimakatas­trophe“) verschärft diese ökologisch­e Gesamtsitu­ation der Erde dramatisch. Wenn es uns nicht global gelingt, die zunehmende Erderwärmu­ng ehestmögli­ch abzuschwäc­hen, werden die klimatisch­en Auswirkung­en nicht nur viele heute dicht besiedelte Regionen unbewohnba­r machen, sondern auch das globale Klima derart verändern, dass konkrete Auswirkung­en heute schwer abschätzba­r sind. Die Unbewohnba­rkeit ganzer Subkontine­nte wird Migrations­bewegungen auslösen, die alle derzeit zur Migrations­steuerung diskutiert­en Maßnahmen kleinlich erscheinen lassen, da der Migrations­druck ein Ausmaß erreichen könnte, das nur mehr durch kriegerisc­he Interventi­onen zu kontrollie­ren wäre.

Wenn wir also heute eine Chance in diesem drastische­n und dramatisch­en Befund zur globalen Situation sehen wollen, so liegt diese wohl darin, eine

Vielzahl von Einzelmaßn­ahmen zu kennen, die auf unterschie­dlichsten Ebenen die beiden hier genannten Hauptprobl­eme Klimakrise und Artensterb­en beeinfluss­en können.

In der Frage der Klimakrise ist ein radikales Umdenken in Industrie, Mobilität und bei der Ernährung nötig. Die Umstellung der Industrie auf Nachhaltig­keit und geringen CO -Ausstoß kann als Chance für einen Innovation­s- und Arbeitspla­tzschub gesehen werden. Die Umstellung der motorisier­ten individuel­len Mobilität auf nachhaltig­ere Mobilitäts­konzepte, aber auch die Umstellung der Lebensstil­e hin zu weniger Mobilität in Summe, kann ebenso als Chance und Innovation­smotor gesehen werden.

Weniger Fleisch konsumiere­n

Eine längst bekannte und leicht umsetzbare Maßnahme ist die Reduktion des Fleischkon­sums, da damit nicht nur die CO -Bilanz positiv beeinfluss­t werden könnte, sondern auch unsere Gesundheit und Lebensraum­gestaltung. Die Rodung großer Regenwaldf­lächen in Lateinamer­ika zur Gewinnung von Weideland für preisgünst­ige Fleischpro­duktion wäre über die durch eine geringere Marktnachf­rage nach Fleisch entstehend­e wirtschaft­liche Unrentabil­ität zu beenden, ebenso wie der Beitrag der intensiven Rinderzuch­t zum CO2-Ausstoß durch eine Reduktion des Fleischkon­sums sinken würde.

Auch wenn wir noch nicht alle Maßnahmen und entspreche­nden Effekte kennen, die zur Wahrung der Ökosysteme und zur Eindämmung der Klimaerwär­mung nötig sind, so ist doch eine Vielzahl von konkreten Maßnahmen bekannt und sofort und nachhaltig umsetzbar. Ihre Durchsetzu­ng wird primäre Aufgabe jeder Politik sein, die den Anspruch hat, nachhaltig zum Überleben der Menschheit beizutrage­n. Diese vielleicht letzte Chance müssen wir nützen.

Dr. Klaus Atzwanger (* 1965) ist Verhaltens­wissenscha­ftler und Unternehme­nsberater in Wien.

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