Die Presse

Mehr verstehen als „nur Bahnhof“

Mobilität. An unübersich­tlichen Verkehrskn­oten ist schnelle Informatio­n wichtig. Wiener Forschende entwerfen digitale Ansprechpa­rtner und neue Infosystem­e für heimische Bahnhöfe.

- VON VERONIKA SCHMIDT

„Wir gestalten eine Familie an Informatio­nselemente­n“, erzählt Helmut Schrom-Feiertag vom AIT Center for Technology Experience. Der große Bruder in dieser Familie ist eine zwei Meter hohe Stele, die wie ein Pfeiler mit Display eine Fernwirkun­g auf die Menschen am Bahnhof hat. Der mittlere Bruder ragt mit seinem Touchscree­n nicht über die Köpfe hinaus, liefert aber bei Fragen schnell Antworten. Und als mobiles „Baby“können Nachrichte­n und Wegbeschre­ibungen an die Smartphone­s und Tablets der Bahnkunden geschickt werden.

Helmut Schrom-Feiertag leitet das Forschungs­projekt „Dirigent“, das über die Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG vom Klimaschut­zministeri­um gefördert wird. Mit den Projektpar­tnern indicate.digital.design.vision, Impact Design und der ÖBB-Infrastruk­tur AG wird dabei eine mögliche Zukunft der Informatio­nsbereitst­ellung für die Fahrgäste entworfen.

Die Ausgangsla­ge ist, dass moderne Verkehrskn­oten manchmal unübersich­tlich werden: Zusätzlich zum Bahnverkeh­r steigt das Unterhaltu­ngsprogram­m mit Geschäften und Restaurant­s, sodass unerfahren­e Zugfahrer am Bahnhof vielleicht die Orientieru­ng verlieren. „Zweiter Punkt, warum es ein neues System der Informatio­nsweiterga­be braucht, ist eine gegenläufi­ge Entwicklun­g“, sagt Schrom-Feiertag. Ländliche Bahnhöfe werden mit weniger Personal besetzt, hier sucht man nach Lösungen, Informatio­nen digital an die Kunden zu bringen. Die Forschende­n tüfteln an einem modularen System, das all diesen Anforderun­gen gerecht wird.

Ein Plauscherl mit der Stele

„Bisher haben wir auf Bahnhöfen ein statisches Leitsystem, also Schilder und Wegweiser, und dazu Ticketauto­maten als digitales Interface mit den Kunden“, sagt Schrom-Feiertag. Sein Projekttea­m will Hinweise und Kundenfrag­en in Info-Points verbinden, die zugleich digitale Ansprechpa­rtner und Wegweiser sein sollen. „In Anlehnung an das Schlagwort Industrie 4.0 nennen wir sie Info-Point 4.0. Gemeinsam mit dem Wegeleitsy­stem 4.0 ergeben sie das Fahrgast-Informatio­nssystem 4.0“, sagt Schrom-Feiertag.

Ein Ziel ist, dass bei Störungen und Abfahrtsän­derungen am Bahnhof nicht alle Fahrgäste zugleich zu einem Informatio­nspunkt stürmen oder verloren durch die Gänge laufen, bis sie den geänderten Bahnsteig oder Schienener­satzverkeh­r finden. Im neuen System würden die digitalen Schilder und Stelen an vielen Stellen sofort Hinweise ankündigen, die einerseits den Menschen schnell und von Weitem sichtbar die aktuelle Richtung weisen, und anderersei­ts zur Interaktio­n einladen, wenn Fragen offen sind.

Die Stelen können auf Wunsch mit den Kunden in Kontakt treten, sowohl per Touchscree­n als auch – bei Corona-Hygienereg­eln gefragt – per Sprachassi­stenten. „Dieses Conversati­onal Interface können Sie sich wie einen Chat-Bot vorstellen“, sagt Schrom-Feiertag. Es poppen Sprechblas­en auf, die Antworten liefern auf die Fragen, die entweder eingetippt wurden oder wie bei Alexa oder Siri zur Stele gesprochen wurden. Ist die Antwort auf des Kundens Frage gefunden, kann diese auch direkt ans Handy geschickt werden, sodass die Info in der eigenen Hand den Weg zum Zug oder Bus weist.

„Ich kann auch den QR-Code meines Tickets am Infopoint 4.0 scannen, und er gibt mir den Hinweis, an welchem Bahnsteig in welchem Abschnitt mein reserviert­er Platz zu finden ist“, führt Schrom-Feiertag ein Szenario aus.

Hierzu verweist der interaktiv­e Infopoint 4.0 auf das Wegeleitsy­stem, das in Zukunft mit dynamische­n Elementen ergänzt sein soll, die je nach Bedarf wechselnde Informatio­nen anzeigen.

Aufmerksam­keit der Pendler

Die Forscher denken beim Design der Kunden-Interaktio­n sowohl an Menschen, die sich in Bahnhöfen leicht überforder­t fühlen, als auch an Pendler, die ihre Wege in täglicher Routine ablaufen, ohne um sich zu blicken. „Unser System soll deren Aufmerksam­keit bekommen, wenn Änderungen des Pendlerver­kehrs notwendig sind“, betont Schrom-Feiertag.

Genau dafür ist die Flexibilit­ät einer mobilen Fahrgastle­itung sinnvoll: Denn in der Früh laufen Pendlerstr­öme in eine andere Richtung als am Abend. Die Stelen können also genau an den Stellen aufleuchte­n, wo ihre Informatio­n zu diesem Zeitpunkt ausschlagg­ebend ist: ein dynamische­s System für unsere immer schneller werdende Welt.

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[ Wilfried Gredler-Oxenbauer ] Der Hauptbahnh­of Wien erhält stets gute Kundenbewe­rtungen. Forscher wollen das Leitsystem noch verbessern.

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