Mehr verstehen als „nur Bahnhof“
Mobilität. An unübersichtlichen Verkehrsknoten ist schnelle Information wichtig. Wiener Forschende entwerfen digitale Ansprechpartner und neue Infosysteme für heimische Bahnhöfe.
„Wir gestalten eine Familie an Informationselementen“, erzählt Helmut Schrom-Feiertag vom AIT Center for Technology Experience. Der große Bruder in dieser Familie ist eine zwei Meter hohe Stele, die wie ein Pfeiler mit Display eine Fernwirkung auf die Menschen am Bahnhof hat. Der mittlere Bruder ragt mit seinem Touchscreen nicht über die Köpfe hinaus, liefert aber bei Fragen schnell Antworten. Und als mobiles „Baby“können Nachrichten und Wegbeschreibungen an die Smartphones und Tablets der Bahnkunden geschickt werden.
Helmut Schrom-Feiertag leitet das Forschungsprojekt „Dirigent“, das über die Forschungsförderungsgesellschaft FFG vom Klimaschutzministerium gefördert wird. Mit den Projektpartnern indicate.digital.design.vision, Impact Design und der ÖBB-Infrastruktur AG wird dabei eine mögliche Zukunft der Informationsbereitstellung für die Fahrgäste entworfen.
Die Ausgangslage ist, dass moderne Verkehrsknoten manchmal unübersichtlich werden: Zusätzlich zum Bahnverkehr steigt das Unterhaltungsprogramm mit Geschäften und Restaurants, sodass unerfahrene Zugfahrer am Bahnhof vielleicht die Orientierung verlieren. „Zweiter Punkt, warum es ein neues System der Informationsweitergabe braucht, ist eine gegenläufige Entwicklung“, sagt Schrom-Feiertag. Ländliche Bahnhöfe werden mit weniger Personal besetzt, hier sucht man nach Lösungen, Informationen digital an die Kunden zu bringen. Die Forschenden tüfteln an einem modularen System, das all diesen Anforderungen gerecht wird.
Ein Plauscherl mit der Stele
„Bisher haben wir auf Bahnhöfen ein statisches Leitsystem, also Schilder und Wegweiser, und dazu Ticketautomaten als digitales Interface mit den Kunden“, sagt Schrom-Feiertag. Sein Projektteam will Hinweise und Kundenfragen in Info-Points verbinden, die zugleich digitale Ansprechpartner und Wegweiser sein sollen. „In Anlehnung an das Schlagwort Industrie 4.0 nennen wir sie Info-Point 4.0. Gemeinsam mit dem Wegeleitsystem 4.0 ergeben sie das Fahrgast-Informationssystem 4.0“, sagt Schrom-Feiertag.
Ein Ziel ist, dass bei Störungen und Abfahrtsänderungen am Bahnhof nicht alle Fahrgäste zugleich zu einem Informationspunkt stürmen oder verloren durch die Gänge laufen, bis sie den geänderten Bahnsteig oder Schienenersatzverkehr finden. Im neuen System würden die digitalen Schilder und Stelen an vielen Stellen sofort Hinweise ankündigen, die einerseits den Menschen schnell und von Weitem sichtbar die aktuelle Richtung weisen, und andererseits zur Interaktion einladen, wenn Fragen offen sind.
Die Stelen können auf Wunsch mit den Kunden in Kontakt treten, sowohl per Touchscreen als auch – bei Corona-Hygieneregeln gefragt – per Sprachassistenten. „Dieses Conversational Interface können Sie sich wie einen Chat-Bot vorstellen“, sagt Schrom-Feiertag. Es poppen Sprechblasen auf, die Antworten liefern auf die Fragen, die entweder eingetippt wurden oder wie bei Alexa oder Siri zur Stele gesprochen wurden. Ist die Antwort auf des Kundens Frage gefunden, kann diese auch direkt ans Handy geschickt werden, sodass die Info in der eigenen Hand den Weg zum Zug oder Bus weist.
„Ich kann auch den QR-Code meines Tickets am Infopoint 4.0 scannen, und er gibt mir den Hinweis, an welchem Bahnsteig in welchem Abschnitt mein reservierter Platz zu finden ist“, führt Schrom-Feiertag ein Szenario aus.
Hierzu verweist der interaktive Infopoint 4.0 auf das Wegeleitsystem, das in Zukunft mit dynamischen Elementen ergänzt sein soll, die je nach Bedarf wechselnde Informationen anzeigen.
Aufmerksamkeit der Pendler
Die Forscher denken beim Design der Kunden-Interaktion sowohl an Menschen, die sich in Bahnhöfen leicht überfordert fühlen, als auch an Pendler, die ihre Wege in täglicher Routine ablaufen, ohne um sich zu blicken. „Unser System soll deren Aufmerksamkeit bekommen, wenn Änderungen des Pendlerverkehrs notwendig sind“, betont Schrom-Feiertag.
Genau dafür ist die Flexibilität einer mobilen Fahrgastleitung sinnvoll: Denn in der Früh laufen Pendlerströme in eine andere Richtung als am Abend. Die Stelen können also genau an den Stellen aufleuchten, wo ihre Information zu diesem Zeitpunkt ausschlaggebend ist: ein dynamisches System für unsere immer schneller werdende Welt.