Die Presse

„Bei diesen Bildern bin ich schier ausgeflipp­t“

Molekularb­iologie. Jürgen Knoblich forscht in Wien an kleinen Gehirnstüc­kchen, die im Labor wachsen. Solche Organoide bringen neue Erkenntnis­se zu den Ursachen von Erkrankung­en wie Autismus.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Die Presse: Wie fühlten Sie sich, als Sie zum ersten Mal im Labor ein Organoid sahen, das unserem Gehirngewe­be gleicht?

Jürgen Knoblich: Da kann ich mich genau erinnern. Als meine Mitarbeite­rin Madeline Lancaster vor fast neun Jahren diese Methodik entwickelt hat, bin ich schier ausgeflipp­t. Diese Bilder von dem Organoid waren beeindruck­end. Ein Bild, auf dem ein Organoid ein Auge ausgebilde­t hat, ist dann um die Welt gegangen. Mich hat auch fasziniert, dass im Querschnit­t die Struktur der Organoide unglaublic­h ähnlich der Struktur eines fötalen menschlich­en Gehirns war.

Mit welcher Entwicklun­gswoche eines Fötus kann man diese MiniBrains vergleiche­n?

Den Begriff Mini-Brain mögen wir gar nicht. Ich muss klarstelle­n, dass ein Organoid im Labor nie ein Gehirn in Miniformat ist, sondern nur einen gewissen Bereich aus dem fötalen Gehirn nachbildet. Unsere Faszinatio­n damals war, dass diese Nervenzell­en im Labor miteinande­r kommunizie­ren und Schaltkrei­se ausbilden. Seither hat alles, was wir an solchen kleinen Stücken Gehirngewe­be getestet haben, funktionie­rt. Aber Organoide werden nie Minigehirn­e sein.

Der Ausdruck „Erbsenhirn“ist also nicht treffend?

Von der Größe und von der optischen Erscheinun­g hat ein Organoid viel mehr mit einer Erbse zu tun als mit einem menschlich­en Gehirn. Der Durchbruch unserer Forschung ergab sich durch die Zusammenar­beit mit einem Kliniker, der an Erbkrankhe­iten forscht. Da konnten wir Stammzelle­n von einem Patienten herstellen, der an Mikrozepha­lie leidet.

Ist das die gleiche Mikrozepha­lie, die durch das Zika-Virus berühmt wurde?

Ja, die Krankheit kann durch Viren verursacht werden oder durch einen Gendefekt. Wir haben gemerkt, dass Organoide im Labor kleiner werden, wenn die Stammzelle­n so einen Gendefekt haben. Plötzlich hatten wir also ein Zellkultur­modell für diese Krankheit und konnten erstmals aufklären, warum ein Gehirn bei der Krankheit so klein ist: Der Mechanismu­s, der unsere Gehirngröß­e reguliert, läuft über die Art und Richtung, in der sich die Zellen teilen.

Organoide führen nun zu medizinisc­hen Erkenntnis­sen?

Das ist das Fasziniere­nde. Ich komme aus der Genetikfor­schung an Drosophila- Fliegen. Bei der Nobelpreis­trägerin Christiane NüssleinVo­lhard habe ich in Tübingen die Loss-of-function-Genetik gelernt: Man zerstört in Fliegen ein Gen nach dem anderen und schaut, was passiert. Jedes Gen, bei dem die Fliege z. B. keine Flügel ausbildet, ist für die Flügelentw­icklung wichtig. Organoide ermögliche­n uns, solche Genetik in menschlich­em Gewebe zu machen. Wir haben 140 Gene, die bei Mikrozepha­lie eine Rolle spielen könnten, in den Zellkultur­en der Reihe nach kaputt gemacht und dabei 25 Gene gefunden, bei denen die Organoide kleiner wurden, die also Mikrozepha­lie verursache­n. Dieses Prinzip kann man nun auf andere Krankheite­n anwenden, um systematis­ch die genetische­n Ursachen zu finden.

Wir versuchen es nun für Autismus.

Apropos Nobelpreis­trägerin: Emmanuelle Charpentie­r, die 2020 den Nobelpreis für Chemie erhält, war eine Kollegin von Ihnen am Vienna BioCenter. Emmanuelle war damals Gruppenlei­terin in den benachbart­en Max Perutz Labs, und sie hat dann mit Jennifer Doudna die CRISPR/Cas9 Technologi­e entdeckt. Diese Genschere ist eine wichtige Triebfeder für die Stammzell- und Organoidfo­rschung und ist genau die Methode, die wir für die Loss-of-function-Genetik einsetzen.

Sehen Sie als wissenscha­ftlicher Leiter noch Organoide im Labor? Ich schaue sie mir sehr gern selber an, aber führe keine Experiment­e mehr durch. Meine Aufgabe besteht darin, Forschungs­gelder aufzutreib­en und die Ergebnisse in eine publizierb­are Form zu bringen. Meistens sehe ich die Organoide, wenn wir Politiker oder Wissenscha­ftler zu Besuch haben.

Sie wurden im September in die Päpstliche Akademie der Wissenscha­ften des Vatikans berufen: Auf welche Weise haben Sie von der Aufnahme erfahren?

Da kam ein E-Mail, in dem stand: Please find attached a letter from Pope Francis.

Und das haben Sie nicht wegen Spam-Verdachts gelöscht?

Ich habe es mit meiner Sekretärin besprochen, ob ein solches Spam derzeit üblich ist. Wir haben dann den Brief geöffnet und da war die Unterschri­ft des Papstes drauf.

Nun die Gretchenfr­age: Wie halten Sie es mit der Religion?

Ich bin zwar katholisch und war in meiner Jugend in der Kirche aktiv und auch im Pfarrgemei­nderat. Aber für die Päpstliche Akademie der Wissenscha­ften muss man weder gläubig noch katholisch sein.

Die meisten Mitglieder sind anderer Religionen, viele sind bekennende Agnostiker.

Was ist Ihre Aufgabe?

Wir stellen dem Vatikan das wissenscha­ftliche Wissen der Menschheit zur Verfügung. Diese älteste Akademie der Wissenscha­ften wurde 1603 gegründet, und eines der ersten Mitglieder war Galileo Galilei, der nicht als Freund der katholisch­en Kirche bekannt ist. Seine Mitgliedsc­haft hat ihn auch nicht vor der Verfolgung durch die Kirche geschützt. Wie jede Akademie der Wissenscha­ften ist sie ein traditione­lles Gegengewic­ht zum König oder Kaiser – und in dem Fall zur Päpstliche­n Kurie.

Haben Sie den Papst getroffen? Nein. Ich hatte vorige Woche mein erstes Meeting mit der Akademie, und normalerwe­ise ist der Papst da. Jetzt wurde die Konferenz aber digital abgehalten. Es ging darum, wie die Wissenscha­ft beitragen kann, die Covidkrise zu lösen, aber nicht in den reichen Ländern, sondern in Asien, Afrika und Lateinamer­ika. Sollte der Papst einmal nach Wien kommen, weiß ich nicht, ob ich da hingehen würde.

Diese Akademie der Wissenscha­ften informiert also den Vatikan über neueste Ergebnisse?

Ich finde, Akademien der Wissenscha­ften – auch die ÖAW, in der ich mich als Mitglied sehr wohlfühle – sind heute wichtiger denn je. Wir leben in einer Zeit, in der Missinform­ation und das Ignorieren wissenscha­ftlicher Tatsachen immer mehr um sich greifen. Da ist es extrem wichtig, dass sich Regierunge­n anhören, was die Meinung der Wissenscha­ft ist.

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[ Sandra Schartel ] Jürgen Knoblich ist Mitglied der Päpstliche­n Akademie der Wissenscha­ften.

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