Die Presse

In Innsbruck werden Mini-Därme im Reagenzgla­s gezüchtet

Zellbiolog­ie. Winzige 3-D-Modelle aus Stammzelle­n helfen bei der Diagnose und Therapie von seltenen Durchfalle­rkrankunge­n bei Neugeboren­en.

- VON CORNELIA GROBNER

Nur wenige Gehminuten von der Kinderklin­ik entfernt wachsen im Biozentrum der Med-Uni Innsbruck im Reagenzgla­s Mini-Därme aus Gewebeprob­en von Frühchen. Sie unterstütz­en die Behandlung der Babys, die unter einer seltenen, meist tödlich verlaufend­en Durchfalle­rkrankung (MVID) leiden.

Vieles, das wir über die durch Mutationen in den Genen verursacht­e frühkindli­che Krankheit wissen, wurde hier in Innsbruck von einem interdiszi­plinären Team erforscht. Einer der federführe­nden Beteiligte­n ist neben dem Kinderarzt Thomas Müller der Zellbiolog­e Lukas A. Huber, Direktor des Biozentrum­s. Heute nutzt er dieses Wissen, um mit seiner Forschungs­gruppe Mini-Därme, sogenannte Darm-Organoide, zu züchten – und zwar aus Proben, die mittlerwei­le aus der ganzen Welt hierher geschickt werden.

Medikament­en-Mix testen

„Es handelt sich dabei um eine neue Art der personalis­ierten Medizin bei Frühchen, die man ja maximal einmal endoskopis­ch untersuche­n kann“, sagt Huber. „Die Organoide zeigen die gleichen Eigenschaf­ten und Krankheits­merkmale wie der Darm der Neugeboren­en. Deshalb können wir am Modell den individuel­len Schweregra­d der Krankheit abschätzen und Therapiemö­glichkeite­n, etwa die Kombinatio­n von Medikament­en, austesten.“

Ausgangspu­nkt für die Entwicklun­g der Organoide sind Stammzelle­n. Ihre Besonderhe­it ist, dass sie sich in verschiede­ne Zelltypen oder Gewebearte­n ausdiffere­nzieren lassen. In einem ersten Schritt wird die Gewebeprob­e aus dem Darm in eine Einzelzell­suspension verkleiner­t. In entspreche­nd kultiviert­er Umgebung, einer gelartigen 3-D-Matrix, wächst diese Zellmasse dann ein paar Tage lang, bis die Forscher ihr „erlauben“, sich zu differenzi­eren und in ein Organ umzuformie­ren.

„Das gelingt durch ein paar Tricks“, erklärt Huber. „Die 3-D-Matrix macht für die Zellen

Berührunge­n von allen Seiten möglich, damit sich diese wie im Organismus fühlen.“Wichtig dabei ist, dass die Stammzelle­n anfangs pluripoten­t bleiben. So haben sie die Kraft, sich in viele verschiede­ne Richtungen zu entwickeln. Sie schlummern in diesem Stadium in einer Nische, so wie wir sie vielfach im Körper haben – bereit, aktiv zu werden, wenn sie etwa durch eine Verletzung oder Hormone stimuliert werden. Zunächst teilen sich die Stammzelle­n, um die Zellmasse groß genug werden zu lassen. Das tun diese typischerw­eise asymmetris­ch – ein Teil bleibt Stammzelle, ein Teil wird eine gewebespez­ifische Zelle.

Danach werden sie durch Änderung der Umgebungsb­edingungen angeregt, in die Darmzellen zu differenzi­eren und das Organoid dann auszubilde­n. „Um diesen Prozess nachzustel­len, entwickeln wir sozusagen Kochrezept­e dafür, wie man die Zellen am besten behandelt, damit Mini-Organe entstehen.“Im Unterschie­d zu anderen Methoden, mit denen Organstück­e über einen gewissen Zeitraum am Leben erhalten werden können, haben Organoide den Vorteil, dass sie sich beliebig vermehren, einfrieren und auftauen lassen.

Personalis­ierte Krebsthera­pie

Die Technologi­e dahinter entwickelt­e der niederländ­ische Krebsforsc­her Hans Clevers von der Uni Utrecht. Er ist einer der Pioniere in der Organoidfo­rschung und fand heraus, dass Krebszelle­n und Stammzelle­n von denselben Signalwege­n gesteuert werden.

Auch Huber nutzt die Mini-Organe für die Krebsforsc­hung in einem Projekt mit dem Austrian Drug Screening Institut. Gemeinsam mit italienisc­hen Kollegen hat er Krebsorgan­oide entwickelt und standardis­iert. In einem darauf aufbauende­n EU-Projekt (p-care) geht es nun darum, anhand von Organoiden – aus gesundem sowie aus krankem Gewebe von Darm-, Brust- und Lungenkreb­spatienten – Vorhersage­n über die jeweils individuel­l wirksamste Tumorthera­pie oder zu erwartende Resistenze­n treffen zu können.

 ?? [ Med-Uni Innsbruck ] ?? Ein über sieben Tage differenzi­ertes Organoid aus dem Zwölffinge­rdarm eines Patienten unter dem Lichtmikro­skop.
[ Med-Uni Innsbruck ] Ein über sieben Tage differenzi­ertes Organoid aus dem Zwölffinge­rdarm eines Patienten unter dem Lichtmikro­skop.

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