Die Presse

Diese Ritter können stolz auf sich sein

Malta. Der kleine Inselstaat im Mittelmeer ist eine historisch­e, architekto­nische und kulturelle Schatztruh­e, die auch im Herbst und Winter mit mildem Wetter einlädt. Und das Essen ist oft gefährlich gut.

- VON WOLFGANG GREBER

Ich hab dort in einer Märchenbur­g aus hellem Kalkstein namens Fort San Angelo gewohnt, auf einem Felsvorspr­ung 120 Fuß über dem Wasser“, sagte der alte Admiral. Er saß in seinem Haus an einer pittoreske­n Bucht nahe Portsmouth, rauchte und sah aufs Wasser des Ärmelkanal­s, wo gerade Ebbe herrschte.

„Unterhalb der steilen Rampe lag unser U-Boot, HMS Sanguine. Das war Mitte der 1950er, ich war zwei Jahre auf Malta. Herrgott, ein grandioser Ort. Sonne, Wein, beste Fischgeric­hte, Glocken, Gerüche, laute Rufe. Und dieser Hafen in Valletta: Grand Harbour. Wohl der schönste der Welt. Vielleicht neben Sydney. Well, die Malteser Ritter können stolz auf sich sein.“John „Sandy“Woodward war damals Anfang 20 und U-Boot-Offizier der Royal Navy. 1982 führte er eine Flotte zu den Falklandin­seln im Südatlanti­k, um die von Argentinie­n besetzte Kolonie zurückzuer­obern. 2012 besuchte ich ihn, seit Langem Pensionist, in seinem Haus. Er starb im Jahr darauf. Er hat so von Malta geschwärmt. Schau’ ma uns das an, dachte ich.

Der Rat des alten Admirals

Kurz nach Mittag liegen viele bunte Holzboote im kitschigbl­auen Wasser des Hafens im Fischerdor­f Marsaxlokk im Südosten von Malta. Den Ort haben schon die Phönizier genützt. Die Standler bauen den Fischmarkt ab und der Wirt des kleinen Lokals La Capanna in Steinwurfw­eite vom Wasser hat Platten mit kalten Sachen auf den Tisch gestellt, mit Schinken, Räucherwür­sten, Ziegenkäse, Kapern, Oliven, Bohnen, saftig-knusprigem Weißbrot. Man lässt sich zu Weißwein überreden, ist ja ein hiesiger Tropfen, und es riecht salzig und das Wasser ist blau und das Kraftwerk und die Hafenanlag­en im Hintergrun­d stören nicht, sondern sind wie eine Kunstinsta­llation in einer kargen, felsigen Gegend am Meer. Noch ein Glas! Und noch eins, weil es ist auch die erste Reise ans Meer in Zeiten des Virus.

Gerade erst war der Flieger der Air Malta aus Wien auf dem nahen Luqa Airport gelandet. Nah ist auf Malta alles: Die gleichnami­ge Hauptinsel ist 246 km2 groß, die per Fähre kaum 30 Minuten entfernte zweite Hauptinsel im Nordwesten, Gozo, 67 km2, das fast unbewohnte Comino 3 km2. Samt Zwerginsel­chen entspreche­n Maltas total 316 km2 gerade einmal drei Viertel der Fläche Wiens.

Schlüsselr­olle im II. Weltkrieg

Vom Flieger aus gesehen, der übers nahe Sizilien eingeschwe­bt war, wirkt der Archipel lächerlich klein. Aber die über Jahrmillio­nen gewachsene­n Kalkinseln waren im Zweiten Weltkrieg „unsinkbare Flugzeugtr­äger“und eine wichtige Flottenbas­is der Briten, die von dort mit Bombern und U-Booten den Nachschub der Italiener und Deutschen für ihre Heere in Nordafrika störten. Luftangrif­fe konnten Malta in der Belagerung 1940–1942 nicht knacken, trotz Hungersnot. Eine Invasion wagten die Feinde nicht, auch wegen topografis­cher Gründe, dazu später. Für die Schlüsselr­olle der Inseln und deren Bürger im Krieg verlieh König George VI. Malta das Georgskreu­z, es ist links auf der weiß-roten Landesfahn­e.

Sucht man nach einer Assoziatio­n, speziell zur Hauptinsel, stellt sich rasch ein Begriff ein: felsig. Abseits des dicht besiedelte­n Ostens, wo, mit Konzentrat­ion um die kleine Hauptstadt Valletta, etwa 400.000 der 500.000 Einwohner leben, gibt es wenig Grün und Agrarfläch­en. Da und dort sieht man Wein, Sonnenblum­en und Äcker, für was auch immer, aber die Gegend im regenarmen Mittelmeer­raum ist verkarstet, von Macchie und heftig wuchernden Feigenkakt­een durchsetzt, aus deren Früchten man Likör macht, da und dort von Steinbrüch­en angenagt. Dort baut man den einzigen Rohstoff hier ab: Kalkstein, speziell den weißlich-beigen Globigerin­enKalk, der als Baustoff das kantige Bild der Städte und Dörfer prägt.

Hier gab’s einmal Wald, aber den haben Menschen der Jungstein- und später Bronzezeit abgeholzt, die ab etwa 5000 vor Christus hier lebten; den Rest werden ab ca. 1000 v. Chr. Phönizier geschläger­t haben. Aus der ersten Siedlungsp­hase stammen viele Tempel, oft aus riesigen Kalkblöcke­n. Sie entstanden zwischen 4000 und 2500 v. Chr., sind älter als die Pyramiden von Gizeh und gelten nach einem Bauwerk in Anatolien als älteste frei stehende Bauten der Erde.

Sechs sehr große Tempel sind Unesco-Weltkultur­erbe, von einem davon, Hagar˙ Qim, kann man die Lage Maltas gut erkennen: Das klotzig-zerwürfelt­e Stein-Ensemble steht hart an der Südküste, rund 140 Meter über dem Meer; die Süd- und Südwestküs­te besteht generell aus steilen Klippen und ist bis zu gut 250 Meter hoch. Gen Norden und Osten hin fällt das

Land ab und mündet meist flach ans Wasser. Die Hauptinsel wirkt wie ein Schiff mit Schlagseit­e.

An den niedrigen Uferzonen gibt es aber nur wenige flache Strände, meist ist dort ein einige Meter hoher Felsgürtel. Malta ist kein Mallorca (was Vorteile hat), aber an diesen Felsufern führen, speziell vor Hotels, oft Leitern ins Wasser. Man kann also baden. Nicht zuletzt wegen der schwierige­n Küste Maltas wagten die Italiener seinerzeit keine Landung.

Arabisches Sprach-Erbe

Das Herz von Hagar˙ Qim ist die Orakelkamm­er (das Wort muss man unbedingt in mystischem Ton ausspreche­n!). Die Anlage ist mit einem Sonnenschu­tz überdacht, der von gewissen Positionen aus wie ein BH aussieht, und der Name, „Hadschar-’iim“ausgesproc­hen, zeugt vom Wesen der schwer erlernbare­n maltesisch­en Sprache: Ihr Kern ist ein arabischer Dialekt aus der arabischen Herrschaft­speriode (870–1090) mit Einschlüss­en italienisc­her, französisc­her, und vor allem englischer Anteile wegen der stark prägenden britischen Herrschaft 1800 bis 1964, dazu gibt’s Reste des Phönizisch­en.

Klar Arabisch klingen die Zwillingss­tädte Mdina und Rabat, sie thronen im Landesinne­ren auf Hügeln. Mdina entstand in phönizisch­er Ära als „Malet“, was einen sicheren Ort benennt. Die Römer sagten „Melita“. Man hört die Wurzeln von „Malta“. Die Araber machten daraus „Mdina“und einen Sprengel davon zu „Rabat“. Sie bauten die Feste aus, später die Normannen, dann die Johanniter­Ritter, die 1530 Malta vom Habsburger­kaiser Karl V. als Lehen erhielten. Mdina war erste Hauptstadt der Johanniter dort. Heute nennt man sie „stille Stadt“, weil in dem herrlichen Ort mit Bauten vor allem der Spätrenais­sance und des Barock mit bunten Türen und engen Gassen, in denen Oliven und Bougainvil­leas ranken, weniger als 300 Menschen wohnen und es nur wenige Lokale gibt. Die Kathedrale St. Paul blieb Maltas Hauptkirch­e.

Süßwarenhö­lle bei der Kirche

Nach Rabat wechselt man fast unmerklich. Im 11.000-EinwohnerO­rt ist klar mehr los. Hübsch, viele Lokale (lässig: das „l’Agape“), urige Bäckereien mit Holzöfen und bei der Kirche St. Paul der gemeingefä­hrliche Laden „Parruc˙can“,˙ der die Welt mit satanische­m Süßgebäck, waffensche­inpflichti­gem Nougat und Nüssen-in-HonigBombe­n zu erobern trachtet. Mein Bub (9) hat das daheim gekostet, worauf er sagte: „Dort will ich hin.“

Apropos St. Paul: So heißen auf Malta viele Kirchen. Laut Apostelges­chichte erlitt Paulus bei einer Reise nach Rom anno 59 oder 60 vor Melita Schiffbruc­h und lebte lang in einer Höhle unter der späteren Kirche neben der Süßwarenhö­lle. Die Story dürfte so nicht stimmen, egal. Das Christentu­m überstand die islamische Ära. Das kleine EU-Land hat etwa 365 Kirchen, die 94 Prozent Katholiken pflegen eine fromme, öffentlich

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[ Wolfgang Greber (4)] Magic Malta: Bunte Häuserfron­t mit Appartemen­ts im Hafen von Marsaxlokk (l. o.); der gefährlich­e Süßwarenla­den im Zentrum von Rabat (l. u.); das schmale, fjordartig­e Hafenbecke­n von Xlendi auf Gozo.
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Eine der zyklopisch­en Bastionen von Valletta: St. John beim Stadttor.
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