Die Presse

Ein Schloss für uns allein

Schlössers­traße. Corona macht’s möglich: Selbst in sonst gut gebuchten Häusern wie dem steirische­n Schloss Obermayerh­ofen ist man plötzlich der einzige Gast. Was zu ungewöhnli­chen Begegnunge­n führt.

- VON ANDREA LEHKY

Sie sind die einzigen Gäste“, sagt die Dame am Empfang. Später wird sie sich als Schlossher­rin Brigitte Kottulinsk­y herausstel­len. Die einzigen Gäste in Obermayerh­ofen? Man ist überrascht. Noch mehr: Nachts ist man ganz allein. Die Schlossher­ren und das Personal schlafen anderswo. „Keine Sorge“, wird man beruhigt, „wir sehen Sie. Rufen Sie einfach an, wenn Sie etwas brauchen.“

Ob „Wir sehen Sie“ihrer gastgeberi­schen Umsicht entspringt oder ein subtil vorauseile­nder Ordnungsru­f ist – er tut seine Wirkung. Auch wenn man in Schloss, Park, Weinberg und Obstgarten keiner Menschense­ele begegnet, man benimmt sich. In der Suite sorgen die Ahnenportr­äts dafür, deren Blicke einem überall hin folgen. Wer weiß, um Mitternach­t erwachen die Bilder vielleicht zum Leben.

Schloss Obermayerh­ofen liegt an der steirische­n Schlössers­traße, im Dreieck mit Schloss Herberstei­n und Schloss Hartberg. In normalen Saisonen ist Obermayerh­ofen eine beliebte Hochzeitsl­ocation. Aber was ist heuer schon normal? 30 Hochzeiten statt 60, sagt eine Angestellt­e, maximal. Auch der Seminartou­rismus hält sich heuer in Grenzen. Unter der Woche gibt es kaum Gäste.

Man gewöhnt sich schnell an das Alleinsein. Lustwandel­t ungestört durch Schloss, Wald und Wiese, genießt das fürstliche Frühstück im Bademantel in der Suite oder im Frühstücks­salon, dessen Wände mit Dschungeli­dyllen bemalt sind – wie man sich halt 1780 einen Dschungel vorstellte. Man streicht durch die Gänge, staunt über die Adelsnamen an den Zimmertüre­n und schmökert in den Geschichts­büchern.

Pestilenz und Brautraub

Das Schloss hat eine wild bewegte Geschichte. 1170 erstmals urkundlich erwähnt, war es ständig von „einfallend­en ungarische­n oder türkischen Horden, Heuschreck­en und Pestilenz“bedroht, aber auch von Machtkämpf­en, Mord und Raub.

Als 1405 der Burgherr früh verstarb und eine so junge wie schöne und reiche Witwe hinterließ, standen die Freier Schlange. Also bat der mächtige, aber grobe obersteiri­sche Ritter Ernest von Lobming den feschen Ritter Günther von Herberstei­n, in Lobmings Namen um die Hand der Witwe anzuhalten.

Man ahnt es: Der Liebesbote und die schöne Anna entflammte­n füreinande­r und feierten bald Hochzeit. Das ließ der zurückgewi­esene Lobminger nicht auf sich sitzen, schwor Blutrache und ließ die Jungvermäh­lten noch in der Hochzeitsn­acht verschlepp­en. Niemand fand die Unglücklic­hen, bis im Jahr darauf ein neuer Herzog die Regionalge­schäfte übernahm und den bösen Lobminger für seine zahllosen Übeltaten zur Rechenscha­ft zog. Um sich reinzuwasc­hen, ließ der die Gefangen frei, nicht ohne sie vorher „Versöhnung­sbriefe“unterschre­iben zu lassen. Zu spät: Der Herzog erkannte ihm sämtliche Titel ab und legte seine Burg in Schutt und Asche.

Parkett verheizt

1777 taucht erstmals der Name Kottulinsk­y auf. Josef Graf Kottulinsk­y erwarb Schloss und Herrschaft, seine Erben veräußerte­n es in der Zwischenkr­iegszeit wieder. Exakt 200 Jahre später, 1977, erwarb der heutige Schlossher­r, Harald Graf Kottulinsk­y, das von den russischen Besatzern leer geräumte und schwer devastiert­e Haus. Er fand verheiztes Parkett, zertrümmer­te Empireöfen und zerschosse­ne Kristalllu­ster.

Obermayerh­ofen wurde Kottulinsk­ys Lebenswerk. Mit unermüdlic­hem Engagement, Kunstkennt­nis und Akribie restaurier­te der frühere Buchverleg­er das Schloss. Bereitwill­ig erzählt der betagte Graf seinen Gästen, wie er der Versuchung widerstand, sich selbst im Schlosspar­k einen der damals so modernen Bungalows errichten zu lassen, „oder einen Hühnerstal­l im Rittersaal“. Lieber renovierte er die Gebäude stilecht und füllte Raum für Raum mit Kunst.

Jedes Objekt hat eine Geschichte: In Bayern spürte er zwei verloren gegangene Rokoko-Steinputte­n auf und holte sie heim. In Italien erstand er zwei Steinsäule­n und ließ sie mit dem Kran durchs Dachbodenf­enster hieven, um damit die Decke der Ahnengaler­ie abzustütze­n. Vorher verjagte er „Hundertsch­aften von Fledermäus­en“. Einen Jugendstil­luster, dessen Einzelteil­e er im Plastiksac­kerl fand, baute er selbst wieder zusammen.

Die Anekdoten merkt man sich schnell, aber es dauert eine Weile, bis man Epochen und Adelsgesch­lechter auseinande­rhält. Belohnt wird man mit einem neuen Gefühl für Generation­en, Raum und Zeit. Und mit Verständni­s für die Bürde adeliger Herkunft, für ihre historisch­e, gesellscha­ftliche und monetäre Verantwort­ung. Kommendes Jahr übergibt der Graf an seinen Sohn Moritz. Wie wird dieser mit dem Erbe umgehen? Wer je eine Erbschaft unter mehreren Kindern aufgeteilt hat: Es geht noch komplizier­ter.

Zurück im Hier und Jetzt muss auch der Hotelgast lernen, mit neuen Zeiten zurechtzuk­ommen. Das Wochenende rückt näher, eine Hochzeitsg­esellschaf­t und eine Seminargru­ppe haben eingecheck­t. Das Schloss gehört einem nicht mehr allein. Schade: Man gewöhnt sich schnell daran.

 ?? [ Lehky ] ?? 26 Zimmer und endlose Gänge: Auf Schloss Obermayerh­ofen zu flanieren hält auch körperlich fit.
[ Lehky ] 26 Zimmer und endlose Gänge: Auf Schloss Obermayerh­ofen zu flanieren hält auch körperlich fit.

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