„Ohne die Deutschen wird es schwer“
Menschen im Hotel. Christina Binder-Egger führt in Tirol vier Hotels. Und ist trotz der derzeit wenig rosigen Aussichten zuversichtlich, die Talfahrt zu überstehen.
Die Presse: Im Moment erreichen Sie fast im Wochentakt schlechte Nachrichten: Erst kam die deutsche Reisewarnung für Tirol, kurz darauf die Vorverlegung der Sperrstunde auf 22 Uhr. Wie sieht es derzeit bei Ihnen aus?
Christina Binder-Egger: Wir haben 80 bis 85 Prozent deutsche Gäste – die Buchungslage ist daher derzeit natürlich alles andere als zufriedenstellend. Viele haben ihre Buchungen für Weihnachten und Silvester nach der Reisewarnung wieder storniert. Ohne den deutschen Markt wird es tatsächlich wirklich schwierig. Wobei wir auch bemerken, dass sich der Umgang mit dem Virus verändert hat und die Angst kleiner geworden ist.
Während im März ja viele noch das Gefühl hatten, sie werden krank, wenn sie nur vor die Tür treten, fühlen sich jetzt viele mit dem Abstand und Mundschutz in Tirol sicher. Und wir haben auch deutsche Gäste, die trotzdem kommen und das kostenlose PCR-Testangebot unserer Häuser nutzen. Bei der Sperrstunde sind sich viele nicht bewusst, dass damit auch im Restaurant Einschränkungen verbunden sind. Wenn wir unseren Gästen ein schönes Menü servieren, geht es sich mit der Nachspeise nicht immer bis um 22 Uhr aus. Wir haben dann zwar schon angeboten, diese auf die Suite zu servieren – aber das möchte eigentlich niemand, weil damit ja auch die Atmosphäre zerstört ist. Das betrifft einerseits unsere Übernachtungsgäste, aber natürlich auch die Einheimischen, die zu uns essen kommen.
All diese Dinge betreffen Sie gleich vierfach, da Sie mit dem Posthotel, der Ziller Lodge, den Hochleger Chalets und Malis Garten vier Häuser im Zillertal betreiben. Wie ist es Ihnen im Frühjahr damit ergangen?
Wir wurden wie die meisten völlig überrascht, teilweise wussten Gäste aus Norwegen mehr als wir und haben uns angerufen und wegen ihrer Reservierung angefragt. Andere Gäste wollten dagegen gar nicht akzeptieren, dass sie wirklich abreisen mussten. Wir haben dann von unseren 52 Mitarbeitern 35 in Kurzarbeit schicken müssen, und die Saisonkräfte haben ihre Verträge unterbrochen. Einige von ihnen haben auch während des Lockdowns bei uns gewohnt. Außerdem haben wir im Posthotel einige wenige Geschäftsreisende beherbergt, die in dieser Zeit trotzdem reisen mussten.
Das Haus Nummer vier, Malis Garten nach Plänen von Matteo Thun, sollte ja erst im Frühjahr eröffnet werden – konnten Sie während des Lockdowns weiterarbeiten?
Eigentlich wollten wir im Mai aufsperren, was wegen Corona ohnehin nicht möglich gewesen wäre. So konnten wir uns mehr Zeit nehmen, den Betrieb auf die neuen gesetzlichen Vorgaben einzustellen. Auch manche Baufirmen haben die ersten zwei Wochen im Lockdown nicht gearbeitet. Am 10. Juni haben wir dann endlich Malis Garten eröffnet.
Hat es Ihnen geholfen, dass Sie mit Ihren Häusern im Zillertal unterschiedliche Segmente bedienen – etwa die luxuriösen Hochleger Chalets oder die Suiten der Ziller Lodge?
Ja, man hat schon gespürt, dass einige diese Möglichkeiten erleichtert angenommen haben.
Die Schließung und Wiedereröffnung eines Hauses waren für viele logistisch eine Herausforderung – wie haben Sie bei vier Häusern den Überblick behalten?
Wir sind einfach immer auf Sicht gefahren. Jeden zweiten Tag haben wir uns intern mit den Mitarbeitern und Abteilungsleitern abgesprochen, was für die kommende Woche ansteht. Und mussten dabei maximal flexibel sein. So haben wir beispielsweise jedes Jahr im Juli das Team des deutschen Bundesligisten Werder Bremen bei uns im Haus – was sich aber durch die Verschiebungen in der Bundesliga natürlich auch verschoben hat und dann kurzfristig im August stattgefunden hat.
Im Sommer hat sich Österreichs Ferienhotellerie dann aber ja über eine vermehrte Nachfrage aus dem In- und benachbarten Ausland freuen können. Hat diese die Verluste aus dem Frühjahr halbwegs wieder wettmachen können?
Sobald die Grenzen wieder geöffnet waren, hatten wir einen guten Juli und August. Aber aufholen lassen sich diese Verluste niemals. Und ab August habe ich dann so intensiv das Ansteigen der Coronazahlen beobachtet, dass Siri, mein digitaler Assistent, mir schon ständig die Dashboard-Seite der Tiroler Landesregierung vorgeschlagen hat.
Haben Sie an allen Mitarbeitern festhalten können oder mussten Sie sich im Endeffekt von einigen trennen?
Bis jetzt haben wir alle Mitarbeiter behalten können.
Sie weisen auf Ihren Webseiten täglich aus, wann Ihre Mitarbeiter zuletzt getestet wurden. Welche anderen Maßnahmen haben Sie in Ihren Betrieben getroffen und wie kommunizieren Sie diese Ihren Gästen?
Ja, wir setzen auf offene Kommunikation und volle Transparenz, weil wir glauben, dass Ehrlichkeit Vertrauen schafft. Wir ermöglichen unseren Mitarbeitern und auch unseren Gästen regelmäßig PCR-Tests im Hotel, geben Desinfektionssprays und Fieberthermometer aus und stellen natürlich die Einhaltung der Abstandsregeln und das Tragen der Masken sicher. Und wir hoffen sehr, dass die in Deutschland gerade diskutierte fünftägige Quarantänepflicht trotz negativem PCR-Test nicht flächendeckend zur Realität wird.
Welche Maßnahmen gibt es seitens der Liftbetreiber und Gemeinden, um die Skisaison sicherer zu machen?
Die Tourismusverantwortlichen und Vertreter der Bergbahnen bereiten sich wirklich intensiv vor – von der Desinfektion und Besetzung der Gondeln bis zum kontaktlosen Ticketverkauf und öffentlichen PCR-Tests. Und für die Hütten werden Konzepte entwickelt, damit sich das meiste draußen abspielen kann.
Stichwort draußen abspielen: Was ist denn in Sachen Apr`esSki geplant?
Unsere Gäste sind eher wenig am Apr`es-Ski interessiert. Aber was ich höre, ist, dass auch dort viel draußen unter Heizpilzen stattfinden wird, es eine beschränkte Anzahl an Gästen und natürlich ein Contact-Tracing per App und QRCode geben wird.
Das Posthotel wurde bereits 1860 eröffnet, Sie sind in der vierten Generation in der Hotellerie. Hilft eine so lange Geschichte dabei, die Ruhe zu bewahren, weil das Haus schon viele Krisen überstanden hat?
Oder erzeugt es zusätzlichen Druck, in einer so langen Tradition zu stehen?
Mein Vater ist leider zu Ostern verstorben – in ihm hat diese Situation große Ängste ausgelöst, weil die Krise ihn an den Krieg erinnert hat. Ich habe gerade erst mit meiner Tante, die auch Gastronomin ist, telefoniert, und sie hat mich daran erinnert, wie viel wir alle schon überstanden haben. Wir sitzen alle im selben Boot, und auch die Banken müssen uns wohl oder übel über die Krise helfen – daher bin ich zuversichtlich, dass wir diese Talfahrt überstehen. Wir werden einfach so wirtschaftlich wie möglich arbeiten – und Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.
Wo sehen Sie die Chancen für die Ferienhotellerie nach Corona?
Ich glaube an ein Konzept wie das der Ziller Seasons, zu dem Nachhaltigkeit und Architektur aus Holz gehören. Denn das Wohnund Wohlgefühl in natürlichen Materialien ist ein spürbares. Ich glaube, dass die Menschen noch bewusster leben wollen, Entschleunigung und die Natur, die Kräuter, Wiesen, Wälder und Almen noch mehr schätzen werden. Und die Berge, die Bewegung draußen in der Natur, das Gefühl, wenn man den Blick hebt, das wird immer etwas Besonderes sein. Besser kann man das Immunsystem nicht stärken.