,,Ein republikanisches Blutbad"
Erstmals wagte sich ein republikanischer Senator mit schonungsloser Kritik am Präsidenten aus der Deckung. Er befürchtet ein Debakel auf allen Linien – auch im Senat.
Wien/Washington.
Die Zuhörerschaft war nicht gerade exklusiv, und so war es kaum verwunderlich, dass die schonungslose Abrechnung mit der Präsidentschaft Donald Trumps durchsickerte. 17.000 Parteifreunde waren eingeladen zur Telefonkonferenz mit dem republikanischen Senator Ben Sasse in Nebraska, einem agrarisch geprägten Kernland der Konservativen im Herzen der USA. Viele von ihnen waren verstört, aufgebracht und schockiert über die unverblümte Analyse des 48-jährigen Historikers und Ex-Professors, dessen Unmut sich in einem langen Katalog an Vorwürfen entladen hat.
Als da wären: ein „TV-fixierter, narzisstischer“Präsident, der die Verbündeten verprellt, mit Diktatoren „schmust“und China weitgehend das Terrain überlasst; der die Coronapandemie als „PR-Krise“behandelt; der Geld rauswirft wie „ein betrunkener Matrose“, sich hinter deren Rücken im Weißen Haus über Evangelikale mokiert und mit Rassisten flirtet; dessen Familie obendrein aus der Präsidentschaft Kapital schlägt.
Positiv vermerkt der Senator lediglich, dass Trump letztlich konservative Positionen vertritt und konservative Richter berufen hat. Der Bestellung Amy Coney Barretts, die sich im Senatshearing in dieser Woche keine Blöße gab und heiklen Fragen auswich, dürfte kurz vor der Präsidentschaftswahl somit nichts im Wege stehen.
„Blauer Tsunami“
Am brisantesten ist im Wahlkampf-Finish indessen die Einschätzung Sasses, dass Trump die Zukunft der Republikaner aufs Spiel setzt. Dies belegt die Nervosität im Lager der Regierungspartei und wird die Unruhe weiter schüren. Denn für Sasse scheint nicht nur die Wiederwahl Trumps eine verlorene Sache, er befürchtet auch „ein republikanisches Blutbad“im Senat. Er sieht seine Partei mit einem „blauen Tsunami“konfrontiert, einer Welle demokratischer Siege und einem Debakel bei den Kongresswahlen.
Die Chancen der Demokraten für die Erringung einer Senatsmehrheit stehen gut. Dafür ist die Eroberung von vier republikanischen Sitzen notwendig, und in Arizona, North Carolina oder Georgia untermauern Umfragen die Tendenz. Zuletzt geriet selbst die Wiederwahl Lindsey Grahams in der republikanischen Hochburg South Carolina in Gefahr, weil sein demokratischer Herausforderer einen Spendenrekord aufgestellt hat.
Ben Sasse war bereits 2016 als TrumpKritiker aufgefallen. Zuletzt aber ist er verstummt und arrangierte sich mit dem Präsidenten. Nun wagte er sich aus der Deckung wie zuvor nur Mitt Romney. Bisher übten die Republikaner nur dezent Kritik am Stil und an der Strategie Donald Trumps. Chuck Grassley, der 87-jährige Senatsveteran aus Iowa, forderte Trump via Twitter auf, einen stärkeren Akzent auf das Programm und die
Bilanz seiner Präsidentschaft zu legen. Chris Christie, der nach einer schweren CoronaInfektion genesene Ex-Gouverneur und inoffizielle Berater, empfahl ihm, weniger aggressiv aufzutreten. Davon war bei einer TV-Bürgerfragestunde in Miami indes nichts zu bemerken – und auch nicht von einer nuancierten Politik in der Coronakrise.
17 Tage vor der Wahl steigen nicht nur die Arbeitslosenzahlen wieder an, sondern auch die Coronazahlen – just im Mittleren Westen, wo sich die Wahl entscheidet. Mitch McConnell, der republikanische Senatsführer, lehnte die Forderung Trumps nach Erhöhung eines Corona-Hilfspakets brüsk ab. Er fürchtet eine Revolte seiner Senatoren und – mehr noch – der republikanischen Wähler.