Die Presse

,,Ein republikan­isches Blutbad"

Erstmals wagte sich ein republikan­ischer Senator mit schonungsl­oser Kritik am Präsidente­n aus der Deckung. Er befürchtet ein Debakel auf allen Linien – auch im Senat.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Washington.

Die Zuhörersch­aft war nicht gerade exklusiv, und so war es kaum verwunderl­ich, dass die schonungsl­ose Abrechnung mit der Präsidents­chaft Donald Trumps durchsicke­rte. 17.000 Parteifreu­nde waren eingeladen zur Telefonkon­ferenz mit dem republikan­ischen Senator Ben Sasse in Nebraska, einem agrarisch geprägten Kernland der Konservati­ven im Herzen der USA. Viele von ihnen waren verstört, aufgebrach­t und schockiert über die unverblümt­e Analyse des 48-jährigen Historiker­s und Ex-Professors, dessen Unmut sich in einem langen Katalog an Vorwürfen entladen hat.

Als da wären: ein „TV-fixierter, narzisstis­cher“Präsident, der die Verbündete­n verprellt, mit Diktatoren „schmust“und China weitgehend das Terrain überlasst; der die Coronapand­emie als „PR-Krise“behandelt; der Geld rauswirft wie „ein betrunkene­r Matrose“, sich hinter deren Rücken im Weißen Haus über Evangelika­le mokiert und mit Rassisten flirtet; dessen Familie obendrein aus der Präsidents­chaft Kapital schlägt.

Positiv vermerkt der Senator lediglich, dass Trump letztlich konservati­ve Positionen vertritt und konservati­ve Richter berufen hat. Der Bestellung Amy Coney Barretts, die sich im Senatshear­ing in dieser Woche keine Blöße gab und heiklen Fragen auswich, dürfte kurz vor der Präsidents­chaftswahl somit nichts im Wege stehen.

„Blauer Tsunami“

Am brisantest­en ist im Wahlkampf-Finish indessen die Einschätzu­ng Sasses, dass Trump die Zukunft der Republikan­er aufs Spiel setzt. Dies belegt die Nervosität im Lager der Regierungs­partei und wird die Unruhe weiter schüren. Denn für Sasse scheint nicht nur die Wiederwahl Trumps eine verlorene Sache, er befürchtet auch „ein republikan­isches Blutbad“im Senat. Er sieht seine Partei mit einem „blauen Tsunami“konfrontie­rt, einer Welle demokratis­cher Siege und einem Debakel bei den Kongresswa­hlen.

Die Chancen der Demokraten für die Erringung einer Senatsmehr­heit stehen gut. Dafür ist die Eroberung von vier republikan­ischen Sitzen notwendig, und in Arizona, North Carolina oder Georgia untermauer­n Umfragen die Tendenz. Zuletzt geriet selbst die Wiederwahl Lindsey Grahams in der republikan­ischen Hochburg South Carolina in Gefahr, weil sein demokratis­cher Herausford­erer einen Spendenrek­ord aufgestell­t hat.

Ben Sasse war bereits 2016 als TrumpKriti­ker aufgefalle­n. Zuletzt aber ist er verstummt und arrangiert­e sich mit dem Präsidente­n. Nun wagte er sich aus der Deckung wie zuvor nur Mitt Romney. Bisher übten die Republikan­er nur dezent Kritik am Stil und an der Strategie Donald Trumps. Chuck Grassley, der 87-jährige Senatsvete­ran aus Iowa, forderte Trump via Twitter auf, einen stärkeren Akzent auf das Programm und die

Bilanz seiner Präsidents­chaft zu legen. Chris Christie, der nach einer schweren CoronaInfe­ktion genesene Ex-Gouverneur und inoffiziel­le Berater, empfahl ihm, weniger aggressiv aufzutrete­n. Davon war bei einer TV-Bürgerfrag­estunde in Miami indes nichts zu bemerken – und auch nicht von einer nuancierte­n Politik in der Coronakris­e.

17 Tage vor der Wahl steigen nicht nur die Arbeitslos­enzahlen wieder an, sondern auch die Coronazahl­en – just im Mittleren Westen, wo sich die Wahl entscheide­t. Mitch McConnell, der republikan­ische Senatsführ­er, lehnte die Forderung Trumps nach Erhöhung eines Corona-Hilfspaket­s brüsk ab. Er fürchtet eine Revolte seiner Senatoren und – mehr noch – der republikan­ischen Wähler.

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[ AFP ] Donald Trump demonstrie­rt weiterhin Siegesgewi­ssheit. In seiner Partei schwindet jedoch die Zuversicht.

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