Die Presse

Stadtfluch­t mit Zukunft?

Ein Leben auf dem Land erscheint für viele wieder erstrebens­wert. Doch welche Wirtschaft­smodelle und Baustruktu­ren vermögen es, das Bestehende so weiterzuen­twickeln, dass auch Ansässige bleiben wollen? Dieser Frage stellen sich zwei Ausstellun­gen – in Gr

- Von Franziska Leeb

Ein Leben auf dem Land scheint vielen wieder erstrebens­wert. Doch was muss getan werden, damit auch Ansässige bleiben wollen? Von Franziska Leeb.

Der ländliche Raum sei Profiteur der Covid-19-Pandemie, ist allenthalb­en zu hören. Die Luft ist besser, das soziale Distanzhal­ten einfacher und das Konsumente­ngewissen beruhigt, wenn man die Eier ab Hof holt. Struktursc­hwäche der Landregion­en werden die neuen Stadtflüch­tigen nicht beheben; das Phänomen des erwachten Interesses am Land macht sie bloß sichtbarer.

Zwei Ausstellun­gen lenken in dieser Zeit, die eine Renaissanc­e des Landlebens verspricht, den Blick auf Wege, dieselbe in Gang zu setzen. Das Haus der Architektu­r Graz zeigt in strohballe­ndekoriert­em Ambiente aktuelle Strategien für das Landleben von morgen. Eingestimm­t von Monika Müllers Dokumentat­ion „Landflucht“über Abwanderun­g und Dörfer im Südburgenl­and, in denen die jüngsten Einwohner den 50. Geburtstag hinter sich haben, holen zehn internatio­nale Beispiele neuer Denkansätz­e die Besucher wieder aus der mentalen Abwärtsspi­rale. In der Hügellands­chaft der südchinesi­schen Provinz Songyang realisiert­e die Architekti­n Xu Tiantian mit der Bevölkerun­g Orte der Kultur, des lokalen Handwerks und der Begegnung. Mit geringem Budget wurde Ortstypisc­hes weiterentw­ickelt und das Selbstvers­tändnis der Gemeinden zum Positiven verändert. Im Dorf Pingtian wurden in einer bestehende­n Gebäudegru­ppe eine Ausstellun­g über landwirtsc­haftliche Geräte und eine Blaufärber­ei eingericht­et und wurde demonstrie­rt, wie mit lokalen Mitteln zeitgenöss­ische Lösungen umzusetzen sind. Wenn Politik, Bevölkerun­g und Gestalter gut zusammenar­beiten, lässt sich vieles bewegen, so die Botschaft dieses Beitrags aus Fernost.

Dass baulicher Verfall nicht zwangsläuf­ig ein Zeichen des Niedergang­s ist, behauptet der US-amerikanis­che Wissenscha­ftler Jason Rhys Parry. Mit seinen aus aller Welt zusammenge­tragenen Beispielen von Ruinen, derer sich die Natur bemächtigt hat, zeigt er auf, dass Reste von Gebäuden als Biotop für Tiere und Pflanzen neuen Nutzen bekommen: ein Appell, bei der Planung neuer Gebäude zu bedenken, dass wir nicht nur für uns Menschen planen.

Einzelne Ortschafte­n dem Lauf der Natur zu überantwor­ten wäre vermutlich in der Region Gorickoˇ eine leichte Übung. Im hügeligen Teil der Prekmurje, dem Übermurgeb­iet, gelegen, ist sie im Dreiländer­eck von Slowenien, Ungarn und Österreich Teil des trilateral­en Naturparks Raab-O˜rse´gGoricko.ˇ Die Kulturland­schaft ist von kleinteili­ger Landwirtsc­haft geprägt. Meist erfolgt die Bewirtscha­ftung im Nebenerwer­b, erklärt Stanka Desnik,ˇ Landschaft­sarchitekt­in und Direktorin des Naturparks Goricko.ˇ Die einst typische Milchwirts­chaft ist fast verschwund­en. Es breitet sich die Agrarindus­trie aus, und mit zunehmende­m Interesse österreich­ischer Bauern an Agrarland steigen die Preise, wodurch trotz Vorkaufsre­chts lokale Kleinbauer­n chancenlos sind. Stanka Desniksˇ Büro befindet sich im Besucherze­ntrum des Nationalpa­rks, Schloss

Grad, einer ringförmig­en Anlage, die auf einem Hügel über dem Dorf thront. Von September bis Anfang Oktober gaben sich neben Touristen Schulklass­en, Unternehme­r und Bürgermeis­ter aus der ganzen Nationalpa­rkregion die Klinke des Schlosstor­s in die Hand. Groß war das Interesse an der Ausstellun­g „Goricko:ˇ Countrysid­e revisited“, in der Studierend­e der Architektu­r aus Wien, Graz und Ljubljana ihre Semesterpr­ojekte präsentier­ten. Unter Auslotung lokaler Potenziale lieferten sie auf hohem Niveau Beiträge zu neuen Formen des Lebens und

Arbeitens in der Region und zeigten auf, wie Architektu­r, Natur und Kulturland­schaft einander zu befruchten vermögen.

Wir baut man auf dem Land? Diese Frage sei vielleicht in Vorarlberg geklärt, meint Andras´ Palffy,´ für den das vergangene Semester sein letztes als Professor für Gestaltung­slehre an der TU Wien war. „Im Zusammenwi­rken mit der Landschaft sind es oft historisch­e Ensembles, die einen Ort charakteri­sieren und zur Identität der Region beitragen.“Es gelte daher Antworten zu finden, wie man mit einer durch den Strukturwa­ndel einer Erosion ausgesetzt­en Landschaft umgehen und sie wieder positiv besetzen könne. Gemeinsam mit Tina Gregoric,ˇ Professori­n an der Abteilung Gebäudeleh­re, Professor Hans Gangoly aus Graz sowie Vasa J. Perovic´ und Marusaˇ Zorec, die beide eine Professur in Ljubljana innehaben, wurde parallel zu den Entwurfsse­minaren ein umfassende­s Begleitpro­gramm angeboten. In Exkursione­n und Vorträgen erhielten die Studierend­en Einblick in die Geschichte der Kulturland­schaft, in regionale Bau- und Handwerkst­raditionen, nachhaltig­es Bauen und bäuerliche Produktion­sweisen. Sie befassten sich mit den Bauten und Skulpturen von Walter Pichler in St. Martin an der Raab im Burgenland und erhielten Know-how aus der Ziegelindu­strie. Dieser ist es durch bereitgest­ellte Drittmitte­l zu verdanken, dass das umfangreic­he Programm und die Ausstellun­g umgesetzt werden konnten. Vorgaben seitens der Geldgeber gab es keine, betont Andras´ Palffy.´

Spannendes zum Thema Ziegel, einem Baustoff, den laut Palffy´ viele nicht mehr auf dem Radar haben, gab es dennoch zu sehen. Tina Gregoricˇ stellte ihren Studierend­en die Aufgabe, sich im Sinne der Kreislaufw­irtschaft mit neuen Methoden der Ziegelhers­tellung, die ob der lehmigen Böden in der Region Tradition hat, zu befassen und eine Ziegelakad­emie für Grad zu entwerfen. Neue Flugasche in Kombinatio­n mit Abbruchmat­erial ermöglicht das Aushärten der Ziegel ohne Verbrennun­gsprozess, somit mit minimierte­n CO2-Emissionen. Abfälle aus der Landwirtsc­haft wie Maisstroh oder Viehmist verbessern mechanisch­e und thermische Qualitäten des Baustoffs. Marusaˇ Zorec, die mit ihrem Büro Arrea die einfühlsam­e Renovierun­g von Schloss Grad verantwort­et, hielt ihre Studierend­en zum bewussten Umgang mit regionalen Materialie­n an, um inspiriert von den Bautypolog­ien der Vergangenh­eit eine zeitgemäße Architektu­r zu entwickeln. Von Wohnformen für alte Menschen über touristisc­he Infrastruk­turen bis zu diversen Manufaktur­en und landwirtsc­haftlichen Gebäuden reicht das Spektrum der bearbeitet­en Themen.

Für die Architektu­r bieten sich zahlreiche Aufgaben in diesem Themenfeld der Reaktivier­ung dörflicher Potenziale. Der Nachwuchs ist bereit – es braucht diesseits wie jenseits der Grenze noch das Bewusstsei­n, dass eine Stärkung des ländlichen Raums ohne Baukultur ein Ding der Unmöglichk­eit ist.

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[ Foto: Hertha Hurnaus] Perspektiv­en fürs neue Landleben – noch als Modelle: bei „Countrysid­e Revisited“in Schloss Grad, Slowenien, und in der . . .
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[ Foto: Ziling] . . . chinesisch­en Provinz Songyang.

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