Die Presse

„JeSuisSamu­el“: Solidaritä­t für getöteten Lehrer

Frankreich. Die Ermordung eines Lehrers durch einen jungen Islamisten sorgt für Empörung und Entsetzen. Im ganzen Land fanden am Sonntag Kundgebung­en für Meinungsfr­eiheit statt.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

Paris. „JeSuisSamu­el“, stand auf Plakaten, oder „Je suis Enseignant“(„Ich bin Lehrer“): Um 15.00 Uhr klatschten die Menschen minutenlan­g auf dem dicht gefüllten Pariser Place de la Republique.´ Tausende demonstrie­rten am Sonntag in Paris und anderen französisc­hen Städten aus Solidaritä­t mit dem Lehrer Samuel Paty: Er war am Freitag von einem Tschetsche­nen im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine mit einem Küchenmess­er enthauptet worden.

Zu den Demos aufgerufen hatten Gewerkscha­ften und die Redaktion der Satirezeit­ung „Charlie Hebdo“, die im Jänner 2015 selbst zum Opfer einer islamistis­chen Bluttat geworden war. Auch Regierungs­mitglieder nahmen teil. Die Lehrer sind geschockt. Doch sie wollen sich nicht einschücht­ern lassen. Viele stellen sich die Frage: Riskiert man heute sein Leben, wenn man an einer öffentlich­en französisc­hen Schule unterricht­et? Das Attentat von Conflans-Sainte-Honorine ist ebenso wie die Attacke auf „Charlie Hebdo“2015 ein Test für die Grundrecht­e und die Verteidigu­ng der Presse- und Meinungsfr­eiheit, die in Frankreich explizit das Recht der Blasphemie einschließ­t.

„Er machte mir Angst“

Doch zunächst geht es darum, das Unbegreifl­iche zu verstehen: Der 2002 in Moskau geborene Tschetsche­ne Abdoullakh Anzorov war mit seiner Familie nach Frankreich geflüchtet und hatte politische­s Asyl. Er lebte in E´vreux, in der Normandie. Weder seine Angehörige­n noch die Behörden wussten von seiner Radikalisi­erung. Die Polizei kannte ihn wegen kleinerer Delikte. Ein Nachbar aus E´vreux verriet dem „Journal du Dimanche“: „Er sprach mit niemandem, er machte mir Angst.“Die kleine tschetsche­nische Gemeinscha­ft lebte nicht immer in gutem Einverstän­dnis mit anderen Bewohnern.

Der von der Polizei getötete Anzorov war weder ein ehemaliger Schüler von Paty, noch kannte er diesen persönlich. Er hatte auf dem Internet von der Polemik in einer Schule gehört. Auf Twitter bekannte er sich zur Tat, mit der er den Propheten zu „rächen“suchte. Inzwischen ist bekannt, dass er Stunden vor der Tat vor der Schule gewartet und Jugendlich­e gefragt hat, wer unter den Erwachsene­n Paty sei.

Begonnen hatte alles mit einer Stunde über Meinungsfr­eiheit. Zu diesem Zweck hatte der Lehrer unter anderem zwei Mohammed-Karikature­n aus „Charlie Hebdo“gezeigt. Da er wusste, dass dies muslimisch­e Schüler verstören konnte, sagte er ihnen, sie sollten wegschauen oder kurz das Klassenzim­mer verlassen. Am Tag darauf beschwerte sich eine Mutter, dass ihre Tochter „wegen ihres Glaubens“aus der Klasse verwiesen worden sei. Auf Wunsch der Schulleitu­ng entschuldi­gte sich Paty. Doch damit konnte er die Wogen nicht glätten. In einem anonymen E-Mail an die Schule beklagte sich jemand über das „islamophob­e Klima“. Brahim C., Vater einer Schülerin, die gar nicht in Patys Klasse war, veröffentl­ichte auf Facebook einen feindselig­en Appell gegen den Lehrer. Er nannte Patys Namen und Adresse. Er wurde inzwischen gemeinsam mit zehn anderen Personen festgenomm­en.

Lehrer wollen ernst genommen werden

Schnell verbreitet­e sich das Gerücht über Conflans-Sainte-Honorine hinaus. Wie es zu Anzorov kam, ist noch unklar. Verantwort­lich für die Eskalation könnte der ebenfalls festgenomm­ene marokkanis­che Prediger Abdelhakim S. sein, der wegen seiner Nähe zu radikalen Islamisten registrier­t ist. Paty sei ein „Schurke, der die Meinungsfr­eiheit instrument­alisiere“, sagte er der Schulleitu­ng, die ihn vergeblich zu einem Treffen mit Paty eingeladen hatte. Paty fühlte sich bedroht, er reichte eine Klage wegen Verleumdun­g ein. Die Sicherheit­sbehörden reagierten nicht.

Bei den Demos forderten Lehrer, dass man ihre Beschwerde­n nun ernst nehme.

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[ AFP ] Großdemons­tration am Place de la Republique´ in Paris: Auch in anderen Städten Frankreich­s wurde für Meinungsfr­eiheit demonstrie­rt.

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