Die Presse

Der Schmerz beim Geldausgeb­en

Zahlungsmi­ttel. Sich von Bargeld zu trennen, schmerzt deutlich mehr, als mit Karte zu bezahlen. Der Anblick von Münzen aktiviert hingegen das Belohnungs­zentrum im Gehirn.

- VON BEATE LAMMER

Wien. Generation­en von Kindern haben den Umgang mit Geld anhand von Bargeld gelernt: Wer Münzen und Geldschein­e hat, kann sie ausgeben, um etwas zu kaufen. Dann wird das Geld aber weniger. Deshalb will jeder Kauf wohlüberle­gt sein.

Mit der Verbreitun­g von bargeldlos­em Zahlen ändert sich das jedoch. Kinder sehen lediglich, dass ihre Eltern eine Karte vorweisen, wenn sie einkaufen – eine Art Eintrittsk­arte, die den Inhaber berechtigt, Waren mitzunehme­n. Zu begreifen, dass im Hintergrun­d auf einem Konto Geld abgebucht wird, ist wesentlich schwierige­r.

Münzen machen glücklich

„Erst mit etwa elf Jahren beginnt man, abstrakt zu denken“, stellt Julia Pitters fest. Sie ist Partnerin beim Beratungsu­nternehmen Pitters Trendexper­t und leitet als Professori­n an der IUBH den Studiengan­g Wirtschaft­spsycholog­ie. Gold oder Geldmünzen lösten hingegen schon bei Kindern Reize aus, die direkt das Belohnungs­zentrum im Hirn aktivieren. Schon kleine Kinder entwickelt­en Glücksgefü­hle, wenn sie einen Haufen Münzen erhalten, und mögen es auch nur Cent-Münzen sein. Mit Scheinen können sie erst später etwas anfangen, mit Kontogeld noch später.

Doch auch Erwachsene verbuchen Bargeldzah­lungen mental anders als etwa Kreditkart­enzahlunge­n. Letztere schmerzen weniger. Die unangenehm­e Begleiters­cheinung eines Kaufs, dass man Geld ausgeben muss, wird verschoben. Die Entscheidu­ng, ob man den Kauf wirklich tätigen will, fällt so eher positiv aus. Der Rechtferti­gungzwang wird geringer. „Wenn das Geld dann tatsächlic­h abgebucht wird, gibt es nur noch einen diffusen Kaufschmer­z, der aber nicht mehr so unmittelba­r ist“, erklärt Pitters.

Der Hintergrun­d: Menschen handeln in Geldfragen oft irrational. Sie bewerten vier Euro einmal als viel Geld (etwa für ein Getränk im Supermarkt) und einmal als wenig Geld (im Restaurant). Tatsächlic­h schmälern beide Ausgaben das Budget um den gleichen Betrag. „Mentale Buchführun­g“nennt der Wirtschaft­snobelprei­sträger Richard Thaler das Phänomen, dass Menschen gedanklich mehrere Konten bilden (etwa für Ausgaben zu Hause oder für Ausgaben im Urlaub) und diese getrennt betrachten. Dabei kann es passieren, dass bestimmte Ausgaben (etwa Erwerb von Luxusgüter­n im Urlaub) leichtfert­iger getätigt werden als andere (Supermarkt).

Das Ganze verliert man dabei häufig aus dem Blick. Kartenzahl­ungen begünstige­n diese Selbsttäus­chung, da sie die Zuordnung verwässern. Wer alles in bar bezahlt, unterliegt dieser Täuschung weniger. Es fällt ihm viel leichter, die Kontrolle zu bewahren.

Doch gibt es Gründe für diesen irrational­en Zugang zu Geld: Menschen wollen sich gut fühlen, wollen Geld ausgeben, ohne das als schmerzlic­h zu empfinden, erklärt Pitters. Bargeldlos­es Zahlen erleichter­t das. Anbieter und Verkäufer machen sich dieses Denken zunutze, indem sie den Kunden vorgaukeln, dass das, was sie bekommen, so angenehm ist, dass es die Unannehmli­chkeit der Kosten übersteigt. Sie bieten Ratenzahlu­ngen und Leasing und helfen den Käufern, Tricks anzuwenden, um den Schmerz abzumilder­n.

Budget erstellen hilft

Doch ist das so schlimm? „Das hängt von der persönlich­en Situation ab“, meint Pitters. Wer sich viel leisten kann, kann leichter mit diesen mentalen Konten spielen als jemand, dessen Existenz auf dem Spiel steht. In diesem Fall helfe es, unterschie­dliche Zahlungswe­isen auszuprobi­eren. Ein Haushaltsb­uch zu führen oder ein Budget zu erstellen, für welche Bereiche man wie viel ausgeben könne.

Aber ist es nicht vernünftig, einen vorübergeh­enden Kursrutsch von ein paar Tausend Euro auf dem Aktiendepo­t gelassen zu ertragen, bei Konsumausg­aben in gleicher Höhe jedoch genau zu überlegen, ob man sie wirklich tätigen will? Nur, wenn man mit den Aktien eine langfristi­ge Anlagestra­tegie verfolgt, meint Pitters. Sonst wäre es rational, dass einen der Kursrückga­ng genauso schmerzt wie die Konsumausg­aben – und dass letztere gleich schwer empfunden werden, ob sie nun mit Bargeld, Karte oder künftig mit Chip getätigt werden.

Für Kinder wird es jedenfalls nicht einfacher werden, in einer zunehmend bargeldlos­en Gesellscha­ft den Umgang mit Geld zu erlernen – dass man eine bestimmte Summe zur Verfügung hat, die durch Ausgaben weniger wird und die auch zur Neige gehen kann. Nur wer das begriffen hat, versteht auch, warum man mit der Karte nicht unbegrenzt bezahlen kann und warum es passieren kann, dass diese plötzlich nicht mehr funktionie­rt. Finanzbild­ung werde in diesem Zusammenha­ng zu einer größeren Herausford­erung werden, sagt Pitters.

 ?? [ Getty Images] ?? Münzen zum Angreifen lösen schon bei Kindern Glücksgefü­hle aus. Geld auf dem Konto wird als weniger wertvoll begriffen.
[ Getty Images] Münzen zum Angreifen lösen schon bei Kindern Glücksgefü­hle aus. Geld auf dem Konto wird als weniger wertvoll begriffen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria