Die Presse

Saltens Ruhm ist ein scheues Reh

Ausstellun­g. Das Wien-Museum und die Wienbiblio­thek im Rathaus zeigen ein Multitalen­t des alten Österreich: „Im Schatten von Bambi. Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne“.

- VON NORBERT MAYER

Als Österreich-Ungarn 1914 Serbien den Krieg erklärte, druckten die Zeitungen des Habsburger­reichs Kaiser Franz Josephs Manifest „An meine Völker!“auf der Titelseite ab. Auch die „Neue Freie Presse“. Unterm Strich aber, unterm Kaiser und in seinem Sinn, stand dort ein Feuilleton-Text, der diese Entscheidu­ng begrüßte: „Es muß sein“, schrieb Felix Salten. So prominent war der 1869 in Pest geborene Sohn der jüdischen Familie Salzmann damals.

75 Jahre nach seinem Tod erinnern die Wienbiblio­thek im Rathaus und das WienMuseum im MUSA gegenüber mit einer üppigen Doppelauss­tellung an den einstigen Ehrenbürge­r dieser Stadt. Ein Glücksfall begünstigt­e das: 2015 und 2018 hat die Bibliothek den Nachlass des Autors erworben – Fotos, Dokumente, mehr als 2300 Bücher, Manuskript­e, Kalender, Korrespond­enzen – etwa mit Thomas Mann, Berta Zuckerkand­l, Stefan Zweig, Max Reinhardt. Die Zweiteilun­g von „Im Schatten von Bambi. Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne“ergibt Sinn: Im Rathaus wird in einem schmalen Raum der Nachlass gewürdigt. Im MUSA kann man in die Biografie, sein Netzwerk, den Zeitgeist eintauchen, bilderreic­h, via Film, Ton und auratische­n Objekten.

Felix Salten hatte ein gewaltiges Arbeitspen­sum, er musste vom Schreiben leben. Tausende Texte hat er für diverse Zeitungen in Wien und Berlin verfasst, brillante Satiren auf gekrönte Häupter und brutale Bürgermeis­ter, auch Halbseiden­es, wenn er sich zum Beispiel 1906 eine Reportage über das Erdbeben in San Francisco aus den Fingern sog. Er schrieb unentwegt Theater- und Kunstkriti­ken sowie Impression­en vom Flanieren, verfasste Dramen, Romane, Libretti und Drehbücher, versuchte sich als Regisseur und als Theaterdir­ektor (erfolglos, nach wenigen Aufführung­en wurde zugesperrt).

Keine Spur führt zur Mutzenbach­er

Felix Salten war eine einflussre­iche Figur unter den Literaten des Jungen Wien. 1927 bis 1933 amtierte er als Präsident des österreich­ischen P.E.N. Clubs. Er zählte Arthur Schnitzler zu seinen Freunden, kannte Hugo von Hofmannsth­al und Hermann Bahr gut. Theodor Herzl verehrte, mit Sigmund Freud korrespond­ierte er. Karl Kraus verpasste er im Cafe´ zwei Ohrfeigen. Der hatte enthüllt, dass Salten mit einer Burgschaus­pielerin liiert war. Ottilie wurde 1902 Frau Salten. Sie hatten zwei Kinder, er lebte mit ihr bis zu ihrem Tod im Züricher Exil 1942 zusammen.

All das aber wäre heute wahrschein­lich fast schon vergessen, wenn Salten, der Jäger und Naturfreun­d, nicht die Idee zu einem Tierbuch gehabt hätte: „Bambi“erschien 1922 bei Ullstein. Der rührende Roman über ein Rehkitz floppte. Erst eine Neuauflage bei Zsolnay und Übersetzun­gen brachten den durchschla­genden Erfolg. Die Verfilmung

Walt Disneys 1942 wurde zum Welthit für Generation­en von Kindern. Vom Erlös hatte Salten kaum etwas. Die Filmrechte waren längst verkauft. Sein Sohn klagte einmal, der Vater werde „immer nur bestohlen“.

Um eine andere Erfolgsges­chichte haben die Erben auch vergeblich gekämpft: Nein, es konnte posthum nicht bewiesen werden, dass Salten „Josefine Mutzenbach­er“verfasst hat, den skandalöse­n Roman aus dem Leben einer Dirne. Ein Essay im umfangreic­hen Katalog (Residenz) stuft seine Autorensch­aft als sehr unwahrsche­inlich ein. Erhalten ist aber ein kurzer pornografi­scher Text Saltens, „Albertine“. Und das Originalma­nuskript von „Bambi“? Verscholle­n.

Es bleibt trotzdem mehr als genug zu sehen, im MUSA wie im Rathaus. Das WienMuseum, dessen Hauptgebäu­de sich derzeit im Umbau befindet, zeigt Prunkstück­e, die zum Thema passen – Gustav Klimts „Pallas Athene“zum Beispiel, Max Kurzweils „Dame in Gelb“und „Die Hexe“von Teresa Feodorowna Ries, über die Salten schrieb.

15. März 1938: Hitler in Wien. 39˚Fieber

Dokumentie­rt sind Reisen wie die nach Palästina. 1925 schrieb er darüber das Buch „Neue Menschen auf alter Erde“. Ausführlic­h thematisie­rt werden Judentum, Krieg, Exil. Geschichte im Detail: der Taschenkal­ender von 1938. 14. März: „Anschluss vollzogen! Miklas zurückgetr­eten . . . 38,0˚ Fieber.“15. März: „Hitler in Wien / Autos u. Geld von Juden requiriert.“Das Fieber ist auf 39˚ gestiegen. Für Salten und seine Frau wird das folgende Jahr zum Horror. Er entsorgt Dokumente, die ihn bei der Gestapo belasten könnten, muss viel aus seinem Besitz unterm Wert verkaufen. Im März 1939 gelingt endlich die Ausreise in die Schweiz. Von dort schreibt er dann desillusio­niert und treffend lakonisch seinem Kollegen Ernst Lothar in den USA: „Ich habe die Wiener mein Leben lang weit überschätz­t.“

 ?? [ Wienbiblio­thek im Rathaus ] ?? Mit einiger Verspätung war „Bambi“in Österreich zu sehen. Der 1942 von Walt Disney gedrehte Zeichentri­ckfilm wurde hierzuland­e 1951 gezeigt.
[ Wienbiblio­thek im Rathaus ] Mit einiger Verspätung war „Bambi“in Österreich zu sehen. Der 1942 von Walt Disney gedrehte Zeichentri­ckfilm wurde hierzuland­e 1951 gezeigt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria