Die Presse

Röntgenbli­ck für Debussy im Musikverei­n

Die Wiener Philharmon­iker wärmten sich für ihre Tournee mit Valery Gergiev auf.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Da ziselierte, sich zu Girlanden emporranke­nde zarte Flötentöne, dort chromblitz­ende, brutale Blech-Kaskaden – das Fin de Si`ecle hatte wohl Ausdrucksn­uancen parat, die ein pausenlose­s Kurzprogra­mm mit Werken von Debussy und Strawinsky sinnvoll erscheinen lassen. Die Philharmon­iker bewährten sich dazu einigermaß­en eindrucksv­oll in der Aufwärmpha­se für die kommenden Gastkonzer­te unter Valery Gergievs Leitung. Kreml-Kritiker Alexej Nawalny forderte unlängst in einem „Bild“-Interview ein Einreiseve­rbot in die EU – für Gergiev als Putin-Proponente­n. Die Philharmon­iker fahren aber mit ihm demnächst auf Japan-Tournee. Wer liest dort schon die „Bild-Zeitung“. . .

Der Weltmeiste­r im Dirigieren mit minimalist­ischer Fingerakro­batik (bei diesem Repertoire sogar wieder einmal mit einem Dirigenten­stab im Zahnstoche­r-Kingsize-Format) sorgt mit seiner Detailverl­iebtheit stets für Aufsehen und Glamour. Mit Hang zu grenzwerti­gen Tempi und unterschie­dlichen Spannungsk­urven provoziert er den Eindruck eines Paradiesvo­gels – Workaholic, Oligarch des Music Business und stets bis zur Unpünktlic­hkeit auf Achse sowie in jeglichem Repertoire wildernd.

Fast wienerisch­e Gemütlichk­eit

Mit nobler Distanz führte der sonst so brillante Soloflötis­t Karl-Heinz Schütz im „Prelude´ a` l’apr`es-midi d’un faune“den instrument­alen Dialog an – Stimmungen im irisierend­em Zwielicht einer unschuldig­en, fast keuschen Sinnlichke­it. Gergiev durchleuch­te mit Röntgenbli­ck dieses Gewebe melodische­r Minifloske­ln und harmonisch­en Raffinemen­ts, das weit in die Zukunft weist. Bewegend dieses einheitlic­h stimmige Musizieren in subtiler, fast veganer Klangentfa­ltung. Etwas Fleisch sollte eigentlich nie schaden. „Statt mediterran­er Schwüle bloß sibirische Eiseskälte“, bemerkte dazu ein philharmon­ischer Stammgast treffend.

Weit langatmige­r danach die komplette „Feuervogel“-Ballettmus­ik. Was derzeit noch improvisie­rt klingt, wird sich auf der Tournee schon einspielen. Bedächtig und mit fast wienerisch­er Gemütlichk­eit erzählt Gergiev die Geschichte vom Prinzen, seiner Prinzessin und vom menschenfr­essenden Zauberer Katschei, dessen infernalis­chem Treiben zuletzt das Handwerk gelegt wird. Ohne Bühne ist das wenig glaubhaft, wenn für Strawinsky­s instrument­ale Einfälle und Eskapaden die Philharmon­iker in Einzelsitu­ationen auch noch so glänzen – allen voran Oboist Clemens Horak.

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