Die Stille und das neue Album
Sängerin im Gespräch. Lockdown in Paris, virtuelles Duett mit Sting, Orchester mit Abstand: Covid-19 hat die Entstehung des neuen Albums von Melody Gardot heftig geprägt.
Sängerin Melody Gardot im Gespräch über Corona, Sting und ihre neue CD „Sunset in the Blue“.
Die US-Sängerin Melody Gardot hatte es nicht leicht mit ihrem fünften Album „Sunset in the Blue“. Trotzdem – oder gerade deshalb – suchte sie, die früher gern als Einzelgängerin agiert hatte, diesmal die Zusammenarbeit mit Gästen wie Sting, Till Brönner, Antonio´ Zambujo, Streichern der London Philharmonic und vielen Jazzern. Der „Presse“erklärte sie, wie das trotz Social Distancing funktionierte.
Die Presse: Gab es eine Leitidee für Ihr Album „Sunset in the Blue“?
Melody Gardot: Eventuell eine geheime Überschrift: „Kunst machen in Zeiten größter Schwierigkeiten“. Es war herausfordernd, dieses Album fertigzustellen, weil die Pandemie zu einer Zeit begann, als weder Arrangements noch die Lieder feststanden. Wir mussten alles long-distance realisieren.
Wo haben Sie den Lockdown erlebt?
Ich bin eine Woche vor Inkrafttreten der Maßnahmen in Paris angekommen, wollte eigentlich nur zwei Wochen bleiben. Dann bin ich festgehangen. Die wenigen verbliebenen Flüge nach Los Angeles waren immens teuer. Also dachte ich mir: Vergiss es, es wird eh höchstens einen Monat dauern. Daraus wurden drei Monate. Darüber zu jammern wäre aber exzentrisch, denn ich liebe Paris. Aber war es schwierig, den Frühling, die schönste Jahreszeit in dieser Stadt, hinter verschlossenen Türen zu erdulden. Am meisten schmerzte, auf den Duft der Blüten in den Parks zu verzichten und all die Cafes´ geschlossen zu sehen. Das war befremdlich. Ohne Cafes´ ist Paris nicht Paris.
Einige der Arrangements wurden in den berühmten Abbey Road Studios realisiert. Wie ging das während der Pandemie?
Die Abbey Road Studios hatten zum ersten Mal seit dem Ersten Weltkrieg geschlossen. Wir haben sie nach dem Corona-Lockdown quasi wiedereröffnet. Als ich zum ersten Mal sah, wie das Orchester aufgestellt war, bekam ich Zweifel: Alle saßen weit auseinander, dabei lebt Musik ja davon, dass sich die Musiker nahe sind und den Sound quasi gemeinschaftlich ausatmen. Distanz erzeugt Ungenauigkeit. Glücklicherweise hatte Arrangeur Vince Mendoza schon mit Lang Lang ähnlich gearbeitet. Es gelang ihm, seine Vorstellungen präzise umzusetzen, ohne vor Ort zu sein.
Das Albumcover zeigt ein Gemälde der US-Malerin Pat Steir. Ist ihre Kunst Inspiration für Sie?
Ja, sehr. Ich bin stolz, etwas von ihr auf meinem Cover zeigen zu dürfen. Eine Folge dieser Pandemie ist ja diese ohrenbetäubende Stille in der Kunstwelt. Künstler müssen einander unterstützen. So habe ich mit vielen Gästen gearbeitet und zudem Pat Steir ins Boot geholt. Mich fasziniert, wie sie auf der Leinwand agiert und wie ihre Arbeitsmethode mit dem Jazz in Verbindung steht. Mir ging es auch um Zusammenarbeit in schweren Zeiten: Ich wollte möglichst viele Künstler in meine Karawane aufnehmen.
Teil dieser Karawane war Popsänger Sting, mit dem Sie das geschmeidige Duett „Little Something“singen. Wie kam das?
Zufällig. Ich bin mit dem Pariser Musikproduzenten Jen Jis befreundet. Er meinte, dass ich dieses Lied mit Sting singen soll. Ich war überrascht, dachte, Ariana Grande wäre die bessere Wahl. Aber er war von seiner Idee wie ein Kind begeistert. Also machte ich eine Probeaufnahme. Dann passierte Covid. Wir mussten das Duett auf Distanz durchziehen, was nicht optimal war. Ich wäre lieber gemeinsam mit ihm im Studio gestanden. Erst vor wenigen Wochen habe ich ihn erstmals persönlich getroffen. Er ist der perfekte Gentleman und sehr bescheiden.
Sie singen auf Ihrem neuen Album teilweise Portugiesisch. Können Sie in dieser Sprache Dinge ausdrücken, die Ihnen auf Englisch schwerer fallen würden?
Ich spreche vier Sprachen flüssig. Ich liebe diese Bandbreite weniger wegen der Bedeutungsmöglichkeiten als wegen des erhöhten Vorrats an Silben und Sounds. Ohnehin glaube ich, dass nur die wenigsten aufmerksam die Liedtexte studieren. Zur Erklärung: In „C’est magnifique“gibt es englische, portugiesische und französische Passagen. Jede Strophe ist in der Sprache gehalten, in der sie am samtigsten klingt. Dabei sind Winkel, Linien und Kanten zu bedenken, sonst fallen einem die Worte einfach aus dem Mund wie Wayne Newton bei „Danke Schoen“. Ich ziehe die sanfte Vortragsweise vor, weil sie die Hörer in einen Traum einlädt.
Wussten Sie, dass Fred Spielman, der Komponist des Jazzklassikers „You Won’t Forget Me“, aus Wien stammte?
Das wusste ich nicht. Wow. Ich kenne das Lied natürlich in der Interpretation von Shirley Horn. Ich war ein großer Fan von ihr, weil sie beim Singen so speziell mit Zeit umging. Wie sie phrasierte, das war wie Yoga.
Drücken Sie im Lied „Ninguem, Ninguem“Ihre Sehnsucht nach der spezifisch portugiesischen Melancholie Saudade aus? Dieses seltsame Lied entstand, als ich auf meiner Couch lag und versuchte, auf Französisch zu schreiben. Plötzlich verspürte ich eine Sehnsucht nach Brasilien. Und so habe ich etwas gemacht, was dort wohl niemand machen würde: Ich beschwor die Saudade, in mein Leben zu kommen. „Ninguem Ninguem“ist eine provokante Art, auf diesen traditionsreichen Begriff zu blicken. So wie es nur Gringos tun können.
Was war Ihr persönliches Highlight? „Moon River“war sehr speziell. Produzent Larry Klein schlug es vor. Das machte mich etwas nervös. Es war, als hätte er mich gebeten, „My Way“zu singen, das nach Sinatra niemand mehr anrühren darf. Was Audrey Hepburn 1961 mit Henry Mancini geschaffen hat, ist ähnlich perfekt. Aber Klein war überzeugt davon, dass es, wie er es ausdrückte, noch einen Platz im Weltall gebe für eine Neuinterpretation. Neben uns saß der legendäre, heute 90-jährige Ingenieur Al Schmitt. Er brummte: „Ich weiß, was du meinst, ich habe den Song schließlich damals aufgenommen.“Und das stimmt! Al Schmitt gab den Ausschlag, dass ich „Moon River“dann wirklich aufgenommen habe. Für mich war es ein schönes Zwinkern in seine Richtung, für ihn schloss sich ein Kreis.