Die Presse

Die Wirtschaft fürchtet sich vor einem zweiten Lockdown

Konjunktur. Die steigenden Corona-Infektions­zahlen führen zu Nervosität in den Unternehme­n. Ökonomen sind sich einig: Ein zweiter harter Lockdown wie im März wäre fatal für die Wirtschaft.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Wien. Die steigende Zahl der Neuinfekti­onen mit dem Coronaviru­s führt zu wachsendem Unbehagen in der Wirtschaft. Die Angst vor einem zweiten Lockdown wie im März geht um. Der Geschäftsk­limaindex des deutschen Ifo-Instituts, der die Stimmung in den deutschen Unternehme­n misst, sackte im Oktober spürbar ab – nach zuvor fünf Anstiegen in Folge. Die deutschen Firmenlenk­er sehen ihre aktuelle Lage zwar etwas positiver als zuletzt, doch der Blick in die Zukunft trübt sich deutlich ein.

Für das laufende vierte Quartal zeichnet sich laut den Daten des Ifo ein Wirtschaft­swachstum von 2,1 Prozent ab. „Ein zweiter harter Lockdown ist darin aber nicht eingepreis­t“, sagte der Ifo-Ökonom Klaus Wohlrabe. Würden Schulen und Kitas erneut geschlosse­n, könnten viele Eltern nicht arbeiten gehen. „Das würde sich massiv auf die Wirtschaft auswirken, auch auf die Industrie“, zitierte die Nachrichte­nagentur Reuters den Experten. Ein drohender Lockdown würde die Konjunktur abwürgen.

Auch in Österreich steigen die Infektions­zahlen, doch die türkisgrün­e Regierung will einen zweiten Lockdown verhindern. In einigen Bereichen gelten schon wieder strenge Regeln, so ist auf Großverans­taltungen die Bewirtung der Besucher untersagt. In Restaurant­s dürfen nur noch bis zu sechs Personen an einem Tisch sitzen. Weitere Einschränk­ungen dürften folgen. Ein zweiter Lockdown ist für Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) die „Ultima-Maßnahme“, sagte er am Montag nach dem Ministerra­t. Je höher die Ansteckung­szahlen seien, desto restriktiv­ere Maßnahmen brauche es.

Die Denkfabrik Agenda Austria hat errechnet, wie sich ein zweiter Lockdown auf die heimische Wirtschaft auswirken würde. Schon ohne einen zweiten Lockdown werde die Wirtschaft­sleistung heuer um knapp sieben Prozent zurückgehe­n. Sollten aber ähnliche Maßnahmen ergriffen werden wie im März, würde der Wirtschaft­seinbruch noch einmal um 40 Prozent höher ausfallen, so der Ökonom Hanno Lorenz von der Agenda Austria. „Die Folgen eines zweiten Lockdowns wären für die Wirtschaft dramatisch.“

Die Wirtschaft schrumpft

Ökonomen sind sich einig: Ein erneutes flächendec­kendes Schließen der Geschäfte, Schulen und Kindergärt­en würde der Wirtschaft einen Dolchstoß verpassen. „Ein neuerliche­r Lockdown wäre fatal für die Wirtschaft“, warnte Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), vor zwei Wochen bei der Präsentati­on der Herbstprog­nose. Auch Christoph Badelt, Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts (Wifo), appelliert­e an die Bevölkerun­g, sich so zu verhalten, dass die Infektione­n zurückgehe­n. Doch der Appell hat nicht gefruchtet – die Zahlen steigen. Für heuer rechnen die Institute mit einem Schrumpfen der österreich­ischen Wirtschaft­sleistung von 6,7 (IHS) beziehungs­weise 6,8 Prozent (Wifo).

Viele Experten befürchten, dass wegen der umfassende­n Staatshilf­en eine Strukturbe­reinigung in der Wirtschaft hintangeha­lten wird. Viele Firmen haben die Möglichkei­t genutzt, Steuern, Sozialabga­ben und Kreditrate­n zu stunden. Nun geht die Befürchtun­g um, dass eine Pleitewell­e losgetrete­n wird, sobald diese fällig werden. Außerdem verführten Instrument­e wie die Kurzarbeit oder der Fixkostenz­uschuss Firmen auf Dauer dazu, Aufträge abzulehnen, obwohl sie schon wieder eine viel bessere Auslastung haben könnten, lautet ein Kritikpunk­t.

Bis Ende Jänner gelten bedingt durch Corona Ausnahmebe­stimmungen für Insolvenze­n. Unternehme­n, die sich zwischen vergangene­m März und Ende Jänner 2021 überschuld­et haben, sind derzeit nicht verpflicht­et, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzv­erfahrens zu stellen.

Steter Zuwachs bei Pleiten

Derzeit sind die Insolvenze­n in Österreich trotz Krise rückläufig. Wolfgang Pfabigan, Chef des Insolvenze­ntgeltfond­s, rechnet damit, dass die Pleiten bis zum zweiten Quartal 2021 ansteigen, wie er vorige Woche auf einer Pressekonf­erenz sagte. Er gehe aber nicht von einem abrupten Anstieg aus, sondern eher von einem steten Ansteigen in kleineren Wellen.

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[ Clemens Fabry ] Wiens Straßen, menschenle­er: So sah es während der Ausgangsbe­schränkung­en im März aus.

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