Die Presse

Der überrasche­nde Tod eines Pragmatike­rs

Deutschlan­d. Bundestags­vizepräsid­ent Thomas Oppermann (SPD) ist gestorben. Auch die Parteikonk­urrenz würdigte ihn als „feinen Kerl“.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Am Sonntagabe­nd hätte Bundestags­vizepräsid­ent Thomas Oppermann als Livegast in die Polit-Sendung „Berlin direkt“aus seiner niedersäch­sischen Heimatstad­t Göttingen zugeschalt­et werden sollen. Thema: Corona und der Bundestag. Der 66-jährige SPD-Politiker hatte wie auch Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) zuletzt eine stärkere Einbindung des Parlaments in die Corona-Krisenpoli­tik eingemahnt. „Wir haben noch im Vorgespräc­h zur geplanten Schaltung den wie stets profession­ellen und entspannte­n Politiker Thomas Oppermann erlebt“, erklärte der Leiter des ZDFHauptst­udios. Doch während der erste Beitrag lief, brach Oppermann plötzlich zusammen und starb später in der örtlichen Uniklinik.

Die Nation wachte am Montag mit Eilmeldung­en vom überrasche­nden Tod des Bundestags­vizepräsid­enten auf. Im politische­n Berlin machte sich Fassungslo­sigkeit breit. SPD-Vizekanzle­r Olaf Scholz sprach von einem „Schock für uns alle“. Oppermann wurde über alle Parteigren­zen hinweg gewürdigt. Der 66-Jährige sei ein „feiner Kerl und großartige­r Demokrat“gewesen, twitterte Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU). Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) ließ über einen Sprecher mitteilen, sie sei „bestürzt und traurig“.

Traum vom Innenminis­ter

Oppermann galt als Pragmatike­r, nicht als Ideologe. Er zählte zum eher konservati­ven Flügel in der Partei. Kürzlich räumte er in einem Interview ein, dass er 2013 gern Bundesinne­nminister geworden wäre, „um unter anderem eine fortschrit­tliche und kontrollie­rte Migrations­politik durchzuset­zen“. Vielleicht hätte es der SPD gutgetan. Aber aus Oppermanns Plänen wurde nichts, weil damals schon alle Plätze für Genossen aus Niedersach­sen in der Bundesregi­erung vergeben waren.

Statt Minister wurde Oppermann 2013 Chef der SPD-Fraktion, einem der Machtzentr­en der Partei. Er galt als einer, der recht geräuschlo­s Mehrheiten im Parlament für schwarz-rote Vorhaben organisier­en konnte. Laut war Oppermann davor in der NSA-Affäre geworden. Die Reaktion von Kanzlerin Merkel auf die US-Spionage fiel ihm deutlich zu lasch aus. Oppermann selbst geriet zwischenze­itlich in der sogenannte­n Edathy-Affäre unter Druck.

Kaderschmi­ede Niedersach­sen

Oppermann war der Sohn eines Molkereime­isters. Er machte als einziges von vier Kindern Abitur. Auf dem Weg zur Reifeprüfu­ng blieb er zwar zweimal sitzen, studierte aber dafür im Eiltempo: Das juristisch­e Erste Examen legte der spätere Verwaltung­srichter dabei nach nur acht Semestern ab. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble hob am Montag dann auch den „hohen juristisch­en Sachversta­nd“des „Vollblut-Parlamenta­riers“hervor.

Oppermann trat 1980 in die SPD ein. Sein Aufstieg begann in der politische­n Kaderschmi­ede Niedersach­sen, die auch Kanzler Gerhard Schröder und Vizekanzle­r Sigmar Gabriel hervorbrac­hte. Schröder, damals noch Ministerpr­äsident Niedersach­sens, war es auch, der Oppermann 1998 als Wissenscha­ftsministe­r in die Landesregi­erung holte. 2005 wechselte Oppermann in den Bundestag nach Berlin. Viermal in Folge gewann er in seinem Wahlkreis als Direktkand­idat. Ein kleines Kunststück angesichts der bundesweit­en Schwierigk­eiten der SPD.

Vor zwei Monaten hatte der vierfache Familienva­ter angekündig­t, bei den nächsten Bundestags­wahlen im Herbst 2021 nicht mehr zu kandidiere­n. Nach Jahrzehnte­n in der Spitzenpol­itik wolle er „noch einmal etwas anderes machen“, sagte Oppermann damals in einem Interview.

Bundestags­präsident Schäuble erklärte am Montag, sein Vize schien zuletzt „in sich zu ruhen“und „gleichzeit­ig voller Vorfreude auf kommende Projekte“: „Umso betroffene­r macht sein plötzliche­r Tod.“

 ?? [ imago ] ?? Bundestags­vizepräsid­ent Thomas Oppermann wurde 66 Jahre alt.
[ imago ] Bundestags­vizepräsid­ent Thomas Oppermann wurde 66 Jahre alt.

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