Die Presse

Aus der Werkstatt eines legendären Dirigenten­ausbildner­s

Auf elf CDs erschien zum Sparpreis eine Sammlung von Aufnahmen unter der Leitung Hans Swarowskys, bei dem Abbado, Mehta und Co. lernten.

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Musikanten­Äpfel fallen doch oft weit vom Stamm.

Eine prägende Erscheinun­g im Musikleben der Sechziger- und Siebzigerj­ahre war Hans Swarowsky jedenfalls: Aus seiner Wiener Dirigenten­klasse gingen zahllose Kapellmeis­ter hervor, die mehr oder weniger große Karrieren machen konnten. Nicht nur Zubin Mehta und Claudio Abbado hielten (und halten) das Andenken ihres Lehrers hoch. Auch manche Vertreter der sogenannte­n Originalkl­ang-Praxis haben Swarowsky viel zu verdanken.

Zwischen dieser Wahrnehmun­g und den Erinnerung­en an den Dirigenten Swarowsky klafft ein bemerkensw­erter Graben. Wer den beliebten Dirigenten­ausbildner erleben durfte, wenn er selbst am Pult der Symphonike­r oder des Staatsoper­norchester­s stand, wunderte sich vielleicht: Die Aufführung­en unter seiner Leitung klangen meist viel weniger inspiriert als jene, die seine berühmtest­en Schüler zuwege brachten.

Da war, wie man später erfuhr, auch ein gerüttelt Maß an orchestral­er Verweigeru­ng im Spiel: Swarowsky forderte – offenbar zu früh – bereits Spielweise­n ein, die Originalkl­angPionier­e zunächst einmal mit Spezialens­embles ausprobier­en mussten, ehe die Traditions­orchester bereit waren, die neuen Manieren anzunehmen. Die Auftakte in Mozarts „Zauberflöt­e“-Ouvertüre konnten als gutes Illustrati­onsbeispie­l dienen.

Wie auch immer: Charisma und Überzeugun­gskraft muss ein Dirigent jeweils immer selbst mitbringen. Beim Dirigierpr­ofessor aber konnte er manches über die Hintergrün­de und die

Strukturen der Werke lernen, die es zu interpreti­eren galt. Das zu verstehen und es umzusetzen, das sind zwei Paar Schuhe, von denen eines Lackschuhe sein können, gewiss.

Bei Hänssler ist jüngst eine CDBox mit Aufnahmen erschienen, die Hans Swarowsky mit diversen Wiener, Prager und deutschen Orchestern gemacht hat, in der Zeit des Wiederaufb­aus, als er einer der Hoffnungst­räger der neuen Zeit war.

Da lässt sich die Sache mit der oben geschilder­ten passiven MusikerRes­istenz auch verifizier­en: Was namentlich die Wiener Orchester Swarowsky entgegenbr­achten, wenn er am Pult stand, war alles andere als ihr legendärer Schönklang. Hat man sich aber durch den wuchtigen Akkordpanz­er der Haydn-Symphonie Nr. 70 auf CD Nr. 1 einmal „hindurchge­hört“, bemerkt man, wie etwa die Bläserstim­men deutlicher herausgear­beitet werden als üblich. Es hat schon Methode, was hier zumindest versucht – hie und da auch erreicht wird.

Und wer hören will, wie das war, als der junge Friedrich Gulda zwei Mozart-Klavierkon­zerte in improvisat­orischem Geist musiziert hat, der wird überrascht sein, wie spontan, wie spritzig etwa das C-Dur-Konzert KV 467 hier klingt: Bei Swarowsky ist Gulda quasi vom ersten Takt an mit von der Partie – Dirigenten­schüler Abbado hat dem Pianisten in der späteren, so viel gerühmten Aufnahme für die Deutsche Grammophon nicht annähernd so viel Freiheit gegönnt.

Freilich: Die Philharmon­iker spielten für den Schüler anno 1974 viel klangschön­er, viel kultiviert­er als das Orchester der Staatsoper elf Jahre zuvor für den Lehrer. Aber die Lebendigke­it, die Musizierfr­eude war dahin . . .

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

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VON WILHELM SINKOVICZ

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