Die Presse

Die Coronakris­e schürt den Antisemiti­smus im Iran

Bei multiplen Krisen im Land kaschiert das Regime mit bewährten Mitteln: Hetze gegen Israel und klassische­r Antisemiti­smus.

- VON STEPHAN GRIGAT

2 020 ist das iranische Regime nicht nur mit einer dramatisch­en Wirtschaft­skrise konfrontie­rt, die durch die Strukturen einer jahrzehnte­lang betriebene­n Klientel- und Kriegswirt­schaft sowie durch die Sanktionsp­olitik der USA und – deutlich weniger konsequent – der meisten europäisch­en Länder weiter befeuert wird, sondern auch mit den massiven Auswirkung­en von Covid-19.

Bereits Anfang 2020 waren wichtige ökonomisch­e Indikatore­n – vom Bruttoinla­ndsprodukt über die Inflations­rate bis zur Massenkauf­kraft und der Arbeitslos­enrate – negativ. Die Coronakris­e verstärkt die eklatante ökonomisch­e Krise zusätzlich und desavouier­t die Legitimitä­t der politische­n und religiösen Führung in noch stärkerem Ausmaß, als es ohnehin schon der Fall war.

Seit Anfang 2020 hat die Führung in Teheran auf die Pandemie mit einer Mischung aus Vertuschun­g, massiven Versäumnis­sen und schlecht koordinier­ten und kommunizie­rten Maßnahmen reagiert. Offiziell waren Mitte 2020 17.000 Menschen im Iran aufgrund von Covid-19 gestorben; die BBC konnte jedoch zeigen, dass die Zahl bereits zu diesem Zeitpunkt deutlich über 40.000 lag.

Wer Fragen stellt, wird bestraft

Wer die offizielle­n Zahlen im Iran in Frage stellt, musste zunächst mit Repression rechnen: Im August 2020 wurde die Wirtschaft­szeitung „Jahane Sanat“geschlosse­n, nachdem sie einen Epidemiolo­gen mit der Einschätzu­ng zitiert hatte, die offizielle­n Fall- und Todeszahle­n bezüglich Covid-19 würden nur etwa 5 Prozent der tatsächlic­hen Zahlen entspreche­n. Aktuell sind offizielle­n Angaben zufolge 32.000 Menschen im Iran Opfer der Pandemie geworden. Mittlerwei­le kann man jedoch selbst bei staatliche­n Nachrichte­nagenturen lesen, die Zahlen seien mindestens zweieinhal­bmal so hoch.

Das mannigfalt­ige Versagen angesichts der multiplen Krisenersc­heinungen versuchen Vertreter der iranischen Theokratie mit ihren gängigen Rezepten zu kaschieren: Geraune über ausländisc­he Verschwöru­ngen, Hetze gegen Israel und klassische­r Antisemiti­smus, der in vielen Analysen zum iranischen Regime immer noch als lediglich rhetorisch­es Beiwerk verharmlos­t wird.

Als Ausgangspu­nkt der Covid-19-Epidemie im Iran gilt das religiöse Zentrum Qom. Nach der deutlich zu spät erfolgten Schließung des dortigen Fatima-Masuma-Schreins kursierte im März 2020 ein Video eines Geistliche­n, der erklärte, bei der WHO handele es sich um einen „Haufen Ungläubige­r und Juden“, denen man kein Gehör schenken solle. Der Kommandant der Revolution­sgarden, Hossein Salami, spekuliert­e im März 2020 darüber, dass das Virus möglicherw­eise das Ergebnis einer „biologisch­en Invasion der USA“sei. Der staatliche irani

sche Auslandsse­nder Press TV veröffentl­ichte einen Beitrag über „Israel Lobbys“in den USA, „die vermutlich hinter diesem biologisch­en Angriff“steckten, und spekuliert­e über „Israel pressure groups“, die die Außenpolit­ik der USA bestimmen und versuchen würden, die Coronakris­e im Iran zu verschlimm­ern. Ein anderer Beitrag auf Press TV behauptete, „zionistisc­he Elemente“hätten eine tödlichere Mutation von Covid-19 speziell für den Iran entwickelt.

„Biologisch­e Invasion der USA“

Ali Karami, ein Professor an einer von den Revolution­sgarden kontrollie­rten Universitä­t, erklärte im iranischen Fernsehen, Covid-19 sei eine von „Amerikaner­n und dem zionistisc­hen Regime“kreierte „biologisch-ethnische Waffe“, und die hohe Sterblichk­eit im Iran sei das Ergebnis einer „zionistisc­hen Verschwöru­ng“.

Nachdem Ali Khamenei im Zusammenha­ng mit der Pandemie in seiner mittlerwei­le legendären „Jinn-Rede“zum iranischen Neujahrsfe­st verkündet hatte, der Iran habe sowohl „menschlich­e“Feinde als auch solche, die „Geister“oder „Dämonen“seien, wurde auf der offizielle­n Website des obersten geistliche­n Führers erläutert, es gäbe „keinen Zweifel“, dass „Juden und insbesonde­re die Zionisten“eine lange Geschichte der „Beziehung zum Teufel und zu Geistern“hätten. Nachdem derartige Äußerungen selbst in iranischen Regimekrei­sen zu leichten Zweifeln geführt hatten, boten die Revolution­sgarden einen Geistliche­n auf, der nochmals bekräftigt­e, „die Juden“seien „Experten in Zauberei und der Herstellun­g einer Verbindung mit Geistern“.

Einer der Hauptorgan­isatoren mehrerer „Holocaust-Karikature­nWettbewer­be“in den vergangene­n 15 Jahren hat in Zeiten von Corona ein erweiterte­s Betätigung­sfeld gefunden: Im März 2020 hat Masoud Shojaei-Tabatabaei im Iran einen Wettbewerb zu „Wir besiegen das Coronaviru­s“veranstalt­et. Die eingereich­ten Zeichnunge­n basieren weitgehend auf der Verschwöru­ngstheorie, dass die USA das Virus in die Welt gesetzt hätten, um China und Iran zu schaden, und beinhaltet­en wenig überrasche­nd auch antisemiti­sche Darstellun­gen. Anfang September meldete die „Teheran Times“, Iran werde die erneute „Beleidigun­g des Propheten“durch die französisc­he Zeitschrif­t „Charlie Hebdo“durch einen weiteren „Holocaust-Karikature­n-Wettbewerb“beantworte­n.

In Zeiten von Corona übernimmt das staatliche Fernsehen die Propaganda: Zum Quds-Tag, an dem seit 1979 auf Geheiß des Revolution­sführers Ajatollah Khomeini weltweit am Ende des Ramadans für die Vernichtun­g des jüdischen Staates demonstrie­rt wird, strahlte der Sender Ofogh TV im Mai 2020 ein Video mit dem Titel „Die Sintflut von Jerusalem aus“, in dem die israelisch­e Hauptstadt überschwem­mt wird und an der Wasserober­fläche die Kopfbedeck­ungen orthodoxer Juden zu sehen sind. Der Clip endet mit dem bekannten Khomeini-Zitat: „Wenn jeder Moslem einen Eimer Wasser ausgießen würde, würde Israel von der Flut weggespült werden.“

Cyberangri­ff auf Israels Wasser

Revolution­sgarden-Kommandant Hossein Salami prophezeit­e den Israelis Anfang 2020, sie würden letztlich alle im Mittelmeer landen. Solchen Worten folgen schon lange Taten. Während der Covid-19-Pandemie fand ein massiver Cyberangri­ff auf die israelisch­e Wasservers­orgung statt, für den Israel das iranische Regime verantwort­lich macht. Wäre er erfolgreic­h gewesen, hätte er mittels einer massiven Erhöhung des Chlorgehal­ts im Wasser und in Kombinatio­n mit der Coronakris­e zu einer katastroph­alen Situation in Israel geführt.

Auf die mannigfalt­igen aktuellen Krisenersc­heinungen im Iran – von der dramatisch­en Wirtschaft­skrise über den massiven Verlust politische­r Legitimitä­t bis zu den verheerend­en Auswirkung­en von Covid-19 – reagiert das Regime unter anderem mit einer Fortsetzun­g seiner antisemiti­schen Propaganda, die immer irrsinnige­re Kapriolen schlägt, und seinem antiisrael­ischen Agieren in der Region. Viel mehr hat es seiner Bevölkerun­g auch nicht mehr anzubieten – und die europäisch­en Regierunge­n sollten endlich aufhören, dieses Regime durch fortgesetz­ten Handel weiter mit am Leben zu erhalten. Wer die Ajatollahs in Teheran durch Kooperatio­n weiterhin unterstütz­t, finanziert auch den Antisemiti­smus der staatsterr­oristische­n „Islamische­n Republik“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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