Wo bleibt der linksliberale Aufschrei gegen den Islamismus?
Auf die Enthauptung eines Lehrers in Frankreich folgte kaum Protest. Zu groß die Angst, in einer islamfeindlichen, rechtsradikalen Meinungskloake mitzuschwimmen.
In Frankreich schneidet ein junger Tschetschene im Namen Allahs auf offener Straße einem Lehrer den Kopf ab, weil dieser im Staatskundeunterricht mithilfe der Mohammed-Karikaturen über Meinungsfreiheit reden wollte. Und in Österreich? Bleibt es gespenstisch totenstill. Ein paar übervorsichtige Kommentare und Erklärversuche. Ein Tweet des Bundeskanzlers. Aber kein lautstarker Aufschrei der politischen und (links-)intellektuellen Elite oder auch der muslimischen Zivilgesellschaft. Kein Schweigemarsch. Keine Betroffenheitsprosa. Keine Unterschriftenlisten gegen Salafismus und Gotteskriegertum. Zu groß die Angst, in einer rassistischen, islamfeindlichen, rechtsradikalen Meinungskloake mitzuschwimmen, die Flüchtlingsdebatte in noch rechtere Gewässer umzuleiten und alle – großteils friedlichen – Muslime unter Generalverdacht zu stellen.
Sascha Lobo, deutscher Blogger und Mit-Initiator der Charta der Digitalen Grundrechte der EU, schreibt in seiner „Spiegel“-Kolumne von „Verniedlichungsrassismus“, wenn Muslime als „mitleidpflichtiger Migrantenmonolith“aus der Verantwortung für ihr Handeln entlassen werden. Und der deutsche Jusos-Bundesvorsitzende, Kevin Kühnert, fordert, dass die politische Linke endlich ihr Schweigen beenden müsse, „weil es insbesondere ihre proklamierten Werte sind, die bei ausnahmslos jedem Terroranschlag mit Füßen getreten, mit Messern erdolcht und mit Sprengsätzen in die Luft gejagt werden.“
Frankreich ist das europäische Land, das seit Mitte der 1990er-Jahre am stärksten unter (selbst-)mörderischen Salafistenbanden zu leiden hat. Hunderte Menschen sind den Gotteskriegern bei Terroranschlägen zum Opfer gefallen, 30.000 französische Juden aus Angst vor muslimischem Antisemitismus nach Israel ausgewandert. Anfang des Jahres machten französische Sicherheitsdienste bereits 150 Territorien im Land aus, die sich in Islamistenhand befänden und wo der Schleier für Frauen eine Art
Versicherungspolizze sei, um nicht geschlagen oder vergewaltigt zu werden. Nach jedem Attentat ein ähnliches Bild: Erstaunte Empörung, gefolgt von hyperaktiven Salafistenhausdurchsuchungen. Verhaftungen. Ausweisungen von Hasspredigern, die sonst scheinbar unbehelligt geblieben wären. Und dann Ruhe bis zum nächsten Anschlag. Warum hebt man offensichtlich bekannte Terroristennester immer erst nach einem Attentat aus? Nun fordert die linke Feministin Elisabeth Badinter Gesetzesänderungen, damit gegen Islamisten ein „ideologischer Krieg“geführt werden könne. Eine pazifistische Lösung erachte sie seit dem grausamen Mord an Samuel Paty als unmöglich.
Meist wird ausführlich und relativierend über das sozial benachteiligte, migrantische Herkunftsmilieu der Mörder im Namen Allahs berichtet, über trostlose Jugenden in den Banlieues, traumatische Kriegserlebnisse, mangelnde Zukunftschancen.
Geben wir diesmal nicht dem Täter die Ehre der Aufmerksamkeit, sondern dem Opfer: Samuel Paty war 47 Jahre alt, Vater eines fünfjährigen Sohnes, in seiner Freizeit spielte er Tennis, er war ein ausgezeichneter Student an der Universität von Lyon, später ein beliebter Lehrer, ein Mann des Dialogs: „Er war davon überzeugt, dass Bildung Menschen verändern kann“, sagt ein Freund. Seit 1997 unterrichtete Samuel Paty im Großraum Paris, die letzten drei Jahre am Coll`ege Pois D’Aulne in der 36.000-Seelen-Gemeinde Conflans-Sainte-Honorine, 27 Kilometer nordwestlich der Metropole. Jedes Jahr zeigte er im Unterricht die Mohammed-Karikaturen, um über Meinungsfreiheit zu diskutieren. Heuer wurde er deshalb wegen Verbreitung „pornografischer Bilder“angezeigt, von der Polizei verhört, des Rassismus beschuldigt. Paty reichte eine Gegenanzeige wegen Diffamierung ein. Polizeischutz bekam er nicht. Jetzt wurde er postum zum Ehrenlegionär ernannt und von Präsident Macron zum Gesicht der Republik gekürt. Doch davon hat er nichts mehr.
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Zur Autorin:
Dr. Andrea Schurian ist freie Journalistin. Die ehemalige ORFModeratorin („KunstStücke“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerporträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturressort der Tageszeitung „Der Standard“. Seit Jänner 2018 ist sie Chefredakteurin der jüdischen Zeitschrift „NU“.
Morgen in „Quergeschrieben“: Karl-Peter Schwarz
Warum hebt man offensichtlich bekannte Terroristennester eigentlich immer erst nach einem Attentat aus?