Wer Demos auflösen müsste
Streit. Polizei und Stadt Wien sind sich uneins, wer über das Versammlungsende entscheidet. Laut Juristen ist es die Polizei. Indes kommt aus der ÖVP auch der Ruf nach Kontrollen im Privaten.
Polizei und Stadt Wien sind sich uneins, wer Versammlungen bei Regelverstößen beenden muss.
Wien. Am Montag fand in Wien eine Demonstration von Gegnern der Corona-Maßnahmen statt, bei der die Schutzregeln nicht eingehalten wurden. Doch Polizei und Stadt meinten, nur der jeweils andere wäre dafür zuständig, die Versammlung aufzulösen. Ebenfalls Anfang der Woche forderte der steirische ÖVP-Landeshauptmann, Corona-Verstöße auch im privaten Bereich zu ahnden. Doch die Bundespartei hält sich bedeckt. Was steckt dahinter? Und wie löst man das Behörden-Wirrwarr rund um die Demos auf?
1 Wer hat bei Corona-Verstößen das Recht, Demos aufzulösen?
„Das ist nicht unumstritten“, sagt Jus-Professor Karl Stöger von der Universität Wien. Seiner Ansicht nach aber sei es die Landespolizeidirektion, die auch für die Genehmigung von Demonstrationen zuständig ist. Vor der Auflösung der Versammlung könne die Polizei zwar die Wiener Gesundheitsbehörde um ihre Einschätzung ersuchen, meint Stöger. Aber die Entscheidung, die Versammlung zu beenden, obliege danach allein der Landespolizeidirektion.
Auch weitere Verfassungsjuristen wie Heinz Mayer oder BerndChristian Funk sehen die Polizei am Ball. Das Innenministerium versteht die Rechtslage etwas anders. „Es kam kein eindeutiges Signal der Stadt, deshalb haben wir das auch nicht gemacht“, erklärte ein Sprecher des Ministeriums im ORF-Radio die Nichtauflösung.
„Grundsätzlich hat eine allfällige Auflösung durch die Polizei zu erfolgen“, hieß es aus dem Gesundheitsministerium zur „Presse“. Doch sei von Maßnahmen gegen Teilnehmer, die keine Maske tragen, nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde abzusehen, wenn der gesetzmäßige Zustand durch gelindere Mittel hergestellt werden kann oder Maßnahmen nicht verhältnismäßig seien. „Das Erfordernis der Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde, um festzustellen, ob gelindere Mittel genügen würden oder die Maßnahme unverhältnismäßig wäre, gilt auch, wenn eine Versammlung aufgelöst werden soll.“
2 Wie gehen Polizei und Stadt angesichts der Differenzen weiter vor?
Die Wiener Polizei, die zuständigen Behörden der Stadt und Vertreter des Innenministeriums haben am Dienstag in einer Besprechung versucht zu klären, wer künftig für Auflösung oder Nichtgenehmigung solcher Demos zuständig ist. Lösung wurde keine gefunden, beide Seiten verharren bei ihrer Rechtsauslegung. Die Polizei bleibt dabei, wegen einer niederschwelligen Verwaltungsübertretung wie dem Nichttragen eines Mund-Nasen-Schutzes könne die Polizei nicht in ein Grundrecht wie die Versammlungsfreiheit eingreifen. Zur Prüfung oder Auflösung wegen epidemiologischer Bedenken sei aus Polizeisicht die Gesundheitsbehörde, also der Magistrat der Stadt zuständig – was man dort anders sieht.
Die Haltung der Polizei hat eine Vorgeschichte: In der Vergangenheit wurde eine Anti-CovidMaßnahmen-Demo von der Polizei erst nicht genehmigt und dann aufgelöst. Später entschied das Verwaltungsgericht, dass das Verbot der Demo während des Lockdowns im April vor der Albertina rechtswidrig war.
„Da das so ist, machen wir das nicht mehr“, heißt es von der Polizei. Sie schicke seit dem Frühjahr allerdings jede der (täglich vielen) Anmeldungen von Versammlungen zur Prüfung auf epidemiologische Bedenken an die Gesundheitsbehörde. Hier komme im Regelfall keine Rückmeldung, heißt es, also werde genehmigt. Und so wird es weiter Demo-Szenen wie zuletzt geben: Die nächste Demo von Kritikern der Corona-Maßnahmen ist für das Wochenende angemeldet.
Zu Anzeigen wegen Verwaltungsübertretungen gegen einzelne Demonstranten kam es am Montag übrigens nicht. 1500 Leute könne man nicht anzeigen, Einzelne wegen Nichttragens einer Maske herauszufischen sei nicht verhältnismäßig, heißt es von der Polizei. Wolle man sämtliche Identitäten feststellen, müsse man die Versammlung einkesseln – das berge die Gefahr der Eskalation und sei auch rechtlich heikel.
3 Welche Kontrollen fordert Landeshauptmann Schützenhöfer?
Bei gesundheitlichen Herausforderungen gebe es Einschränkungen der Freiheit, erklärte Schützenhöfer. „Ich will ja nicht in Schlafzimmer hineinschauen, aber wenn bei Privatpartys in einem Keller oder in einer Gartenhütte Exzesse gefeiert werden, muss man das auflösen können. Für bestimmte Fälle, für bestimmte Zeiten. Ich bin dafür, dass wir hier einen verfassungsrechtlich gangbaren Weg suchen“, sagte Schützenhöfer dem „Kurier“. Bei dem Thema solle man auch die anderen Parteien mit einbinden, meinte der Landeshauptmann. Seine Äußerungen sind bemerkenswert, weil Kanzler Sebastian Kurz bisher betont hatte, dass ein Eingriff in private Wohnräumlichkeiten schon verfassungsrechtlich nicht möglich sei.
4 Was hindert die Regierung daran, Privaträume überprüfen zu lassen?
Die Verfassung würde einen Eingriff in Privaträume aber laut Juristen gar nicht verbieten. Im Falle einer Epidemie kann der Staat in Privaträume eingreifen, sofern es nötig ist, um der Gefahr durch das Virus Herr zu werden. Schützenhöfers Äußerungen kann man also schlicht so verstehen, dass er einen Weg im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts fordert.
Allerdings gibt es daneben noch das im einfachen Rang stehende Covid-19-Maßnahmengesetz, das den privaten Wohnbereich von Eingriffen ausklammert. Dieses könnte die Koalition freilich mit ihrer Mehrheit ändern.
Manches ist aber schon jetzt Interpretationssache: Das ÖVP-geführte Salzburg etwa erklärte bereits, dass Garagen oder Ställe nicht unter den privaten Wohnbereich fallen würden.
5 Ist Schützenhofers Idee ein ÖVPTestballon für Verschärfungen?
Eher nicht. Zu einer Anfrage der „Presse“wollte man im Büro von Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz am Dienstag zwar offiziell kein Statement abgeben, wies aber darauf hin, dass es ein geltendes Gesetz gebe, das Eingriffe in den eigenen vier Wänden nicht vorsieht. Parteiintern gäbe es laut Insidern heftige Debatten bei Eingriffen in Privaträume.
6 Wären die anderen Parteien für mehr Eingriffe in Privaträume?
Vom grünen Koalitionspartner gibt es eine Absage. Anschober betonte, dass das Gesetz diese Möglichkeit ausschließe, „und das ist grundsätzlich auch richtig“. Klubobmann Herbert Kickl (FPÖ) warf Schützenhöfer „austrofaschistische Überwachungsfantasien“vor. „Das ständige Spekulieren mit neuen und strengeren Maßnahmen von ÖVP und Grünen verunsichert die Bevölkerung weiter“, meinte NeosVizeklubchef Nikolaus Scherak. „Es geht immer um eine Waage zwischen Grundrechten und Schutz für die Bevölkerung. Herumschnüffeln im Privaten ist ein derart massiver Eingriff, den wir nicht mittragen“, so SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Auch sonst zeigte sie sich unzufrieden. „Sollte ein Lockdown aufgrund des Kontrollverlusts der Regierung notwendig werden, kann es nicht wieder wie im Herbst sein, dass dies unvorbereitet von einem Tag auf den anderen passiert.“Es sei Zeit, Pläne für ein solches Szenario vorzulegen.