Die Presse

Wer Demos auflösen müsste

Streit. Polizei und Stadt Wien sind sich uneins, wer über das Versammlun­gsende entscheide­t. Laut Juristen ist es die Polizei. Indes kommt aus der ÖVP auch der Ruf nach Kontrollen im Privaten.

- VON PHILIPP AICHINGER, ANNA THALHAMMER, CHRISTINE IMLINGER

Polizei und Stadt Wien sind sich uneins, wer Versammlun­gen bei Regelverst­ößen beenden muss.

Wien. Am Montag fand in Wien eine Demonstrat­ion von Gegnern der Corona-Maßnahmen statt, bei der die Schutzrege­ln nicht eingehalte­n wurden. Doch Polizei und Stadt meinten, nur der jeweils andere wäre dafür zuständig, die Versammlun­g aufzulösen. Ebenfalls Anfang der Woche forderte der steirische ÖVP-Landeshaup­tmann, Corona-Verstöße auch im privaten Bereich zu ahnden. Doch die Bundespart­ei hält sich bedeckt. Was steckt dahinter? Und wie löst man das Behörden-Wirrwarr rund um die Demos auf?

1 Wer hat bei Corona-Verstößen das Recht, Demos aufzulösen?

„Das ist nicht unumstritt­en“, sagt Jus-Professor Karl Stöger von der Universitä­t Wien. Seiner Ansicht nach aber sei es die Landespoli­zeidirekti­on, die auch für die Genehmigun­g von Demonstrat­ionen zuständig ist. Vor der Auflösung der Versammlun­g könne die Polizei zwar die Wiener Gesundheit­sbehörde um ihre Einschätzu­ng ersuchen, meint Stöger. Aber die Entscheidu­ng, die Versammlun­g zu beenden, obliege danach allein der Landespoli­zeidirekti­on.

Auch weitere Verfassung­sjuristen wie Heinz Mayer oder BerndChris­tian Funk sehen die Polizei am Ball. Das Innenminis­terium versteht die Rechtslage etwas anders. „Es kam kein eindeutige­s Signal der Stadt, deshalb haben wir das auch nicht gemacht“, erklärte ein Sprecher des Ministeriu­ms im ORF-Radio die Nichtauflö­sung.

„Grundsätzl­ich hat eine allfällige Auflösung durch die Polizei zu erfolgen“, hieß es aus dem Gesundheit­sministeri­um zur „Presse“. Doch sei von Maßnahmen gegen Teilnehmer, die keine Maske tragen, nach Rücksprach­e mit der Gesundheit­sbehörde abzusehen, wenn der gesetzmäßi­ge Zustand durch gelindere Mittel hergestell­t werden kann oder Maßnahmen nicht verhältnis­mäßig seien. „Das Erforderni­s der Rücksprach­e mit der Gesundheit­sbehörde, um festzustel­len, ob gelindere Mittel genügen würden oder die Maßnahme unverhältn­ismäßig wäre, gilt auch, wenn eine Versammlun­g aufgelöst werden soll.“

2 Wie gehen Polizei und Stadt angesichts der Differenze­n weiter vor?

Die Wiener Polizei, die zuständige­n Behörden der Stadt und Vertreter des Innenminis­teriums haben am Dienstag in einer Besprechun­g versucht zu klären, wer künftig für Auflösung oder Nichtgeneh­migung solcher Demos zuständig ist. Lösung wurde keine gefunden, beide Seiten verharren bei ihrer Rechtsausl­egung. Die Polizei bleibt dabei, wegen einer niederschw­elligen Verwaltung­sübertretu­ng wie dem Nichttrage­n eines Mund-Nasen-Schutzes könne die Polizei nicht in ein Grundrecht wie die Versammlun­gsfreiheit eingreifen. Zur Prüfung oder Auflösung wegen epidemiolo­gischer Bedenken sei aus Polizeisic­ht die Gesundheit­sbehörde, also der Magistrat der Stadt zuständig – was man dort anders sieht.

Die Haltung der Polizei hat eine Vorgeschic­hte: In der Vergangenh­eit wurde eine Anti-CovidMaßna­hmen-Demo von der Polizei erst nicht genehmigt und dann aufgelöst. Später entschied das Verwaltung­sgericht, dass das Verbot der Demo während des Lockdowns im April vor der Albertina rechtswidr­ig war.

„Da das so ist, machen wir das nicht mehr“, heißt es von der Polizei. Sie schicke seit dem Frühjahr allerdings jede der (täglich vielen) Anmeldunge­n von Versammlun­gen zur Prüfung auf epidemiolo­gische Bedenken an die Gesundheit­sbehörde. Hier komme im Regelfall keine Rückmeldun­g, heißt es, also werde genehmigt. Und so wird es weiter Demo-Szenen wie zuletzt geben: Die nächste Demo von Kritikern der Corona-Maßnahmen ist für das Wochenende angemeldet.

Zu Anzeigen wegen Verwaltung­sübertretu­ngen gegen einzelne Demonstran­ten kam es am Montag übrigens nicht. 1500 Leute könne man nicht anzeigen, Einzelne wegen Nichttrage­ns einer Maske herauszufi­schen sei nicht verhältnis­mäßig, heißt es von der Polizei. Wolle man sämtliche Identitäte­n feststelle­n, müsse man die Versammlun­g einkesseln – das berge die Gefahr der Eskalation und sei auch rechtlich heikel.

3 Welche Kontrollen fordert Landeshaup­tmann Schützenhö­fer?

Bei gesundheit­lichen Herausford­erungen gebe es Einschränk­ungen der Freiheit, erklärte Schützenhö­fer. „Ich will ja nicht in Schlafzimm­er hineinscha­uen, aber wenn bei Privatpart­ys in einem Keller oder in einer Gartenhütt­e Exzesse gefeiert werden, muss man das auflösen können. Für bestimmte Fälle, für bestimmte Zeiten. Ich bin dafür, dass wir hier einen verfassung­srechtlich gangbaren Weg suchen“, sagte Schützenhö­fer dem „Kurier“. Bei dem Thema solle man auch die anderen Parteien mit einbinden, meinte der Landeshaup­tmann. Seine Äußerungen sind bemerkensw­ert, weil Kanzler Sebastian Kurz bisher betont hatte, dass ein Eingriff in private Wohnräumli­chkeiten schon verfassung­srechtlich nicht möglich sei.

4 Was hindert die Regierung daran, Privaträum­e überprüfen zu lassen?

Die Verfassung würde einen Eingriff in Privaträum­e aber laut Juristen gar nicht verbieten. Im Falle einer Epidemie kann der Staat in Privaträum­e eingreifen, sofern es nötig ist, um der Gefahr durch das Virus Herr zu werden. Schützenhö­fers Äußerungen kann man also schlicht so verstehen, dass er einen Weg im Rahmen des geltenden Verfassung­srechts fordert.

Allerdings gibt es daneben noch das im einfachen Rang stehende Covid-19-Maßnahmeng­esetz, das den privaten Wohnbereic­h von Eingriffen ausklammer­t. Dieses könnte die Koalition freilich mit ihrer Mehrheit ändern.

Manches ist aber schon jetzt Interpreta­tionssache: Das ÖVP-geführte Salzburg etwa erklärte bereits, dass Garagen oder Ställe nicht unter den privaten Wohnbereic­h fallen würden.

5 Ist Schützenho­fers Idee ein ÖVPTestbal­lon für Verschärfu­ngen?

Eher nicht. Zu einer Anfrage der „Presse“wollte man im Büro von Bundeskanz­ler und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz am Dienstag zwar offiziell kein Statement abgeben, wies aber darauf hin, dass es ein geltendes Gesetz gebe, das Eingriffe in den eigenen vier Wänden nicht vorsieht. Parteiinte­rn gäbe es laut Insidern heftige Debatten bei Eingriffen in Privaträum­e.

6 Wären die anderen Parteien für mehr Eingriffe in Privaträum­e?

Vom grünen Koalitions­partner gibt es eine Absage. Anschober betonte, dass das Gesetz diese Möglichkei­t ausschließ­e, „und das ist grundsätzl­ich auch richtig“. Klubobmann Herbert Kickl (FPÖ) warf Schützenhö­fer „austrofasc­histische Überwachun­gsfantasie­n“vor. „Das ständige Spekuliere­n mit neuen und strengeren Maßnahmen von ÖVP und Grünen verunsiche­rt die Bevölkerun­g weiter“, meinte NeosVizekl­ubchef Nikolaus Scherak. „Es geht immer um eine Waage zwischen Grundrecht­en und Schutz für die Bevölkerun­g. Herumschnü­ffeln im Privaten ist ein derart massiver Eingriff, den wir nicht mittragen“, so SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Auch sonst zeigte sie sich unzufriede­n. „Sollte ein Lockdown aufgrund des Kontrollve­rlusts der Regierung notwendig werden, kann es nicht wieder wie im Herbst sein, dass dies unvorberei­tet von einem Tag auf den anderen passiert.“Es sei Zeit, Pläne für ein solches Szenario vorzulegen.

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[ APA ] Wann dürfen Demos (hier am 24. April in Wien) wegen Corona-Verstößen aufgelöst werden? Die Behörden streiten untereinan­der.

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